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Analyse: Aufregung um Artikel: Wie rechte Shitstorms funktionieren

Analyse

Aufregung um Artikel: Wie rechte Shitstorms funktionieren

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    Shitstorms verbreiten sich rasend schnell.
    Shitstorms verbreiten sich rasend schnell. Foto: Nicolas Armer, dpa (Symbolbild)

    Der Shitstorm kam so erwartbar schnell wie heftig. Vor allem aber: Er machte überaus deutlich, worum es in dem Artikel ging, der kürzlich auf der Medienseite unserer Zeitung und online erschien. Sein Titel: „Jung, cool, gefährlich.“ Sein Inhalt: Populisten und Rechtsradikale verbreiten in sozialen Medien ihre politischen Botschaften und tun das derart geschickt, dass Jugendliche nicht bemerken, wie man sie beeinflusst. Experten warnen vor diesen Influencern.

    Es ging in dem Artikel unter anderem um den 20-jährigen Youtuber Niklas Lotz, der als „Neverforgetniki“ allein auf der Videoplattform 118.000 Abonnenten erreicht. Im Artikel wurde dargestellt, wie er sich dort präsentiert, was er in seinen Videos sagt, in welchem Umfeld er sich bewegt – und wie das einzuschätzen ist. „Der Youtuber Neverforgetniki bedient klassische Feindbilder der rechten Szene“, erklärte Liane Bednarz. Die Juristin und Publizistin beschäftigt sich ausgiebig mit der sogenannten Neuen Rechten. Sie kam nach der Analyse seiner Videos – wie „Die ZERSTÖRUNG von Fridays for Future“, „MEINE ABRECHNUNG“, „Die FASZINATION deutscher Frauen für Flüchtlinge“ zu diesen Schlüssen: Lotz bekenne sich nicht offen zur rechten Szene. Denn so könne er seinen Zuschauern auf harmlose Art und Weise seine Ideen einimpfen. Und: „Angesichts seiner Reichweite ist das durchaus beunruhigend.“

    Lotz wollte nur gegen die Zahlung eines Honorars mit uns sprechen

    Es ist vor allem beunruhigend vor dem Hintergrund, dass junge Nutzer von Plattformen wie Youtube oder sozialen Netzwerken nur schwer die wahren Beweggründe hinter Videos und Bildern im Internet erkennen. Auf dieses generelle Phänomen – nicht im direkten Bezug auf Lotz – wies in dem Artikel Maik Fielitz vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg hin: „Die Vorstellung, permanent angegriffen zu werden, bietet dem Gedanken, sich mit allen Mitteln aus Notwehr zu wehren, Vorlauf.“

    Lotz sei offen für ein Gespräch mit unserer Redaktion, erklärte er auf Anfrage, jedoch nur für ein Honorar in Höhe von 250 Euro die Stunde. Unsere Redaktion aber zahlt prinzipiell nicht für Interviews. Was sie tut, ist, zu berichten – nach den gängigen journalistischen und medienethischen Standards. Dazu gehört unter anderem, korrekt zu zitieren, die Expertise von Experten zum jeweiligen Thema einzuholen und/oder Sachverhalte darzustellen.

    Lotz, der seine „Arbeit“ selbst als „journalistische Arbeit“ bezeichnet, reagierte auf den Artikel mit einem Video, das bis Montagmittag bereits auf mehrere zehntausend Aufrufe kam. Darunter hat er geschrieben: „TEILT dieses Video so oft ihr könnt, damit noch mehr Menschen aufgeklärt werden!“

    Lotz nennt den Sprecher der Identitären Bewegung Österreich einen "Andersdenkenden"

    Im Video selbst spricht Lotz dann von einer „historischen Sendung“. Denn er, sein Kanal und seine Community hätten es in die „Mainstreammedien“ geschafft. Im Folgenden nennt er mehrfach den Namen der Autorin des Artikels – mit Folgen. Dazu später mehr.

