Alle reden von Abschiebung – doch jeder zweite abgelehnte Asylbewerber bleibt offenbar hier. Nach einer neuen Studie der Europäischen Stabilitätsinitiative, einer Denkfabrik aus Berlin, steigt zwar in vielen EU-Ländern die Zahl der Ausreisepflichtigen, gleichzeitig jedoch stagniert die Zahl der Abschiebungen auf niedrigem Niveau.
Wer einmal in Europa ist, bleibt meistens auch dort
Nimmt man Balkanländer wie Mazedonien, Serbien oder Albanien aus der Statistik heraus, weil in diese Staaten inzwischen vergleichsweise schnell und unkompliziert abgeschoben wird, dann wurden aus der Bundesrepublik im Jahr 2014 lediglich 6015 Menschen „rückgeführt“, wie es im Behördenjargon heißt. Ein Jahr später waren es nur noch 5303, im vergangenen Jahr 7451. Italien, das unter dem Andrang der Flüchtlinge ähnlich stark leidet, hat im gleichen Zeitraum zwischen 2700 und 3700 abgelehnte Asylbewerber pro Jahr in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt – bei weiter steigenden Flüchtlingszahlen. Freiwillige Ausreisen sind in dieser Statistik nicht enthalten, aber deren Entwicklung verläuft nach Angaben der Stabilitätsinitiative parallel, das heißt: wenig zufriedenstellend.
Dramatisch ist diese Entwicklung, weil inzwischen kaum noch Flüchtlinge aus den Balkanländern kommen, sondern zunehmend aus afrikanischen und asiatischen Regionen, in die die EU nicht zurückschicken dürfe. Das zeigt das Beispiel Nigeria. Von rund 14000 abgelehnten Aufnahmegesuchen im Vorjahr wurden nur 120 auch vollzogen. De facto bleibt also, wer aus Afrika kommt, am Ende in Europa. Ob er abgelehnt oder akzeptiert wurde, scheint nebensächlich.
Auf der Tagesordnung des EU-Gipfels am Donnerstag steht das Thema ganz oben: der aktuelle Stand zur Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung. 81292 Menschen kamen in diesem Jahr bisher über die Mittelmeer-Route. Nach den Expertisen der Grenzschutzagentur Frontex wird allerdings nur die Hälfte der Ankömmlinge als Flüchtlinge oder Asylbewerber anerkannt. Der große Rest könnte nach europäischem und nationalem Recht abgeschoben werden. Mehr als 40 Prozent der abgelehnten Bewerber bleiben jedoch, weil Abschiebungen ausbleiben oder ausgesetzt werden wie die aus Deutschland nach Afghanistan.
Die EU-Staaten finden keine gemeinsame Linie im Abschiebeverfahren
Dabei hatte nicht nur die Bundeskanzlerin im September 2016 eine nationale Kraftanstrengung gefordert, um die Rückkehr von Nicht-Asylberechtigten zu beschleunigen. Auch die Brüsseler EU-Kommission hatte versprochen, die Rückkehrer-Quoten zu erhöhen. Italiens Innenminister Marco Mattini hatte noch im März gesagt: „Wir werden Abschiebungen systematisch steigern und eine klare Botschaft an alle senden, die nach Europa wollen.“
Wie schwierig schon das Miteinander der EU-Staaten untereinander ist, zeigt ein Verfahren, das derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg läuft. Dort hat ein eritreischer Staatsbürger geklagt, der in der Bundesrepublik bleiben will, weil die Gerichte sein Verfahren angeblich verschleppt haben. Da er in Italien europäischen Boden erreicht hatte, sollte er aus Deutschland auch wieder dorthin zurück – ganz im Sinne der EU-Asylregeln. Generalanwältin Eleanor Sharpston wies die Klage gestern zwar zurück, eine Abschiebung in seine Heimat muss der Mann allerdings nicht befürchten. Eritrea gehört zu den Ländern, in die Europa prinzipiell nicht abschiebt, egal wie die Bitte um internationalen Schutz entschieden wird.
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