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Asyl-Gipfel: Wer redet jetzt mit Merkel und Juncker?

Asyl-Gipfel

Wer redet jetzt mit Merkel und Juncker?

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    Bekommt sie beim Sondergipfel am Sonntag mit seiner Hilfe das, was sie in Deutschland braucht? Kanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident  Juncker zu Wochenbeginn in Meseberg.
    Bekommt sie beim Sondergipfel am Sonntag mit seiner Hilfe das, was sie in Deutschland braucht? Kanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Juncker zu Wochenbeginn in Meseberg. Foto: Ludovic Marin, afp

    Die Hoffnung auf eine europäische Lösung beim Mini-Gipfel europäischer Staats- und Regierungschefs am Sonntag ist groß. Doch in Brüssel wachsen bereits die Zweifel, ob das Treffen nicht vielmehr nur eine Show-Veranstaltung wird. Denn einer der wichtigsten Gäste hat vorsorglich mal abgesagt.

    Der italienische Innenminister Matteo Salvini steht zwar nicht auf der Einladungsliste für den Mini-Asyl-Gipfel. Dennoch sorgte der umstrittene Lega-Nord-Chef bereits im Vorfeld dafür, dass die Hoffnungen auf einen Durchbruch gegen null sanken. Premierminister Giuseppe Conte tue „gut daran, die Reisekosten zu sparen“, mahnte Salvini seinen Chef via Twitter.

    Er möge nur ja keine von Deutschland und Frankreich vorbereiteten Erklärungen unterschreiben. Damit scheint eine europäische Lösung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel sich erhofft, schon unmöglich geworden, bevor man sich überhaupt getroffen hat. Immerhin hat Merkel am Donnerstag bei Conte angerufen. Über Inhalte wurde nichts bekannt gegeben.

    Dabei schien alles eigentlich ganz gut zu laufen: Die Staatenlenker aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Griechenland, Bulgarien, Spanien und möglicherweise auch Belgien wollten sich am Sonntag zusammen mit dem neuen Premier aus Rom auf eine gemeinsame Linie verständigen. Doch als Salvini von einem vorbereiteten Statement aus der Feder von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Wind bekam, griff er zur Notbremse.

    Italien fordere nämlich eine vollständige Reform des Dubliner Asyl-Abkommens, das die alleinige Verantwortung für neu ankommende Flüchtlinge und Asylbewerber bei den Aufnahmestaaten festschreibt. Diese Regelung müsse, so Salvini, weg.

    Juncker plädiert für Grenz- und Küstenschutz

    In Junckers Vorlage ist davon keine Rede. Er plädiert stattdessen für einen Ausbau des Grenz- und Küstenschutzes. 2020 sollen 10.000 Beamte als „echte Grenzpolizei“ zur Verfügung stehen. Außerdem spricht sich Juncker für „regionale Ausschiffungszentren“ aus. Unter dem Dach des Kinderhilfswerkes der UN (Unicef) sowie der Internationalen Organisation für Migration (IOM) könnten solche Anlaufpunkte entstehen, zu denen gerettete Flüchtlinge gebracht werden.

    Dort sollen Experten und Helfer die Asylwünsche prüfen und im Falle einer Ablehnung auch gleich die Rückführung veranlassen. Das dürften die meisten Gipfelteilnehmer gerne unterstützen. Eigentlich müsste der Vorstoß auch Salvini passen. Der will in der kommenden Woche ohnehin mit Libyen, Ägypten und Tunesien verhandeln und auf ein schärferes Vorgehen gegen Schleuser drängen. Doch das Gesamtpaket reicht ihm nicht.

    Bleibt unklar, ob CSU mitspielt

    Die wichtigsten Akteure im europäischen Flüchtlingskonflikt (Stand: Juni 2018)

    Horst Seehofer und die CSU

    Der Bundesinnenminister hat ein Maßnahmenpaket zur Migration erarbeitet, die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze ist ein Teil davon. Der CSU-Vorsitzende begründet dies mit der Sicherheit in Deutschland und der Stimmung in der Bevölkerung. Um seine harte Linie durchzusetzen, scheint er sogar zum Bruch mit der CDU bereit, mit einem Zerfall der Regierungskoalition als Folge. Kritiker werfen Seehofer vor, allein einen Erfolg der CSU bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst im Blick zu haben. Doch in der CDU wird auch vermutet, dass Seehofer eigentlich Merkels Sturz zum Ziel hat.

    Angela Merkel

    Die Kanzlerin ist die Getriebene in dem Konflikt. Unter dem Druck der CSU hat sie zugesagt, bis Monatsende über bilaterale Abkommen zu Zurückweisungen zu verhandeln – obwohl sie solche Maßnahmen eigentlich ablehnt. Nun will sie wenigstens eine europäische Lösung dazu hinbekommen. Doch in Europa schlägt ihr überwiegend Ablehnung entgegen, ihre wichtigsten Verbündeten sind Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Was immer Merkel erreicht, der Konflikt hat sie bereits jetzt als Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gefährlich geschwächt.

