Bundesinnenminister Horst Seehofer hat mit Unverständnis auf Rücktrittsforderungen wegen seiner flapsigen Bemerkung über Abschiebungen nach Afghanistan reagiert. "Da sag' ich gar nix dazu, weil ich sie einfach nicht verstehe", sagte der CSU-Chef am Mittwochabend in Innsbruck. Am Mittwoch war bekannt geworden, dass sich einer der 69 afghanischen Asylbewerber des jüngsten Abschiebeflugs aus Deutschland in der afghanischen Hauptstadt Kabul das Leben genommen hat.
Einen Tag zuvor hatte Seehofer mit verschmitztem Gesicht zu den Abschiebungen gesagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war." Mehrere Politiker der Opposition forderten den Rücktritt Seehofers als Innenminister.
Über den Tod des Mannes äußerte sich Seehofer betroffen. "Das ist zutiefst bedauerlich, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen", sagte er. Der Flüchtling sei dem Innenministerium von der Stadt Hamburg für die Abschiebung gemeldet worden. "Die Bundesländer führen uns diese Personen zu, und wir unterstützen die Bundesländer bei diesen Abschiebungen." Man müsse die Hamburger Behörden fragen, "warum sie diese Person vorgeschlagen haben".
Seinen Tonfall bedauerte Seehofer jedoch auch nach dem Freitod des Afghanen nicht: "Das wusste ich gestern nicht. Das ist heute in der Früh bekannt geworden." Er, Seehofer, habe am Dienstag gesagt: "Wie das Leben oft so spielt. Hab sogar noch dazu gesagt: Nicht organisiert. Und dann wird da etwas draus gemacht."
Kritik an Seehofer: "Abschiebungen eignen sich nicht für Scherze"
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt mahnte: "Abschiebungen eignen sich nicht für Scherze." Bei Seehofer seien Entscheidungen über Menschenleben deshalb "in schlechten Händen". Die Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke konstatierte, Seehofer habe "ganz offenbar ein unheilbares Defizit an Mitmenschlichkeit". Es sei höchste Zeit, dass Bundeskanzlerin "Merkel den Mann rausschmeißt". Sie forderte auch ein Ende der Abschiebungen nach Afghanistan. "Die Lage dort wird immer schlimmer, aber Deutschland weitet die Abschiebungen aus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das tödliche Folgen hat."
Mitarbeiter des afghanischen Flüchtlingsministeriums hatten der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch gesagt, der junge Mann sei am Dienstag in einer von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zur Verfügung gestellten vorübergehenden Unterkunft in Kabul tot aufgefunden worden. Er stamme aus der nordafghanischen Provinz Balkh und habe acht Jahre in Deutschland gelebt.
Die wichtigsten Akteure im europäischen Flüchtlingskonflikt (Stand: Juni 2018)
Horst Seehofer und die CSU
Der Bundesinnenminister hat ein Maßnahmenpaket zur Migration erarbeitet, die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze ist ein Teil davon. Der CSU-Vorsitzende begründet dies mit der Sicherheit in Deutschland und der Stimmung in der Bevölkerung. Um seine harte Linie durchzusetzen, scheint er sogar zum Bruch mit der CDU bereit, mit einem Zerfall der Regierungskoalition als Folge. Kritiker werfen Seehofer vor, allein einen Erfolg der CSU bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst im Blick zu haben. Doch in der CDU wird auch vermutet, dass Seehofer eigentlich Merkels Sturz zum Ziel hat.
Angela Merkel
Die Kanzlerin ist die Getriebene in dem Konflikt. Unter dem Druck der CSU hat sie zugesagt, bis Monatsende über bilaterale Abkommen zu Zurückweisungen zu verhandeln – obwohl sie solche Maßnahmen eigentlich ablehnt. Nun will sie wenigstens eine europäische Lösung dazu hinbekommen. Doch in Europa schlägt ihr überwiegend Ablehnung entgegen, ihre wichtigsten Verbündeten sind Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Was immer Merkel erreicht, der Konflikt hat sie bereits jetzt als Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gefährlich geschwächt.
