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Asylbewerber: Wie Bayerns Polizei rücksichtslose Schleuser jagt

Asylbewerber

Wie Bayerns Polizei rücksichtslose Schleuser jagt

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    Die Bundespolizei Rosenheim greift täglich Flüchtlinge auf.
    Die Bundespolizei Rosenheim greift täglich Flüchtlinge auf. Foto: Christian Kirstges

    Es ist die Flucht in ein vermeintlich besseres Leben. In eine Zukunft, in der es keine Angst mehr geben soll. In Lindas dunklen Augen ist sie aber zu sehen, die Angst. Die 36-jährige Syrerin, die ihren Körper bis auf das runde Gesicht, die Hände und Füße verschleiert hat, ist am Morgen von Polizisten im Nachtzug zwischen Kufstein und Rosenheim erwischt worden.

    Zusammen mit ihren fünf Kindern, ihrem Ehemann, weiteren Landsleuten und einer schwangeren Nigerianerin. Eine Aufenthaltsgenehmigung hat niemand. Sie sind illegal in diesem ihnen fremden Land.

    Für die Polizisten ist es Routine

    Die ersten Deutschen, die sie sehen, sind also Menschen mit Schusswaffe und Handschellen am Gürtel, die sie und die anderen zur Wache bringen. Für die Beamten ist das inzwischen Routine, bei weit mehr als 1000 solcher Fälle alleine im August zwischen Lindau und Freilassing, zwischen Weilheim und Mittenwald. Im Gebiet der Rosenheimer Bundespolizeiinspektion werden inzwischen die meisten Aufgriffe an einer Landesgrenze in ganz Deutschland gezählt.

    Es ist Routine, nach dem Namen, dem Alter und anderen Daten zu fragen. Es ist Routine, Fotos wie von Kriminellen zu machen und Fingerabdrücke einzuscannen. Und es ist Routine, sich die Kurzfassung einer Lebensgeschichte anzuhören. So wie die von Linda. Ob sie stimmt, müssen später andere Behörden entscheiden.

    Gefährliche Flucht aus Syrien

    Die Flucht aus dem syrischen Bürgerkrieg endete für die 36-Jährige und ihre Familie vor zwei Jahren zunächst in Libyen. Dort wollten sie bleiben, nachdem sie in ihrer Heimatstadt Aleppo wie so viele der einst mehr als zwei Millionen Einwohner alles verloren hatten.

    Doch auch Libyen ist alles andere als ein sicheres Land, weshalb vor einigen Wochen die Entscheidung fiel: Die Flucht muss weitergehen, nach Deutschland. „In Syrien hat man uns gesagt, dass es hier die besten Schulen für die Kinder gibt“, erklärt Linda den Grund, warum die Bundesrepublik zum Ziel ihrer langen Reise geworden ist.

    In einer Art Fischerboot überquerten sie das Mittelmeer in Richtung Italien. Sie und knapp 350 weitere Menschen. Die Überfahrt dauerte Tage. Es fehlte an allem: Essen, Wasser, Schutz vor der Sonne. „Fast wäre das Boot gekentert“, erzählt Linda in ihrer Muttersprache und kämpft mit den Tränen. Eine freiberufliche Dolmetscherin auf der Wache übersetzt. „Die Küstenwache hat uns gerettet.“ Eine Geschichte, wie sie inzwischen jeden Tag in den Nachrichten zu hören ist.

    Italien schicke die Flüchtlinge weiter

    In Italien angekommen, wurden die Flüchtlinge von Polizei und Rotem Kreuz in Empfang genommen, bevor sie wegen der überfüllten Lager in einem Hotel einquartiert wurden.

    Eigentlich wäre dieses Land für sie zuständig, weil sie dort erstmals europäischen Boden betreten haben. Eigentlich müssten die dortigen Behörden sie registrieren und prüfen, ob sie schon woanders Asyl beantragt haben – und sie von Illegalen zu Geduldeten machen.

    Aber Italien tut das zu selten, ist bei der Polizei zu hören. Zumindest sei kaum einer, der in Deutschland aufgegriffen wird, zuvor registriert worden. Stattdessen schicke Italien die Menschen angesichts der Massen von Flüchtlingen weiter.

