Kaum war Joe Biden sicher gewählter US-Präsident, erreichte ihn schon eine Einladung nach Deutschland. Sie kam von Wolfgang Ischinger, dem nimmermüden Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz. Er lud Biden zur nächsten Ausgabe der Großkonferenz im Februar 2021 ein, in welcher Form auch immer diese stattfinden wird.
Voriges Jahr lautete das Motto der Konferenz: „Westlessness“, das umschrieb den Verlust des Westens als Führungsmacht, der ja vor allem ein Verlust der amerikanischen Führungskraft ist. Biden kennt die Konferenz gut, er war als Senator dort oft zu Gast. Und weil er durchaus eitel ist, könnte er versucht sein, jetzt erst recht in München aufzutreten und das Comeback des Westens zu verkünden – in Gestalt seiner eigenen Person.
Joe Biden wird nicht mehr "America first" sagen - aber oft genug denken
Es kann durchaus sein, dass Biden nach München kommt. Aber als Retter des (nicht so wilden) Westens wird er sich ganz gewiss nicht präsentieren. Denn je klarer das Bild nach Bidens Sieg (aber auch seinen vielen Niederlagen in Teilen der USA) wird, desto ernüchternder scheinen seine außenpolitischen Optionen. Die schöne transatlantische Gemütlichkeit, sie wird gewiss nicht zurückkehren.
Sicher, Biden dürfte andere Töne anschlagen, er wird Berater um sich scharen, die Europa und Deutschland kennen. Es macht einen gehörigen Unterschied, ob ein amerikanischer Präsident Verbündete nur als Feinde ansieht oder auch als Verstärkung.
Nur wird Biden nicht mehr „America First“ sagen, aber oft genug doch mit denken. Denn seine wichtigste Front verläuft nicht in Europa, nicht im Nahen Osten – sie verläuft durch die Vereinigten Staaten von Amerika, etwa in jenen Bundesstaaten wie Ohio oder Florida, wo die Globalisierung für viele Bürger das Geschäftsmodell, ja das Lebensmodell umgepflügt hat.
Auch Joe Biden sieht die deutschen Rüstungsausgaben kritisch
Dort ist die Wut auf China so groß wie auf den „Freihandel“. Diese innenpolitische Wut wird auch Bidens Außenpolitik prägen. Freihandelsabkommen stehen nicht weit oben auf seiner Agenda. Zu enge Kooperationen Deutschlands mit Russland, wie bei der Gas-Pipeline Nordstream 2, werden auch unter Biden amerikanisches Misstrauen wecken – und unsere Zahlungsmoral bei Rüstungsausgaben ein Dauerthema bleiben.
Die Iran-Politik dürfte ein weiteres Beispiel dafür sein, dass sich nicht alles ändert. Trump kannte im Nahen Osten nur Schwarz und Weiß: Hell strahlte für ihn Israel, böse schimmerte der Iran. Seine Bilanz ist durchwachsen. So gelang ihm immerhin, Golfstaaten wie Bahrain, Sudan oder die Vereinigten Arabischen Emirate zur Annäherung an Israel zu bewegen.
Iran und USA - Biden wird ein offenere Ohr für Teheran haben
Darauf könnte Biden aufbauen – und zugleich jenes Atomabkommen reparieren, in dem sich Teheran 2015 verpflichtet hatte, die Urananreicherung zu reduzieren und sein Atomprogramm von der Internationalen Atomenergiebehörde kontrollieren zu lassen. Das war eines von Barack Obamas wichtigsten Anliegen, sein Iran-Chefunterhändler berät Biden. Damals lautete die Gleichung: Wir helfen euch beim Wirtschaftsaufschwung, wenn ihr euch bei der Bombe zügelt.
Einerseits hielten Europäer und Amerikaner das Aufschwungversprechen nicht, auch weil die Trump-Regierung Sanktionen verschärfte und das Abkommen aufkündigte. Andererseits hat der Iran immer wieder gezeigt, dass ihm nicht wirklich zu trauen ist. Biden wird ein offeneres Ohr für Teheran haben, aber kaum naiv sein.
Vieles ist außenpolitisch also noch unklar, eines nicht: Eine Bewährungsprobe steht an für Deutschlands Außenpolitik. Über Trump zu schimpfen, war auch bequem: Es lenkte davon ab, selber keine schlüssige Strategie zu haben.
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