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Asylstreit: Chaos-Tage in Berlin bei CDU und CSU

Asylstreit

Chaos-Tage in Berlin bei CDU und CSU

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    Horst Seehofer und Angela Merkel sind weiterhin zerstritten. Im Asylstreit beharrt die CSU auf ihrer Forderung nach Abweisungen an deutschen Grenzen.
    Horst Seehofer und Angela Merkel sind weiterhin zerstritten. Im Asylstreit beharrt die CSU auf ihrer Forderung nach Abweisungen an deutschen Grenzen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Alleingang, Vertrauensfrage, maximale Konfrontation: Im Asylstreit zwischen CDU und CSU ist inzwischen nichts mehr ausgeschlossen – nicht einmal ein Bruch der seit Jahrzehnten bewährten Fraktionsgemeinschaft im Bundestag. „Für eine gemeinsame Fraktion könnte es sehr eng werden“, betonte ein führendes Mitglied der

    Ein vorzeitiges Ende der Koalition ist in den Bereich des Möglichen gerückt

    Nach einem dramatischen Tag im Bundestag ist selbst ein vorzeitiges Ende der Koalition in den Bereich des Möglichen gerückt. Ein Alleingang eines Ministers gegen den erklärten Willen der Kanzlerin würde vermutlich das Aus für die schwarz-rote Bundesregierung bedeuten.

    „Die Lage in der Union ist ernst, wir bei der SPD betrachten das mit einer gewissen Sorge“, betonte Justizministerin Katarina Barley gegenüber unserer Zeitung. Zuvor hatten CDU und CSU eine Bundestagsdebatte für mehr als vier Stunden unterbrechen lassen und sich zu getrennten Beratungen zurückgezogen. Die Kanzlerin sieht sich durch die überwiegend positive Reaktion der CDU-Abgeordneten gestärkt. Am Abend distanzierte sich Merkel erneut von Seehofers Plan eines Alleingangs bei Zurückweisungen. Dabei würden „Grundprinzipien unseres Herangehens berührt“. Sie will erst mit der EU verhandeln.

    CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dagegen sagt, es sei dringend nötig, Flüchtlinge abzuweisen, „um wieder Ordnung an den Grenzen zu schaffen“. Dieser Schritt sei gedeckt durch deutsches und europäisches Recht. Am Montag will der Parteivorstand Seehofer mit einem entsprechenden Beschluss den Rücken stärken.

    Um den Streit in der Union geht es auch in unserem aktuellen Podcast. Hier reinhören:

    „Wir sind im Endspiel um die Glaubwürdigkeit“, warnte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel forderte Merkel auf, seiner Partei entgegenzukommen. „Ich erwarte von der Kanzlerin, dass sie einen Weg vorschlägt, der nationales Handeln möglich macht, solange es keine befriedigende europäische Lösung gibt“, sagte Waigel unserer Zeitung. Gleichzeitig warnte er die CSU-Landesgruppe vor einer Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft: „Der Bruch hätte 1976 nicht funktioniert und auch jetzt würde niemand davon profitieren.“ Im Trennungsbeschluss von Kreuth hatte die CSU der CDU die Gefolgschaft aufgekündigt, dies aber wenig später wieder zurückgenommen.

    Die Unions-Fraktion

    Seit Gründung des Deutschen Bundestags 1949 sind die Abgeordneten der Schwesterparteien CDU und CSU in einer einzigen Fraktion mit einem gemeinsamen Vorsitzenden vereint.

    Zu solchen Fraktionsgemeinschaften können sich laut Geschäftsordnung des Bundestags solche Parteien zusammenschließen, "die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen". Bei Wahlen tritt die CDU nicht in Bayern an, die CSU nur dort.

    Im Jahr 1976 hatte der damalige CSU-Chef Franz-Josef Strauß im Streit mit der CDU schon einmal die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt. Umgesetzt wurde der "Kreuther Trennungsbeschluss" aber nie.

    Kern des Konflikt: Welche Flüchtlinge dürfen in Die BRD einreisen?

    Kern des Konfliktes ist die Frage, welche Flüchtlinge noch in die Bundesrepublik einreisen dürfen. Im Gegensatz zur CSU will die Kanzlerin nur Menschen an der Grenze zurückweisen, deren Asylantrag in Deutschland bereits abgelehnt worden ist. Flüchtlinge ohne gültige Papiere oder Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU- Land registriert wurden, sollen nach ihrem Willen weiter einreisen dürfen. Die SPD denkt nach den Worten von Barley ähnlich und beruft sich auf den Koalitionsvertrag, der keine nationalen Alleingänge vorsehe.

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

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