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Asylpolitik: Was hat Merkel auf dem EU-Gipfel erreicht? Die wichtigsten Antworten

Asylpolitik

Was hat Merkel auf dem EU-Gipfel erreicht? Die wichtigsten Antworten

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    Kanzlertreffen auf dem EU-Gipfel: Angela Merkel und Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz.
    Kanzlertreffen auf dem EU-Gipfel: Angela Merkel und Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz. Foto: Virginia Mayo, dpa

    Gesucht war eine europäische Lösung im Asylstreit. Nach über zehnstündigen Beratungen haben die 28 Staats- und Regierungschefs der EU am Freitagmorgen einen Kompromiss gefunden. Doch reicht der, damit Kanzlerin Angela Merkel in den nächsten Tagen eine Regierungskrise vermeiden kann? Und was bedeuten die Beschlüsse konkret und sind sie in der Praxis umsetzbar? Einige Antworten auf wichtige Fragen.

    Wie will die EU das Problem der lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer und der illegalen Einwanderung nicht asylberechtigter Migranten in den Griff bekommen?

    Flüchtlinge sollen künftig zuerst in Lager gebracht werden, die außerhalb der EU in dem Papier sperrig „Ausschiffungsplattformen“, innerhalb der EU „Anlandezentren“ genannt werden. Die Flüchtlingslager außerhalb der EU könnten in Nordafrika, eventuell auch in Balkanstaaten entstehen. In den geschlossenen Camps sollen die Flüchtlinge registriert werden. Asylberechtigte können in die EU-Staaten reisen, alle anderen müssen in ihr Herkunftsland zurückkehren. Die Seenot-Rettung im Mittelmeer bleibt Aufgabe der EU-Hilfsmission „Sophia“ sowie der Mitgliedstaaten und der neuen EU-Grenzschutzpolizei. Für Schiffe von privaten Hilfsorganisationen wie der „Lifeline" soll es konkrete Einsatzvorschriften geben. Wie seit langem geplant, soll die EU-Behörde Frontex zu einer echten Außengrenzschutz-Organisation ausgebaut werden. Auch Finanzmittel für die Sahel-Region, die viele Flüchtlinge aus Afrika durchqueren, und für die libysche Küstenwache sollen aufgestockt werden.

    Wie realistisch ist es, dass nordafrikanische Staaten und Balkanländer tatsächlich Flüchtlingslager auf ihrem Boden errichten lassen, um der EU in der Krise zu helfen?

    Noch ist völlig offen, wann und wo die Zentren entstehen – das gilt für die inner- und außerhalb der EU geplanten Einrichtungen gleichermaßen. Bislang hat sich keines der fraglichen Länder bereit erklärt, solche Lager zu beherbergen. Im Gegenteil. Marokkos Außenminister Nasser Bourita nannte die Pläne sogar kontraproduktiv: „Marokko lehnt solche Methoden in der Frage der Flüchtlingsströme ab und hat sie immer abgelehnt.“ Auch der albanische Regierungschef Edi Rama hält die Idee eines Asylzentrums der EU in seinem Land für abwegig. „Wir werden niemals solche EU-Flüchtlingslager akzeptieren. „Im Gespräch sind auch Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. So kommt es nun auf das politische Verhandlungsgeschick der EU an – und vor allem auf die finanziellen Mittel, die Brüssel den betroffenen Staaten zur Versorgung der Flüchtlinge anbieten wird. Ein Vorbild könnte dabei der sogenannte Türkei-Deal sein, der die Zahl der Flüchtlinge nach Griechenland deutlich reduziert hat, aber hoch umstritten ist.

    Wer soll die Flüchtlingslager außerhalb Europas betreiben, wenn es der EU gelingt, andere Staaten davon zu überzeugen?

    Um die Einhaltung der Menschenrechts-Standards in den Flüchtlingslagern zu gewährleisten, sollen die außereuropäischen Aufnahmezentren vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR betreut werden und von der Internationalen Organisation für Migration IOM – einer von 166 Staaten getragenen Hilfsorganisation für Flüchtlinge für Krisen und Naturkatastrophen, die weltweit Hilfsprogramme organisiert.

    Gibt es politische und rechtliche Hindernisse, wenn die EU ihre Asylentscheidungen auf außereuropäischem Boden treffen will und Flüchtlinge dorthin zurückweist?

    Diese Frage ist völkerrechtlich umstritten und könnte zum Knackpunkt werden, da die Europäische Union an die Genfer Flüchtlingskonvention und an ihre eigene Grundrechte-Charta gebunden ist. „Die geplanten Rückführungen auf See in Internierungslager wären ein Bruch mit dem Völkerrecht“, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Auch UNHCR und IOM stehen Zentren außerhalb der EU kritisch gegenüber: „Wir unterstützen keinerlei Vorschläge, den Asylprozess zu verlagern, wenn das zum Ziel hat, die Verantwortung abzuschieben und

    So halten es andere EU-Staaten mit Einreisebeschränkungen

    ÖSTERREICH Zwei Tage nach Beginn der deutschen Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze am 14. September 2015 zog Österreich nach. Seitdem wird die Grenze zu Ungarn und Slowenien auch mit Hilfe von Soldaten im sogenannten Assistenzeinsatz kontrolliert.

    Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) behält es sich vor, mit Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli bis zum Jahresende Binnengrenzkontrollen anlassbezogen, temporär, punktuell und selektiv zu allen Nachbarstaaten Österreichs anzuordnen.

    DÄNEMARK hat Anfang 2016 Kontrollen an der Grenze zu Deutschland eingeführt und seitdem mehr als 5500 Ausländer abgewiesen. Die meisten kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak und hatten kein Visum oder gefälschte Pässe. Dänemark schickt möglichst viele Flüchtlinge zurück in andere EU-Länder, die bereits dort Asyl beantragt haben. Aus dem Quotensystem der UNHCR ist Dänemark ausgestiegen. Die Regierung hat beschlossen, vorerst keine Quotenflüchtlinge aufzunehmen. 

    FRANKREICH hat Ende 2015 die innerhalb des Schengenraums eigentlich ausgesetzten Grenzkontrollen wieder eingeführt. Im vergangenen Jahr wurde 85.000 Ausländern die Einreise nach Frankreich verweigert. Dies betrifft vor allem die Grenze zu ITALIEN - im Nachbarland kamen seit 2014 mehr als 630.000 Migranten über das Mittelmeer an.

    Die französische Polizei stoppt in der Region östlich von Nizza zahlreiche Menschen, die keine Aufenthaltsberechtigung für Frankreich haben, und schickt sie zurück ins Nachbarland. Rechtliche Grundlage ist eine 1997 geschlossene Vereinbarung mit Italien, wonach beide Staaten Drittstaatler zurücknehmen, die von ihrem Gebiet aus ins jeweils andere Land gereist sind, ohne die dafür nötigen Papiere zu haben.

    Wer in GRIECHENLAND einen Asylantrag stellt, muss lange warten, da es an Bearbeitern fehlt. 2017 erhielten gut 12.000 Menschen Asylstatus/Subsidiären Schutz. In den sogenannten Hotspots auf den Ägäis-Inseln warten zurzeit knapp 17.000 Menschen auf Asylentscheidungen. Viele stellen erst gar keinen Antrag, sie hoffen, mit Hilfe von Schleusern weiter zu kommen Richtung Norden und Westen.

    Die NIEDERLANDE versuchen, nach dem Dublin-Verfahren Asylbewerber zurückzuschicken, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben. Das gelingt aber nur in 15 Prozent der Fälle, ergab eine Untersuchung des Rechnungshofes im Juni. Belgien, Frankreich und Deutschland nahmen von 2014 bis 2016 nur 20 bis 30 Prozent wieder auf.

    Von abgewiesenen Asylbewerbern verlassen dem Bericht zufolge weniger als die Hälfte die Niederlande. Auch Migranten aus sogenannten sicheren Staaten sollen schnell in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Zunächst werden aber auch bei diesen Asylanträge geprüft. 2017 kamen 31.000 Asylsuchende in die Niederlande, die meisten aus Syrien (35 Prozent) und Eritrea (13).

    POLENS nationalkonservative Regierung gilt als Gegner der Aufnahme von Flüchtlingen. Warschau verweigert unter Verweis auf Sicherheitsgründe und Terrorgefahren die von der EU beschlossene Umverteilung von Migranten und treibt zusätzlich zu den geltenden Dublin-Regeln und EU-Vereinbarungen strengere Einreisebestimmungen voran.

    Änderungen der Migrationsgesetze sollen Abschiebungen vereinfachen, zudem ist mehr Zeit für den Grenzschutz vorgesehen, um Asylanträge zu überprüfen. Laut Einwanderungsbehörde stellten 2017 etwa 5000 Menschen in Polen Antrag auf Asyl, 520 Fälle - vor allem aus der Ukraine, Russland und Tadschikistan - wurden anerkannt.

    TSCHECHIEN hält illegal eingereiste Ausländer, die keinen Asylantrag stellen, bis zur Abschiebung oder Rückführung in eingezäunten Anlagen fest. Menschenrechtsaktivisten vergleichen die Einrichtungen mit Gefängnissen. Bei Ausländern, die bereits in einem anderen EU-Staat als Asylbewerber registriert sind, setzt Tschechien das sogenannte Dublinverfahren ein.

