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Asylstreit: Kommt der Bruch mit der CDU oder nicht? Showdown in der CSU

Asylstreit

Kommt der Bruch mit der CDU oder nicht? Showdown in der CSU

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    CSU-Größen Markus Söder, Horst Seehofer, Alexander Dobrindt (rechts): „Die sitzen ganz hoch oben im Baum.“
    CSU-Größen Markus Söder, Horst Seehofer, Alexander Dobrindt (rechts): „Die sitzen ganz hoch oben im Baum.“ Foto: Christof Stache, afp

    Die CSU ringt mit sich selbst. Nach dem EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik herrscht am Freitag erst einmal spannungsgeladenes Schweigen. Parteichef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder könnten etwas sagen, tun es aber nicht. Der Landesgruppenchef der Angela Merkel in Brüssel ausgehandelt hat?

    Für Dobrindt ist nach dem EU-Gipfel alles geklärt

    In ihrem sachlichen Kern ist die Angelegenheit weit weniger kompliziert, als es am Freitag dargestellt wird. Der Beschluss von Brüssel enthält eine Passage, in der die „Sekundärmigration“, also der Wechsel von Asylbewerbern von einem EU-Staat in einen anderen, als Gefährdung für das europäische Asylsystem bezeichnet wird. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten, so heißt es in Ziffer 11 der Vereinbarung, „alle erforderlichen internen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenarbeiten“.

    Für CSU-Landesgruppenchef Dobrindt ist damit alles geklärt. „Ich stelle fest, dass zur Vermeidung von Sekundärmigration das Ergreifen von nationalen Maßnahmen ausdrücklich im Ratspapier vorgesehen ist.“ Die Forderung der CSU, die bestimmte Gruppen von Asylbewerbern künftig unmittelbar an der Grenze zurückweisen will, sei damit erfüllt.

    In der CSU-Landesleitung in München aber gibt man sich in genau diesem entscheidenden Punkt noch äußerst zurückhaltend. Parteichef Seehofer, so heißt es auf Anfrage unserer Redaktion, wolle erst noch das für den späten Freitagabend geplante Telefongespräch mit der Bundeskanzlerin abwarten, ehe er dann am Wochenende das Brüsseler Ergebnis bewerte. Es gehe darum, wie die Vereinbarung zu verstehen sei und, vor allem, wie Merkel diese Vereinbarung verstehe. Die Gretchenfrage laute: „Können wir auf Basis dieser Vereinbarung zurückweisen oder nicht?“

    Konfrontationskurs der CSU-Führung: Kritik auch aus den eigenen Reihen

    Weit mehr als über diese „Sachfrage“ in der umstrittenen Flüchtlingspolitik wird in München mittlerweile über die Strategie der Parteiführung diskutiert. Als Seehofer der Kanzlerin vor zwei Wochen das Ultimatum stellte, er werde als Bundesinnenminister die Zurückweisungen zur Not auch gegen ihren erklärten Willen anordnen, falls es in Brüssel keine Wende in der Asylpolitik gebe, waren die Reihen in der Partei noch fest geschlossen. Die Mahnungen älterer Parteigranden wie Ex-CSU-Chef Theo Waigel oder Ex-Fraktionschef Alois Glück aber haben offenbar für eine gewisse Nachdenklichkeit gesorgt.

    Sollen wirklich die Zusammenarbeit mit der CDU und der Zusammenhalt in der EU aufs Spiel gesetzt werden? Soll die CSU wirklich in „maximaler Konfrontation“ den Bruch mit der Bundeskanzlerin und dessen völlig unkalkulierbare Folgen für die politische Stabilität in Deutschland und Europa riskieren?

    Seit Tagen schon und mehr noch an diesem Freitag weisen CSU-Vorstandsmitglieder in Hintergrundgesprächen darauf hin, dass die CSU doch schon jetzt einen beträchtlichen Erfolg vorweisen könne. Man habe „der EU Beine gemacht“ und „in Brüssel für Bewegung gesorgt“. Ohne die Entschlossenheit der bayerischen Christsozialen „wäre doch gar nichts passiert“, heißt es. Das müsse man den Bürgern auch gar nicht mehr sagen, „das ist doch offensichtlich“.

    In der CSU bahnt sich offenbar ein Stimmungswandel an

    Befördert wird der Stimmungswandel, der sich seit einigen Tagen andeutet, auch durch einige aktuelle Umfragen, in denen Seehofer und Söder deutlich schlechter abschneiden als vor ihrem Konfliktkurs mit der CDU. Ein Landtagsabgeordneter sagt über die beiden Herren, die die Doppelspitze der CSU bilden: „Die sitzen ganz hoch oben im Baum und wissen nicht, wie sie wieder runterkommen.“ Eine Abgeordnete sagt: „Wenn die so weitermachen, dann ist das nicht mehr meine Partei.“ Doch solche Stimmen sind die Ausnahme.

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

    Eine große Mehrheit in der CSU-Landtagsfraktion, die sich selbst stolz als „Herzkammer“ der Partei bezeichnet, steht nach Recherchen unserer Redaktion hinter der Strategie von Seehofer und Söder. Doch anders als noch in der Vorwoche sagt kaum mehr einer, dass man zur Not halt die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufkündigen solle: „Wir müssen den Druck aufrechterhalten, aber es darf nicht zum Bruch kommen.“

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