Nach der Verschiebung der Parlamentswahl in Hongkong um ein Jahr setzt auch Deutschland das Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus. Das teilte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag in Berlin mit. "Wir haben wiederholt unsere Erwartung klargestellt, dass China seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält", sagte Maas zur Begründung. Hierzu gehöre gerade auch das Recht auf freie und faire Wahlen, das den Menschen in Hongkong zustehe.
Wenige Stunden zuvor hatte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam bekanntgegeben, dass die eigentlich für September geplante Parlamentswahl in der ehemaligen britischen Kronkolonie um ein Jahr verschoben wird. Sie begründete die Verlegung damit, dass die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in der chinesischen Sonderverwaltungsregion jüngst wieder gestiegen sei. "Die Pandemie stellt eine ernste Gefahr für Hongkong dar", betonte sie.
Wahlamt hat Mitglieder der Opposition von der Kandidatur ausgeschlossen
Für die Verlegung bemühte die Regierungschefin ein fast 100 Jahre altes, nur selten angewandtes Notstandsrecht aus der britischen Kolonialzeit. Die Wahl soll jetzt am 5. September 2021 stattfinden.
Kritiker sahen darin den Versuch, eine Blamage zu verhindern, da der Unmut über das Regierungslager und das neue Staatssicherheitsgesetz groß ist. Aus Sicht des oppositionellen Abgeordneten Ted Hui ist die Regierung mehr besorgt über eine Niederlage als über die Ausbreitung der Lungenkrankheit. Aktivisten wie Joshua Wong hoben hervor, dass die Abstimmung trotz Corona mit angemessenen Vorsichtsmaßnahmen stattfinden könne, was andere Länder mit ihren Wahlen gezeigt hätten.
Am Vortag hatte das Wahlamt ein Dutzend Aktivisten wie Wong oder auch Mitglieder der oppositionellen Civic Partei von einer Kandidatur ausgeschlossen. Niemand eigne sich zum Abgeordneten, der nicht hinter dem Staatssicherheitsgesetz stehe und der die Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit Hongkongs befürworte, argumentierte die Regierung.
USA, Kanada, Großbritannien: Staaten reagieren mit Embargos und streichen Auslieferungsabkommen
China steht wegen seiner Hongkong-Politik international schwer in der Kritik. Das neue Sicherheitsgesetz war Ende Juni verabschiedet worden. Es richtet sich gegen Aktivitäten, die China als subversiv, separatistisch oder terroristisch ansieht. Auch soll es "heimliche Absprachen" mit Kräften im Ausland bestrafen. Hongkongs demokratische Opposition geht davon aus, dass das Gesetz auf sie abzielt. Befürchtet wird ein Ende des Prinzips "Ein Land, zwei Systeme", wonach die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 an China autonom und mit Freiheitsrechten verwaltet wird.
Inzwischen haben bereits mehrere Staaten mit konkreten Maßnahmen auf das Sicherheitsgesetz reagiert, darunter die USA, Kanada und Großbritannien. In der Regel wurden Auslieferungsabkommen mit Hongkong ausgesetzt und für China geltende Waffenembargos auf Hongkong ausgeweitet.
Die EU hatte sich Anfang der Woche auf ein gemeinsames Maßnahmenpaket verständigt, bei dem aber jedem Mitgliedstaat selbst überlassen ist, was er davon umsetzt. Deutschland hat bereits einen Exportstopp für bestimmte Güter verhängt, die zur Überwachung der Bevölkerung genutzt werden können oder von Militär oder Polizei etwa bei Demonstrationen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden können. Außerdem sind erste Schritte für eine Ausweitung von Stipendien für Wissenschaftler oder Studenten aus Hongkong eingeleitet worden. Auch die Visaerteilung soll noch erleichtert werden.
Auch US-Regierung fordert, dass die Wahl stattfinden müsse
Die Aussetzung des Auslieferungsabkommens gilt aber von allen Maßnahmen als diejenige, die China am ehesten verärgern könnte. Peking hat das Maßnahmenpaket der EU bereits als "Einmischung in innere Angelegenheiten" kritisiert.
Maas erklärte am Freitag: "Die Entscheidung der Hongkonger Regierung, ein Dutzend Oppositionskandidatinnen und -kandidaten für die Wahl zu disqualifizieren und die Wahlen zum Legislativrat zu verschieben, ist ein weiterer Einschnitt in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger Hongkongs." Sie folge auf die Verhaftung von drei Aktivisten und einer Aktivistin, die Deutschland sehr besorge. Angesichts dieser aktuellen Entwicklungen habe Deutschland entschieden, das Auslieferungsabkommen mit Hongkong zu suspendieren.
Auch die US-Regierung hatte gefordert, dass die Wahl wie geplant am 6. September stattfinden müsse. "Das Hongkonger Volk hat es verdient, dass seine Stimme durch gewählte Vertreter seiner Wahl repräsentiert wird", sagte Außenminister Mike Pompeo. "Wenn sie das kaputt machen, wenn sie das absagen, wird es ein weiteres Merkzeichen sein, das einfach beweist, dass Chinas Kommunistische Partei Hongkong jetzt nur zu einer weiteren kommunistisch geführten Stadt gemacht hat." US-Präsident Donald Trumps Sprecherin Kayleigh McEnany sagte, mit der Disqualifizierung von Oppositionskandidaten und die Wahlverschiebung sei Chinas "Liste gebrochener Versprechen" erneut länger geworden.
Zentralregierung in Peking begrüßte den Schritt
Die sieben Millionen Einwohner zählende Hafenmetropole Hongkong hatte den Ausbruch der Lungenkrankheit Covid-19 anfangs gut unter Kontrolle. Im Juli stieg die Anzahl der neuen Infektionen jedoch stark - zuletzt auf 100 bis 150 pro Tag. Auch können Infektionsketten in der dicht besiedelten Stadt nicht mehr zurückverfolgt werden. So hatte die Regierung auch Versammlungen auf nur zwei Personen beschränkt. Insgesamt wurden mehr als 3100 Ansteckungen und 27 Tote gezählt.
Der lange Aufschub der Wahl wirft rechtliche Fragen auf, weil nur eine kurzfristige Verlegung erlaubt ist. Die Zentralregierung in Peking begrüßte den Schritt und teilte mit, dass der Ständige Ausschuss des Volkskongresses diese Dinge klären werde. Chinas höchstes Parlamentsorgan hatte zuvor schon eine - in der Sommerpause ungewöhnliche - Sitzung für den 8. bis 11. August einberufen. Prodemokratische Abgeordnete warnten vor einer Verfassungskrise. (dpa)
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