Im Bundestag ließ sie in einer von empörten Zwischenrufen unterbrochenen Regierungserklärung offen, ob die für drei Monate stillgelegten Meiler wieder ans Netz gehen. SPD-Chef Sigmar Gabriel hielt Merkel vor, in der Vergangenheit den Weiterbetrieb alter Kernkraftwerke erzwungen zu haben. Von den acht betroffenen AKW - die sieben ältesten und Krümmel - waren am Donnerstag sieben bereits abgeschaltet.
Mit Neckarwestheim I, Philippsburg I und Isar I gingen die ersten alten AKW vom Netz. Der Energiekonzern Eon wollte Unterweser am Freitagmorgen vom Netz nehmen. Für Biblis A hat der Betreiber RWE nach eigenen Angaben noch keine entsprechende Anordnung erhalten. Biblis B, Brunsbüttel und Krümmel stehen derzeit ohnehin still.
Die Opposition scheiterte mit ihren Anträgen zur dauerhaften Stilllegung zunächst der älteren Meiler und zur Rückkehr zum Atomausstieg ohne Laufzeitverlängerung. Mit 308 von 331 möglichen Koalitionsstimmen erhielt der Antrag von Union und FDP eine Mehrheit, mit dem das Atom-Moratorium begrüßt und die vorläufige Abschaltung der ältesten Meiler zustimmend zur Kenntnis genommen wird.
"Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß", sagte Merkel. Ausstiegsforderungen der Opposition hielt sie entgegen, Deutschland könne nicht sofort auf Kernkraftwerke verzichten. "Sie gehören zu den weltweit sichersten", sagte Merkel. "Wir brauchen eine Brückentechnologie wie die Kernenergie." Sie lehne es ab, die Atomkraftwerke abzuschalten und Atomstrom zu importieren. Auch müsse Energie bezahlbar sein.
Zugleich betonte sie: "Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit." Sie sagte: "Wenn in einem so hoch entwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche möglich (...) wurde, dann verändert das die Lage." Merkel ließ offen, ob alle betroffenen Kraftwerke abgeschaltet bleiben. Möglicherweise würden Anlagen schneller vom Netz genommen. Zum rot-grünen Atomausstieg kehre die Koalition aber nicht zurück. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger wandte sich gegen ein "hektisches Überbordwerfen aller Entscheidungen".
Merkel wies Vorwürfe nach Absprachen mit der Atomwirtschaft zurück. "Dies ist kein Deal." In Unionskreisen hieß es, am Mittwochabend habe es Gespräche zwischen Bundesregierung und Konzernen gegeben. Die Konzerne hätten gesagt, vorerst nicht zu klagen. Der Energiekonzern Eon versicherte, er wolle nicht auf Konfrontationskurs gehen. Der Energiekonzern EnBW prüft den Stilllegungsbescheid für Neckarwestheim I und Philippsburg I juristisch. Der Präsident des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner, will einen Runden Tisch mit der Politik. "Dann wird es am Ende auch nicht um die Diskussion gehen, dass man gegen Dinge, die man vorher gemeinsam festgelegt hat, klagen muss", sagte er der dpa.
SPD-Chef Gabriel hielt Merkel eine bisher hartnäckige Verweigerung der Abschaltung alter Meiler vor. Sie selbst habe sich gegenüber ihm als Umweltminister der schwarz-roten Koalition für Biblis A und Neckarwestheim I eingesetzt. "Sie haben mich schriftlich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beiden Atomkraftwerke zu verlängern." Im vergangenen Herbst dann habe Merkel in einer Kumpanei mit den Atomkonzernen die Laufzeitverlängerung ausgehandelt. "Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht."
Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sagte: "Der 11. März 2011 muss das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeläutet haben." Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warnte vor Folgen des Moratoriums: "Wenn die Betreiber der Altkraftwerke (...) Laufzeiten auf die neueren Anlagen übertragen, dann reden wir von Laufzeiten bis 2050." Linke-Chef Klaus Ernst sagte n-tv: "Die Erpresser-Konzerne müssen erst verstaatlicht und dann zerschlagen werden."
Die Regierung wolle so schnell wie möglich den Umstieg auf erneuerbare Energien, versicherte Merkel. Sie forderte einen schnelleren Stromnetzausbau. Noch vor Ostern sei ein Treffen mit allen Ministerpräsidenten geplant. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) plädierte für massiven Ausbau der Windenergie.
Merkel verteidigte die juristische Seite des Moratoriums und berief sich auf einen Paragrafen im Atomgesetz, der die Abschaltung bei Gefahrenverdacht regelt. Der Würzburger Rechtsprofessor Kyrill-Alexander Schwarz sagte der dpa dazu: "Paragraf 19 Absatz 3 Ziffer 3 reicht definitiv nicht aus."
Die Kanzlerin versprach den Menschen in Japan Hilfe und schloss sich Spendenaufrufen an. "Die Katastrophe in Japan hat ein geradezu apokalyptisches Ausmaß." Nun gehe es um das Zeichen an die Menschen in Japan: "Sie sind nicht allein." Eine starke Beeinträchtigung der Weltwirtschaft fürchte sie derzeit nicht. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hält Lebensmittel aus Japan momentan für ungefährlich, wie sie vor einem Treffen mit EU-Amtskollegen in Brüssel sagte. (dpa)
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