    Im vorigen Jahr wurden auf diese Weise 94 Menschen in andere EU-Staaten überstellt, es wurden aber auch 420 Asylbewerber zurückgenommen, darunter 235 aus Deutschland. Grundsätzlich ist Tschechien für seine harte Haltung in der Flüchtlingsfrage bekannt. Es gibt keine dauerhaften Kontrollen an den tschechischen Grenzen, weil das Land von anderen Schengen-Staaten umgeben ist.

    UNGARN ist bestrebt, mit einer strikten Abschottungspolitik Flüchtlinge und Migranten abzuschrecken. Die "Einreisebeschränkung" besteht vor allem aus einem bis zu vier Meter hohen Metall- und Stacheldrahtzaun an den Grenzen zu Serbien und Kroatien. Flüchtlinge, die die Sperranlagen mit Hilfe von Schleppern überwinden, werden mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit aufgegriffen und rasch und ohne Möglichkeit einer Anhörung nach Serbien zurück geschoben.

    Asylrechtsexperten und internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR halten diese Praxis der "push-backs" für illegal. Unmittelbar an der Grenze zu Serbien hat Ungarn zwei sogenannte Transitzonen eingerichtet. Den Abschluss von Asylverfahren müssen die Menschen dort abwarten. 2017 gewährte Ungarn 1300 Flüchtlingen Asyl oder Schutzstatus. So gut wie alle reisten über die Schengen-Binnengrenze in den Westen Europas weiter.

    Die SLOWAKEI gehört zu den flüchtlingsfeindlichsten Ländern der Europäischen Union. Dafür braucht sie aber keine speziellen Gesetze, sondern legt die geltenden Dublin-Regeln und EU-Vereinbarungen so restriktiv wie möglich aus. Da die Slowakei mit Ausnahme einer gut gesicherten und nur sehr kurzen Grenze zur Ukraine nur von EU-Ländern umgeben ist, kann sie praktisch alle ins Land kommenden Flüchtlinge als illegale Immigranten behandeln und wie Kriminelle internieren.

    Anspruch auf eine bessere Behandlung hat theoretisch zwar jeder, der einen formellen Asylantrag stellt. In der Praxis tut das aber kaum jemand, um nicht durch eine fast sichere slowakische Ablehnung die Möglichkeit zu verwirken, einen späteren Asylantrag in einem flüchtlingsfreundlicheren EU-Land zu stellen.

    In BULGARIEN sollen Migranten laut Gesetz nur über die offiziellen Grenzübergänge einreisen, wo sie registriert werden. Flüchtlinge, die nicht auf legalem Weg gekommen sind, um Asyl zu beantragen, müssen sich unverzüglich bei den Behörden melden, um ihre illegale Einreise zu begründen.

    Das südosteuropäische Land verhindert die illegale Einreise von Migranten über die EU-Außengrenze zur Türkei durch einen Zaun mit Stacheldraht entlang dieser 259 Kilometer langen Grenze. "Der Migrationsdruck bei uns ist gleich Null", sagte jüngst Regierungschef Boiko Borissow. Über Einreisebeschränkungen wird in Bulgarien, das als Transitland gilt, nicht diskutiert. (Quelle: dpa)

    Wie viel Geld nimmt die EU in die Hand, um die Pläne umzusetzen?

    Die EU hat in ihrem Haushaltsentwurf für die sieben Jahre ab 2021 gut 18 Milliarden Euro für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Migration vorgesehen. Die Einrichtung der Zentren kommt aber wohl noch dazu. Im Raum steht eine Schätzung von rund sechs Milliarden Euro. Dies wäre der gleiche Betrag, den die Union der Türkei in zwei Raten für die Betreuung von Syrien-Flüchtlingen überweist.

    Gibt es eine Lösung im Streit um die Rücknahme registrierter Flüchtlinge innerhalb der EU?

    In der Schlusserklärung des Gipfels heißt es: Die Mitgliedstaaten „sollten“ alle erforderlichen Maßnahmen sicherstellen, um eine Wanderung von Flüchtlingen durch mehrere Länder zu unterbinden. Wer bereits in einem Land registriert wurde, aber in ein anderes einzureisen versucht, kann zurückgeschickt werden. Allerdings lässt auch diese Formulierung Spielraum, sich daran zu halten – oder nicht. Konkrete Zusagen liegen von Frankreich, Spanien, Griechenland und Österreich vor. Die Bundesregierung strebt schnelle Abkommen mit

    Werden Flüchtlinge nun solidarisch unter den EU-Ländern verteilt?

    Nein, die früher von Deutschland geforderte verbindliche Quotenregelung soll es nicht geben. Stattdessen heißt es, dass alle 28, allerdings nur auf freiwilliger Basis, Flüchtlinge aufnehmen sollen. „Wenn jemand Flüchtlinge aufnehmen will, bitte sehr“, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und machte deutlich das sein Land dazu nicht gehöre. Prinzipiell soll künftig gelten, dass sich Flüchtlinge nicht aussuchen können, wohin sie kommen, sondern zugewiesen werden.

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