Da steht er nun und ragt in den Himmel. 162 Meter und damit höher als der Kölner Dom war er einmal. Eigentlich hätte der markante Kühlturm des Atomkraftwerks im rheinland-pfälzischen Mülheim-Kärlich schon im vergangenen Jahr abgerissen sein sollen. Doch die Arbeiten dauern immer noch an, so ein Rückbau braucht Geduld. Zu Beginn hatte es technische Probleme beim neuen Verfahren mit einem Roboter gegeben.
„Änderungen und Reparaturen in 162 Metern Höhe sind auch zeitlich aufwendiger. Und bei einem Prototypen sind Ersatzteile nicht immer vorrätig“, erklärt Anlagensprecherin Dagmar Butz. Wegen zu schlechten Wetters habe drei Monate nicht in der Höhe gearbeitet werden können, inzwischen liefen die Arbeiten aber stabil. Im Laufe dieses Jahres soll er tatsächlich verschwinden, der Koloss am Rhein, der inzwischen schon sichtlich kleiner geworden ist.
Am 14. Juni 2000 hatten RWE und die Bundesregierung die Vereinbarung zur endgültigen Stilllegung und zum Abbau getroffen. Von 1975 bis 1986 war das Kraftwerk gebaut worden, doch infolge eines Rechtsstreits um die Erdbebensicherheit endete der Betrieb bereits 1988. Seit Sommer 2004 läuft der Rückbau, seit Sommer 2018 auch beim Kühlturm. Nicht nur die Menschen in der Region beobachten die Fortschritte, auch in Bayern ist man gespannt: Wegen der innovativen Abrissmethode ist es ein Projekt, auf das natürlich auch beim Atomkraftwerk Gundremmingen im Kreis Günzburg mit Interesse geblickt wird. Es soll wie alle anderen bayerischen Anlagen zurückgebaut werden. Das sind neben Gundremmingen die Reaktoren an den Standorten Landshut (Isar I und II) und Grafenrheinfeld.
Das Zwischenlager in Gundremmingen bleibt bestehen
Mit dem Kernkraftwerk Gundremmingen wird allerdings nicht nur das einst leistungsstärkste AKW Deutschlands verschwinden, sondern auch der Urahn der großen Atomkraftwerke in Deutschland. Denn der Bau des nach einem Störfall inzwischen längst stillgelegten Blocks A des Kernkraftwerks signalisierte den Startschuss für das kommerzielle Atomzeitalter der Bundesrepublik. Ende 1966 hatte erstmals die atomare Großanlage Strom ins Netz gespeist. Zuvor hatte es nur deutlich kleinere Atomkraftwerke gegeben, überwiegend für Versuchszwecke. Ziel ist es nun, das Kernkraftwerk „aus der atomrechtlichen Überwachung“ zu entlassen. Dafür muss das Werksgelände von jeglicher Strahlung dekontaminiert werden. Davon abgetrennt wird es noch das Zwischenlager für die verbrauchten Brennelemente geben.
Ob auch die Kühltürme des schwäbischen Atomkraftwerks einmal auf diese Weise „abgeknabbert“ werden, wie gerade in Mülheim-Kärlich? Noch gibt es keine Aussage, was mit welchem Gebäude passiert, ob es tatsächlich einmal die sprichwörtliche grüne Wiese geben wird oder Teile des Areals anderweitig genutzt werden. Bis zu einer Entscheidung könnte auch noch einige Zeit ins Land gehen, denn aus der atomrechtlichen Überwachung wird das Gelände wohl erst um das Jahr 2040 entlassen, die Genehmigung für das Standortzwischenlager mit den Castorbehältern endet 2046 – wobei schon jetzt klar ist, dass es dabei wohl nicht bleiben wird. Die Suche nach einem Endlager zieht sich schließlich. In Mülheim-Kärlich wurde nichts aus der großen Lösung mit einem Investor, der (fast) das komplette Areal übernimmt. Stattdessen gibt es eine kleinteiligere Variante, einige Firmen wollen sich ansiedeln.