Emmanuel Macron
Der französische Präsident warnt vor einer anti-europäischen Stimmung, die sich "wie die Lepra fast überall in Europa breitmacht". Er spricht sich gegen Nationalismus und geschlossene Grenzen aus und wirbt zusammen mit Kanzlerin Merkel für gemeinsame EU-Asylstandards und mehr Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen. Kritiker auch in seiner eigenen Partei werfen Macron Doppelmoral vor: Denn Frankreich weist an der Grenze zu Italien systematisch Flüchtlinge ab.
Italiens Regierung mit Innenminister Matteo Salvini
Unter der neuen Populisten-Regierung geht Rom auf Konfrontationskurs zu Merkel. Treibende Kraft ist Innenminister Matteo Salvini, Chef der fremdenfeindlichen Lega. Er weigert sich, bereits in Italien registrierte Asylbewerber wieder zurückzunehmen: "Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen." Damit droht er, Merkels Plan für bilaterale Abkommen zum Scheitern zu bringen. Stattdessen zeigt sich Rom offen für die Zusammenarbeit mit EU-Staaten wie Österreich, die ebenfalls auf eine harte Gangart in der Migrationspolitik drängen.
Sebastian Kurz und die ÖVP-FPÖ-Koalition in Wien
Österreichs Bundeskanzler will mit einer "Achse der Willigen" eine restriktivere Migrationspolitik in Europa durchsetzen. Er wirbt dabei für eine regionale Zusammenarbeit zwischen Rom, Wien und Berlin – wobei er insbesondere Seehofer im Blick hat. Sollte Deutschland die Grenzkontrollen verschärfen, kündigte Kurz seinerseits Kontrollen an Österreichs Südgrenzen an. Zugleich positioniert er sich als Vermittler zwischen den westlichen EU-Mitgliedern und den osteuropäischen Visegrad-Staaten, die eine Flüchtlingsaufnahme strikt ablehnen. Ab 1. Juli übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft und will dem Schutz der EU-Außengrenzen Priorität einräumen.
Jean Claude Juncker
Der EU-Kommissionspräsident und seine Behörde versuchen seit der Flüchtlingskrise vergeblich, eine Umverteilung von Flüchtlingen aus den stark belasteten Ankunftsländern im Süden Europas auf alle EU-Staaten durchzusetzen – er scheiterte am Widerstand osteuropäischer Länder. In ihren Vorschlägen für den künftigen EU-Finanzrahmen schlug die Kommission jüngst eine massive Aufstockung der Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex von 1000 auf 10.000 Beamte vor sowie eine stärkere finanzielle Unterstützung von Ländern bei der Flüchtlingsaufnahme. (AFP)
Ein Sprecher der Hamburger Ausländerbehörde wies darauf hin, dass Hamburg "nur Straftäter und Gefährder nach Afghanistan" sowie Menschen, die sich der Identitätsfeststellung verweigerten, abschiebe. Der Mann sei rechtskräftig wegen Diebstahls, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. Es hätten noch weitere Strafanzeigen vorgelegen - unter anderem wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung.
Afghanische Behörden hätten am Mittwoch bestätigt, dass es sich um Suizid handele, fügte ein BMI-Sprecher hinzu. Die geschilderten Umstände deuteten stark darauf hin. Ein Bekannter des Toten aus der Übergangsunterkunft sagte der dpa, der Mann sei ein Einzelgänger gewesen. "Er hat mit niemandem gesprochen und war am liebsten mit sich alleine."
Seehofer wird für flapsige Bemerkung kritisiert
Mit dem jüngsten Abschiebeflug hatte allein Bayern hatte 51 Afghanen in den Flieger gesetzt. Außerdem hatten sich laut BMI die Länder Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Berlin, Rheinland-Pfalz, Hessen und Schleswig-Holstein beteiligt. Flüchtlingsaktivisten von Pro Asyl und vom Bayerischem Flüchtlingsrat hatten kritisiert, dass die seit einem schweren Anschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul geltende Selbstverpflichtung, nur Straftäter, terroristische Gefährder und sogenannte Identitätstäuscher abzuschieben, vor allem in Bayern weggefallen sei.