    Emmanuel Macron

    Der französische Präsident warnt vor einer anti-europäischen Stimmung, die sich "wie die Lepra fast überall in Europa breitmacht". Er spricht sich gegen Nationalismus und geschlossene Grenzen aus und wirbt zusammen mit Kanzlerin Merkel für gemeinsame EU-Asylstandards und mehr Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen. Kritiker auch in seiner eigenen Partei werfen Macron Doppelmoral vor: Denn Frankreich weist an der Grenze zu Italien systematisch Flüchtlinge ab.

    Italiens Regierung mit Innenminister Matteo Salvini

    Unter der neuen Populisten-Regierung geht Rom auf Konfrontationskurs zu Merkel. Treibende Kraft ist Innenminister Matteo Salvini, Chef der fremdenfeindlichen Lega. Er weigert sich, bereits in Italien registrierte Asylbewerber wieder zurückzunehmen: "Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen." Damit droht er, Merkels Plan für bilaterale Abkommen zum Scheitern zu bringen. Stattdessen zeigt sich Rom offen für die Zusammenarbeit mit EU-Staaten wie Österreich, die ebenfalls auf eine harte Gangart in der Migrationspolitik drängen.

    Sebastian Kurz und die ÖVP-FPÖ-Koalition in Wien

    Österreichs Bundeskanzler will mit einer "Achse der Willigen" eine restriktivere Migrationspolitik in Europa durchsetzen. Er wirbt dabei für eine regionale Zusammenarbeit zwischen Rom, Wien und Berlin – wobei er insbesondere Seehofer im Blick hat. Sollte Deutschland die Grenzkontrollen verschärfen, kündigte Kurz seinerseits Kontrollen an Österreichs Südgrenzen an. Zugleich positioniert er sich als Vermittler zwischen den westlichen EU-Mitgliedern und den osteuropäischen Visegrad-Staaten, die eine Flüchtlingsaufnahme strikt ablehnen. Ab 1. Juli übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft und will dem Schutz der EU-Außengrenzen Priorität einräumen.

    Jean Claude Juncker

    Der EU-Kommissionspräsident und seine Behörde versuchen seit der Flüchtlingskrise vergeblich, eine Umverteilung von Flüchtlingen aus den stark belasteten Ankunftsländern im Süden Europas auf alle EU-Staaten durchzusetzen – er scheiterte am Widerstand osteuropäischer Länder. In ihren Vorschlägen für den künftigen EU-Finanzrahmen schlug die Kommission jüngst eine massive Aufstockung der Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex von 1000 auf 10.000 Beamte vor sowie eine stärkere finanzielle Unterstützung von Ländern bei der Flüchtlingsaufnahme. (AFP)

    Dennoch rechnen sich deutsche EU-Diplomaten für Sonntag Chancen aus, mithilfe finanzieller Unterstützung der

    Unklar blieb allerdings, ob die CSU mitspielt. Deren Europa-Abgeordneter Markus Ferber nannte solche Absprachen einen „schmutzigen Deal“. „Wir haben Angst, dass Angela Merkel jetzt mit dem Scheckbuch durch Europa läuft“, sagte er weiter und warnte: „Es darf keinen Deal zulasten der deutschen Steuerzahler geben.“

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

    Tatsächlich schätzen Beobachter das Risiko als groß ein, dass die Kanzlerin für ein Einlenken in der Asyl-Zusammenarbeit kostspielige Wünsche der EU-Nachbarn erfüllt. Sogar von „Erpressbarkeit“ war bekanntlich die Rede. Viel größer dürfte allerdings eine andere Gefahr sein, die sich in dem Juncker-Papier andeutet.

    Denn ein Netz von regionalen Aufnahmezentren in Drittstaaten braucht eine lange Vorbereitung, Vereinbarungen mit den afrikanischen Küstenstaaten sowie den Balkan-Ländern und die Bereitschaft der Unionsmitglieder, die außerhalb der EU-Grenzen erstellten Bescheide anzuerkennen.

    Gerald Knaus, Chef der Berliner Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“ und der geistige Vater des EU-Flüchtlingsdeals mit der Türkei, sprach von einem „Wettlauf der Schlagwörter“ und einer „zutiefst unseriösen Debatte“. Die Bundeskanzlerin täte wohl gut daran, von dem Treffen am Sonntag nicht allzu viel zu erwarten.

    Um den Asystreit geht es auch in unserer Podcast-Folge. Hören Sie doch mal rein!

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