    Bundespolizei Rosenheim greift täglich Flüchtlinge auf. Sie hat Mitleid mit ihnen - nicht aber mit den Schleuser
    Bundespolizei Rosenheim greift täglich Flüchtlinge auf. Sie hat Mitleid mit ihnen - nicht aber mit den Schleuser Foto: Christian Kirstges

    Geblieben wären Linda und ihre Familie ohnehin nicht. Sie suchten die Hilfe anderer, um einen Weg nach Deutschland zu finden, „wo die Kinder eine bessere Zukunft haben als in Italien“. Floss dafür Geld? Linda schüttelt den Kopf und zuckt mit den Schultern. Ihr Mann habe alles organisiert, sagt sie, bevor sie aufgewühlt in Tränen ausbricht.

    Die Schleuser verdienen viel Geld

    Dass eine solche Reise von den Flüchtlingen selbst organisiert wird, glaubt Rainer Scharf von der Bundespolizei nicht: „Die Leute sprechen nicht einmal Englisch, wie sollen sie dann alleine eine Fahrkarte kaufen?“ Die Beamten gehen davon aus, dass viele Flüchtlinge zwischen 3000 und 30.000 Dollar an Schleuser zahlen und dafür ihre Existenz verkaufen.

    Reicht das nicht, legen Verwandte etwas dazu, und der Rest muss mit (illegaler) Arbeit im Zielland erwirtschaftet werden. Mit diesen Menschen haben die Polizisten Mitleid. Sie jagen die Schleuser, die ihre „Kunden“ nur als Ware sehen.

    Mehrere Menschen im Kofferraum

    Entweder setzen die Kriminellen die Flüchtlinge in den Zug, oder sie lassen sie über die Autobahn transportieren. So kommt es nicht selten vor, dass sich mehrere Erwachsene und Kinder in den Kofferraum oder den abgedunkelten Fond eines Wagens quetschen müssen, um unentdeckt über die Grenze zu kommen.

    Bis zu 700 Euro lassen sich pro Person für die Fahrer verdienen, die meist dieselbe Geschichte erzählen, wenn sie gefasst werden. Erst an der Tankstelle vor der Grenze hätten sie die Flüchtlinge zufällig getroffen und mitgenommen.

    Wenn die Polizei Tankquittungen aus Italien oder Geldbündel findet, überdenken einige, was sie erzählt haben. Und wenn sie hören, dass sie als Gegenleistung für die wahre Geschichte mit einer Bewährungs- statt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren davonkommen könnten, gibt mancher Hintermänner preis.

    Es gehört Bauchgefühl zur Arbeit

    Auf einen solchen Fang hoffen die Fahnder Veronika Eller und Franc Volpert auch an diesem Tag. Während sich ihre Kollegen um die Gruppe aus dem Zug kümmern, sind die zwei in einem dunklen Wagen auf den Autobahnen rund um das Inntaldreieck unterwegs. Dort verlaufen die Brenner- und die Balkanroute, zwei der Hauptrouten für Schleuser.

    Mit laufendem Motor warten sie an einer Auffahrt oder auf einem Parkplatz, bis sie ein Fahrzeug sehen, das ins Raster passt. Zwar gehören viel Erfahrung und das Bauchgefühl zur Arbeit, doch ältere Wagen mit italienischem oder anderen ausländischen Kennzeichen sowie abgedunkelten Scheiben sind eine Kontrolle wert. Volpert parkt das Zivilfahrzeug so, dass Autos, Transporter und Busse von vorne zu sehen sind. Innerhalb einer Sekunde müssen die Polizisten entscheiden, ob sie losfahren oder noch warten. Länger dauert es nicht, bis ein Wagen an ihnen vorbeigerauscht ist.

    Gefährliche Verfolgungsjagden

    Bis zu 30 Kilometer hinter der Grenze darf die Polizei ohne einen konkreten Verdacht jeden kontrollieren. Bei einem deutschen Bus, der aus Italien kam, haben die 27- und der 33-Jährige das bereits getan. Bei einem Transporter mit beschlagener Heckscheibe auch – vielleicht sitzt ja eine ganze Gruppe im Laderaum, wo die Luft dünn wird? Bei diesen und einigen weiteren Überprüfungen ist alles in Ordnung.

    Ungefährlich sind sie aber nicht, für beide Seiten. Erst Ende Juli verfolgte die Polizei einen Kleinbus. Statt anzuhalten, beschleunigte der Fahrer auf Tempo 180, verlor die Kontrolle über seinen Wagen und baute einen Unfall. Er kümmerte sich nicht um die elf geschleusten Afrikaner, sondern floh aus dem Kleinbus. Die Polizei half den Insassen und konnte später auch den Fahrer festnehmen.