So halten es andere EU-Staaten mit Einreisebeschränkungen
ÖSTERREICH Zwei Tage nach Beginn der deutschen Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze am 14. September 2015 zog Österreich nach. Seitdem wird die Grenze zu Ungarn und Slowenien auch mit Hilfe von Soldaten im sogenannten Assistenzeinsatz kontrolliert.
Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) behält es sich vor, mit Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli bis zum Jahresende Binnengrenzkontrollen anlassbezogen, temporär, punktuell und selektiv zu allen Nachbarstaaten Österreichs anzuordnen.
DÄNEMARK hat Anfang 2016 Kontrollen an der Grenze zu Deutschland eingeführt und seitdem mehr als 5500 Ausländer abgewiesen. Die meisten kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak und hatten kein Visum oder gefälschte Pässe. Dänemark schickt möglichst viele Flüchtlinge zurück in andere EU-Länder, die bereits dort Asyl beantragt haben. Aus dem Quotensystem der UNHCR ist Dänemark ausgestiegen. Die Regierung hat beschlossen, vorerst keine Quotenflüchtlinge aufzunehmen.
FRANKREICH hat Ende 2015 die innerhalb des Schengenraums eigentlich ausgesetzten Grenzkontrollen wieder eingeführt. Im vergangenen Jahr wurde 85.000 Ausländern die Einreise nach Frankreich verweigert. Dies betrifft vor allem die Grenze zu ITALIEN - im Nachbarland kamen seit 2014 mehr als 630.000 Migranten über das Mittelmeer an.
Die französische Polizei stoppt in der Region östlich von Nizza zahlreiche Menschen, die keine Aufenthaltsberechtigung für Frankreich haben, und schickt sie zurück ins Nachbarland. Rechtliche Grundlage ist eine 1997 geschlossene Vereinbarung mit Italien, wonach beide Staaten Drittstaatler zurücknehmen, die von ihrem Gebiet aus ins jeweils andere Land gereist sind, ohne die dafür nötigen Papiere zu haben.
Wer in GRIECHENLAND einen Asylantrag stellt, muss lange warten, da es an Bearbeitern fehlt. 2017 erhielten gut 12.000 Menschen Asylstatus/Subsidiären Schutz. In den sogenannten Hotspots auf den Ägäis-Inseln warten zurzeit knapp 17.000 Menschen auf Asylentscheidungen. Viele stellen erst gar keinen Antrag, sie hoffen, mit Hilfe von Schleusern weiter zu kommen Richtung Norden und Westen.
Die NIEDERLANDE versuchen, nach dem Dublin-Verfahren Asylbewerber zurückzuschicken, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben. Das gelingt aber nur in 15 Prozent der Fälle, ergab eine Untersuchung des Rechnungshofes im Juni. Belgien, Frankreich und Deutschland nahmen von 2014 bis 2016 nur 20 bis 30 Prozent wieder auf.
Von abgewiesenen Asylbewerbern verlassen dem Bericht zufolge weniger als die Hälfte die Niederlande. Auch Migranten aus sogenannten sicheren Staaten sollen schnell in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Zunächst werden aber auch bei diesen Asylanträge geprüft. 2017 kamen 31.000 Asylsuchende in die Niederlande, die meisten aus Syrien (35 Prozent) und Eritrea (13).
POLENS nationalkonservative Regierung gilt als Gegner der Aufnahme von Flüchtlingen. Warschau verweigert unter Verweis auf Sicherheitsgründe und Terrorgefahren die von der EU beschlossene Umverteilung von Migranten und treibt zusätzlich zu den geltenden Dublin-Regeln und EU-Vereinbarungen strengere Einreisebestimmungen voran.
Änderungen der Migrationsgesetze sollen Abschiebungen vereinfachen, zudem ist mehr Zeit für den Grenzschutz vorgesehen, um Asylanträge zu überprüfen. Laut Einwanderungsbehörde stellten 2017 etwa 5000 Menschen in Polen Antrag auf Asyl, 520 Fälle - vor allem aus der Ukraine, Russland und Tadschikistan - wurden anerkannt.