Der Antrag zum Rückbau des Atomkraftwerks kann Jahre dauern
In Gundremmingen wäre man schon froh, zumindest endlich die Rückbaugenehmigung für den bereits stillgelegten Block B – Block C folgt Ende 2021 – zu bekommen. Sie war bereits zur Abschaltung an Silvester 2017 erwartet worden. Aber, so betont Kraftwerkssprecherin Christina Kreibich: „Aufgrund der Komplexität und der Anzahl der einzubeziehenden Behörden kann so ein Verfahren durchaus Jahre in Anspruch nehmen.“ Als Beispiel nennt sie den Standort im hessischen Biblis: Dort sei der Antrag im Sommer 2012 eingereicht worden, die Genehmigung kam im Juni 2017. Die Gundremminger hatten ihren Antrag im Dezember 2014 gestellt – und sind guter Dinge, dass das Warten bald endet. „Wir erwarten die Rückbau-Genehmigung zeitnah, wohl noch im ersten Quartal 2019“, erklärt Kreibich. Das bayerische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde kann aber noch nicht sagen, ob und wann es soweit ist: „Die Antragsunterlagen des Betreibers befinden sich aktuell noch in der abschließenden behördlichen Prüfung.“
Bis Ende vergangenen Jahres wurden bereits als Vorbereitung für die eigentlichen Arbeiten gut 1000 Tonnen Material im Maschinenhaus von Block B ausgebaut, vor allem Betonteile, Stahl und Betriebsstoffe. Auch wenn die Genehmigung weiter auf sich warten lassen sollte: Die Vorbereitungen könnten „noch etliche Monate fortgeführt werden“, erklärt Kreibich. Man rechne deshalb nicht mit einer mangelnden Auslastung der Mitarbeiter. Ein Großteil des Personals sei sowohl hier als auch im Leistungsbetrieb eingesetzt, und man müsse die Zugänge zu den Stellen des Rückbaus möglichst erleichtern. Nach wie vor würden weiter vor allem Setzsteine und Betonriegel und von Komponenten die Isolierungen entfernt. Derzeit sei man auch dabei, die Detailplanungen für die ersten konkreten Schritte des Rückbaus fertigzustellen.
Abgewartet werden derweil die Entwicklungen in Sachen Müllverbrennung in Weißenhorn im benachbarten Kreis Neu-Ulm. Dort waren Politiker verärgert, weil sie nicht gewusst hätten, dass auch Müll aus dem Kernkraftwerk verfeuert wird, etwa Overalls, Socken oder Schuhe, kein Schutt. Zwar dürfen die Sachen weiter nach Weißenhorn gebracht werden, aber die Menge soll begrenzt werden. Was das bedeutet? Kraftwerkssprecherin Kreibich erklärt: „Es gibt einen gültigen Vertrag zwischen den Landkreisen mit einer Laufzeit bis 2025.“ Darüber hinaus obliege die Entsorgungspflicht für diese Gewerbeabfälle nun einmal dem Landkreis Günzburg.
Reibungslos verlaufen sei jedenfalls der Übergang der Verantwortung für das Atommüll-Zwischenlager am Standort Gundremmingen, erklären Kraftwerksbetreiber und die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) unisono. Es wurde mit 60 Castorbehältern übergeben, in diesem Jahr sollen insgesamt neun weitere eingelagert werden, einer davon ist bereits dort. Es werde an einem Konzept gearbeitet, damit das Lager mittelfristig autark betrieben werden kann. Noch ist man durch die Infrastruktur, etwa eine gemeinsame Stromversorgung, miteinander verbunden.
Die Mahnwache Gundremmingen will weiter aktiv bleiben
Mehr als ein Jahr lang sei der Übergang zum Jahreswechsel vorbereitet worden, erklärt Tabea Reckelkamm, Referentin bei der Bundesgesellschaft. Im Zwischenlager standen seit Jahresanfang etwa die Wartung und Prüfung des Diesel-Notstromgenerators oder ein Test am Haken des 140-Tonnen-Krans auf dem Programm, aber auch die Begleitung von Inspektoren der internationalen Atomaufsicht IAEA und Euratom „bei einer ihrer Routinekontrollen im Rahmen der internationalen Kernbrennstoffüberwachung“. Die Angaben, wie viele Mitarbeiter vom Kraftwerksbetreiber zur Zwischenlager-Gesellschaft wechselten, variieren bei beiden. Beim Kraftwerk spricht man von sieben, bei der BGZ nur von fünf. Langfristig sollen hier einmal 14 Leute arbeiten, plus Externe wie für die Objektsicherung.
Damit das Lager auch dann nicht in Vergessenheit gerät, wenn das Kraftwerk zurückgebaut wird, will die Mahnwache Gundremmingen weiter aktiv bleiben. Sie gibt es jetzt seit 30 Jahren. Gab es früher große Demonstrationen etwa auf dem Günzburger Marktplatz gegen die Atomkraft, so hat die Resonanz im Laufe der Zeit sichtlich abgenommen. Das sagt auch Mahnwachen-Sprecher Thomas Wolf. Doch zum Jubiläum dürften wieder mehr Leute kommen, schätzt er, zum Beispiel „alte Mitstreiter“ aus vergangenen Tagen.
Zum Fukushima-Jahrestag ist jetzt auch nur eine kleinere Mahnwache in der Günzburger Innenstadt geplant, doch wenn sich das Tschernobyl-Unglück am 26. April jährt, soll das Gundremminger Kernkraftwerk umrundet werden – bevor dann später im benachbarten Kulturgewächshaus in Birkenried das eigene Jubiläum ordentlich gefeiert wird. Dabei will man auch Kraft sammeln, um weiter die Menschen an die Gefahren der Atomkraft zu erinnern, an die Castorbehälter im Zwischenlager – und damit es auch wirklich beim Atomausstieg bleibt. Schließlich gebe es inzwischen wieder leise Stimmen, die gerne doch einen Ausstieg aus dem Ausstieg oder zumindest eine längere Laufzeit der noch aktiven Kraftwerke hätten.
Das, findet Thomas Wolf, müsse aber auf jeden Fall verhindert werden.
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