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Armutsbericht: „Verwässern, verschleiern, beschönigen“

Armutsbericht

„Verwässern, verschleiern, beschönigen“

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    Berlin „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt.“ Diesen Satz hatten die Beamten von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) in ihren Entwurf für das Vorwort des vierten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung aufgenommen. Ebenso wiesen sie im weiteren Verlauf ihres Textes darauf hin, dass die Spreizung bei den Einkommen in den vergangenen Jahren trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich zugenommen habe. Dies verletze „das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“ und könne „den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“.

    Doch in der neuesten Fassung des Berichts vom 21. November, den das schwarz-gelbe Bundeskabinett nach der Ressortabstimmung nun den Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet hat, finden sich diese beiden Passagen des ursprünglichen Entwurfs nicht mehr. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, die beide Versionen des ursprünglichen Entwurfes miteinander verglichen hat, wurde der Satz über die ungleiche Verteilung der Privatvermögen in der Einleitung ersatzlos gestrichen. Und die kritische Passage über die Einkommensspreizung, in der darauf hingewiesen wurde, dass die Lohnentwicklung „im oberen Bereich positiv steigend war“, während die „unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken“ seien, wurde völlig neu formuliert.

    Nun heißt es in der endgültigen Fassung, dass sinkende Reallöhne „Ausdruck struktureller Verbesserungen“ am Arbeitsmarkt seien. Denn zwischen 2007 und 2011 seien im unteren Lohnbereich viele neue Jobs entstanden, wodurch viele Erwerbslose einen Arbeitsplatz gefunden hätten. Die Änderungen wurden im Laufe der so genannten Ressort-Abstimmung vorgenommen, einem normalen Verfahren, bei der jedes Ministerium Gelegenheit erhält, zu dem Bericht Stellung zu nehmen und Änderungen vorzuschlagen. So hatte FDP-Wirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler schon in einer ersten Reaktion auf den Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts darauf hingewiesen, dass die Fassung aus dem Sozialressort noch nicht abgestimmt sei und daher „auch nicht der Meinung der Bundesregierung“ entsprechen würde. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel war auf Distanz zu einzelnen Passagen gegangen.

    „Im Rahmen der verschiedenen Etappen verändern sich Texte“, verteidigte Regierungssprecher Steffen Seibert die Veränderungen. Der Bericht zeichne ein „realistisches Bild der Lage“. Unter anderem wurde dabei auch die Forderung gestrichen, höhere Einkommen stärker zur Finanzierung sozialer Leistungen heranzuziehen. Ebenso findet sich die Feststellung, dass 2010 in Deutschland über vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro arbeiten, in der neuen Fassung nicht wieder.

    In Berlin löste der Bericht über die geschönte und weichgespülte Fassung des Armuts- und Reichtumsberichtes, den die Bundesregierung Anfang kommenden Jahres endgültig beschließen will, dennoch Unverständnis und Kritik aus. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil warf der Regierung vor, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. „Die ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung, die Zunahme von unsicherer Arbeit und fehlende Aufstiegsperspektiven sind Realität in Deutschland.“ Von der FDP sei nichts anderes zu erwarten, als dass sie die Realität ignoriere. „Aber dass Frau von der Leyen und Frau Merkel dieses schäbige Spiel mitmachen, zeigt, dass auch die CDU jede soziale Bodenhaftung verloren hat“, so Heil. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warf der Regierung vor, sie wolle „entscheidende Passagen des Berichts verwässern, verschleiern und beschönigen“.

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