TSCHECHIEN hält illegal eingereiste Ausländer, die keinen Asylantrag stellen, bis zur Abschiebung oder Rückführung in eingezäunten Anlagen fest. Menschenrechtsaktivisten vergleichen die Einrichtungen mit Gefängnissen. Bei Ausländern, die bereits in einem anderen EU-Staat als Asylbewerber registriert sind, setzt Tschechien das sogenannte Dublinverfahren ein.
Im vorigen Jahr wurden auf diese Weise 94 Menschen in andere EU-Staaten überstellt, es wurden aber auch 420 Asylbewerber zurückgenommen, darunter 235 aus Deutschland. Grundsätzlich ist Tschechien für seine harte Haltung in der Flüchtlingsfrage bekannt. Es gibt keine dauerhaften Kontrollen an den tschechischen Grenzen, weil das Land von anderen Schengen-Staaten umgeben ist.
UNGARN ist bestrebt, mit einer strikten Abschottungspolitik Flüchtlinge und Migranten abzuschrecken. Die "Einreisebeschränkung" besteht vor allem aus einem bis zu vier Meter hohen Metall- und Stacheldrahtzaun an den Grenzen zu Serbien und Kroatien. Flüchtlinge, die die Sperranlagen mit Hilfe von Schleppern überwinden, werden mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit aufgegriffen und rasch und ohne Möglichkeit einer Anhörung nach Serbien zurück geschoben.
Asylrechtsexperten und internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR halten diese Praxis der "push-backs" für illegal. Unmittelbar an der Grenze zu Serbien hat Ungarn zwei sogenannte Transitzonen eingerichtet. Den Abschluss von Asylverfahren müssen die Menschen dort abwarten. 2017 gewährte Ungarn 1300 Flüchtlingen Asyl oder Schutzstatus. So gut wie alle reisten über die Schengen-Binnengrenze in den Westen Europas weiter.
Die SLOWAKEI gehört zu den flüchtlingsfeindlichsten Ländern der Europäischen Union. Dafür braucht sie aber keine speziellen Gesetze, sondern legt die geltenden Dublin-Regeln und EU-Vereinbarungen so restriktiv wie möglich aus. Da die Slowakei mit Ausnahme einer gut gesicherten und nur sehr kurzen Grenze zur Ukraine nur von EU-Ländern umgeben ist, kann sie praktisch alle ins Land kommenden Flüchtlinge als illegale Immigranten behandeln und wie Kriminelle internieren.
Anspruch auf eine bessere Behandlung hat theoretisch zwar jeder, der einen formellen Asylantrag stellt. In der Praxis tut das aber kaum jemand, um nicht durch eine fast sichere slowakische Ablehnung die Möglichkeit zu verwirken, einen späteren Asylantrag in einem flüchtlingsfreundlicheren EU-Land zu stellen.
In BULGARIEN sollen Migranten laut Gesetz nur über die offiziellen Grenzübergänge einreisen, wo sie registriert werden. Flüchtlinge, die nicht auf legalem Weg gekommen sind, um Asyl zu beantragen, müssen sich unverzüglich bei den Behörden melden, um ihre illegale Einreise zu begründen.
Das südosteuropäische Land verhindert die illegale Einreise von Migranten über die EU-Außengrenze zur Türkei durch einen Zaun mit Stacheldraht entlang dieser 259 Kilometer langen Grenze. "Der Migrationsdruck bei uns ist gleich Null", sagte jüngst Regierungschef Boiko Borissow. Über Einreisebeschränkungen wird in Bulgarien, das als Transitland gilt, nicht diskutiert. (Quelle: dpa)
Dem Bayerischen Flüchtlingsrat zufolge standen beim jüngsten Flug auch Auszubildende, darunter ein Bäcker-Azubi, Berufsschüler und ein Mann in einem festen Arbeitsverhältnis auf der Abschiebeliste. Die Organisation Pro Asyl ließ verlauten, der Tod des Mannes werfe "ein Schlaglicht auf die Brutalität" der Abschiebungspraxis. "Durch die Abschiebung in eine perspektivlose Lage und in ein Land, dessen Realität er kaum noch kennt, wurde der junge Mann offenbar in eine Lage getrieben, in der er keinen Ausweg mehr sah." (dpa/AZ)
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