    Veronika Eller und Franc Volpert werden das so schnell nicht vergessen. Jetzt müssen sie aber erst einmal zurück zur Wache. Die Kollegen brauchen Unterstützung, um die Syrer und die Nigerianerin aus dem Nachtzug zu vernehmen – woran ein großes Problem deutlich wird.

    Es fehlt an Personal

    Seit 1997 die Grenzkontrollen zu Österreich und 2007 zu Tschechien weggefallen sind, können nur noch wenige Pkw und Züge überprüft werden. Doch je mehr Menschen die Beamten bei Stichproben aufgreifen, desto länger sitzen sie am Schreibtisch statt im Auto. Und dann sind die Grenzen noch offener.

    Für die Betreuung aller Flüchtlinge ist viel Personal und Zeit nötig - doch beides fehlt.
    Für die Betreuung aller Flüchtlinge ist viel Personal und Zeit nötig - doch beides fehlt. Foto: Christian Kirstges

    Zwar hat die Dienststelle 50 Beamte mehr zugeteilt bekommen, doch die reichen genauso wenig wie die freiberuflichen Übersetzer. Auf eine Anfrage unserer Zeitung hin wird der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Ernst G. Walter, deutlich. In Deutschland „stehen kaum noch Beamte zur aktiven Sicherung der Grenzen zur Verfügung“, sagt er.

    Gewerkschaft spricht von unzumutbaren Bedingungen

    Walter spricht von „Frustration bei allen Beteiligten, unzumutbaren Arbeitsbedingungen und sehr bedenklichen hygienischen Zuständen“. Besserung sei nicht in Sicht, weil die Finanzmittel für dieses Jahr seit Juli aufgebraucht seien. An mehr Kollegen oder bessere Ausrüstung sei nicht zu denken, da die Bundespolizei nicht einmal mehr die Mieten für ihre Diensträume zahlen könne. Walter spricht sogar davon, dass die Behörde „nahezu zahlungsunfähig sei“.

    Hinzu kommt: Durch Fußballeinsätze und die Abordnung an andere Dienststellen fehlten tausende Beamte für die Grenzsicherung. Und trotz einer besseren Zusammenarbeit mit Behörden anderer Staaten könne die Bundespolizei „mit den grenzüberschreitenden Banden nicht Schritt halten“.

    Weil auch die Landespolizei gerade in den grenznahen Landkreisen zu wenig Personal habe, könne Banden kaum etwas entgegengesetzt werden – auch wenn offizielle Zahlen nicht mehr Straftaten im Grenzraum belegen und das Sicherheitsgefühl der Bürger nicht schlecht sei, wie die Polizei selbst sowie mehrere Polizei-Gewerkschaften sagen.

    Walters Vorwürfe will das Bundesinnenministerium grundsätzlich nicht kommentieren. Es stellt aber klar: „Eine Wiedereinführung von Kontrollen an den deutschen Binnengrenzen wird nicht erwogen.“

    Was sonst gegen die Massen an Flüchtlingen getan werden kann, werde auf europäischer Ebene abgestimmt. Und auch Bayerns Innenministerium sieht keinen Grund, mehr zu tun als bislang. Auch wenn „die offenen Grenzen die illegale Weiterwanderung erleichtern“.

    Mehr als hundert Flüchtlinge gleichzeitig aufgegriffen

    Die knapp 500 Kollegen der Bundespolizei Rosenheim und die Landespolizei versuchen trotzdem, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen. Weniger wird sie ohnehin nicht.

    So ist den Beamten jetzt der größte Aufgriff dieser Art in der Geschichte der Bundespolizei gelungen: Mehr als 100 Syrer, Eritreer, Somalier und Äthiopier wurden in einem Zug auf dem Weg von Venedig nach München entdeckt. Zuvor waren sie mit Booten aus Afrika kommend in Italien gestrandet.

    Sie alle zu registrieren, zu befragen und zu versorgen, dauert. Weshalb gleich die Sporthalle der Polizei für sie geräumt wurde. Mehr können die Beamten nicht tun, sondern nur erklären, wie sie selbstständig zur nächsten Aufnahmeeinrichtung kommen. Wie bei Linda und ihrer Familie wird sich dann wohl erst in Monaten zeigen, ob sie wirklich länger in Deutschland bleiben dürfen.

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