    Und er kritisiert, es werde in dem Artikel „gegen sehr viele Menschen ausgeteilt“ – zum Beispiel gegen Martin Sellner. Dies sei „ein Rundumschlag gegen Andersdenkende“. Sowie: „Dieser Artikel soll gegen alle ausholen, die eben anders denken beziehungsweise die nicht mainstreamkonform denken.“

    Martin Sellner in diesem Zusammenhang als einen „Andersdenkenden“ zu bezeichnen, ist vielsagend – handelt es sich bei diesem um den Sprecher der Identitären Bewegung Österreich. Laut Verfassungsschutzbericht 2018 des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung kann die Identitäre Bewegung exemplarisch für den „sogenannten ’modernisierten’ Rechtsextremismus“ genannt werden. Sie „stellt auch in Österreich eine wesentliche Trägerin der ’Islam- und Asylfeindlichkeit’ dar“. Weiter erklärt der österreichische Verfassungsschutz, dass es ein „Vorhandensein eines (internationalen) Vernetzungs- und Mobilisierungspotenzials exponierter Akteure“ gebe. „Die Strategie neurechter Ideologen zielt darauf ab, bestimmte gesellschaftspolitische Themen und Begriffe mit hoher emotionaler Wirkung aufzugreifen und auf Dauer zu besetzen.“ Sellner hatte und hat Kontakte nach Deutschland; Lotz bezeichnete er als „genialen jungen Nachwuchs-Blogger“.

    Fans fühlen sich bestärkt: "Grüße alle Patrioten"

    Lotz selbst befasst sich in seinem Video mehr als elf Minuten lang mit dem Artikel – zitiert ihn falsch und spricht unter anderem von „vermeintlich unabhängigen“, „selbst ernannten“ Experten, die zu ihm befragt worden seien. Diese seien „selber politische Akteure, die mich eben ganz klar für meine Meinung hier irgendwie in ein schlechtes Licht rücken wollen“. Zum Glück gebe es in Deutschland, „zumindest noch in der Theorie“, Meinungsfreiheit. Alleine durch seine Wortwahl bestätigt er damit Bednarz’ Satz, er bediene „klassische Feindbilder der rechten Szene“. Es sind deren Narrative, insbesondere das von der Meinungsfreiheit, die bedroht sei. Lotz sagt: „Wollen die, dass ich das nicht mehr darf?“

    Der Autorin des Artikels wirft er mit Blick auf den Artikel vor: „Für mich klingt es irgendwie wie jemand, der unglücklich verliebt ist“. Auch das ein oft zu beobachtendes Muster – der persönliche Angriff. „Ihre journalistische Karriere ist keine Karriere“, ergänzt er. Und: Ihre Propaganda habe leider gar nichts bewirkt. Am Ende des Videos weist Lotz auf die Möglichkeit hin, ihn finanziell zu unterstützen. „Seid aktiv ein Teil der Gegenöffentlichkeit.“

    Niklas Lotz’ Video hat Folgen – einen Shitstorm. Nutzer kommentieren wie folgt: „die Messermigranten sind nicht gefährlich, gefährlich ist wer auf die Gefahr hinweist.“ Oder: „So sind die Medien halt: linksversiffte Realitätsverdreher.“ Oder: „Das ist eine neue Dimension und du niki wirst immer besser, die haben Angst!“ Oder: „(...) heute Hetzt das Judenblatt gegen Deutsche Patrioten“. Oder: „Eines Tages werden die auf die Schnauze fallen. Grüße alle Patrioten, bleibt stark und lasst euch nicht unterkriegen.“ Oder: „Diese Leute bekommen ihre Strafe, abwarten!“

    Es folgen persönliche Attacken

    Neben unserer Zeitung und den im Artikel zitierten Experten wird vor allem die Autorin attackiert. Sie habe sich, schreibt ein Nutzer, den „Judaslohn“ schon verdient. Und ein anderer: „solche Journalisten sind gefährlich die gehören eigentlich aus ihren Jobs entfernt“. Niklas Lotz hat derlei weder geschrieben noch gesagt; äußerst bedenklich sind sein Video und die Reaktionen seiner Zuschauer auf Video und Artikel gleichwohl.

    Es geht hierbei ganz allgemein um einen hochproblematischen Mechanismus: Durch ihre Art der Ansprache im Netz – charismatisch, gepaart mit populistischen Argumenten – könnten die Internet-Promis der Neuen Rechten gerade Jüngere, noch unentschlossene, überzeugen, rechte Parteien zu wählen, zitierte der Deutschlandfunk im Mai Julia Ebner. Sie forscht am Institute for Strategic Dialogue, einer Londoner Denkfabrik, zum Thema Rechtsextremismus. Und weiter: Um die Demokratie besser vor solchen Aktivitäten zu schützen, so Ebner in dem Beitrag, müssten Parlamente die großen Plattformen konsequent regulieren. Dort bleiben Hass und Hetze bislang relativ folgenlos.

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