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Arabische Halbinsel: Die Uhr tickt: Im Jemen droht ein Massensterben

Arabische Halbinsel

Die Uhr tickt: Im Jemen droht ein Massensterben

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    Der Hunger trifft zuerst die Babys und Kinder. Unser Bild zeigt einen Vater, der seine Tochter in ein Ernährungszentrum in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa bringt.
    Der Hunger trifft zuerst die Babys und Kinder. Unser Bild zeigt einen Vater, der seine Tochter in ein Ernährungszentrum in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa bringt. Foto: Hani al-Ansi, dpa

    Aenne Rappel sitzt am Küchentisch in ihrer Aichacher Wohnung. Sie blickt auf ihren Laptop und auf die Bilder von Zerstörung und Elend im Jemen, die dort in langen Reihen aufscheinen. „Nach meinen Informationen sind mehr als sieben Millionen Menschen potenziell vom Hungertod bedroht. Schon jetzt sterben Kinder an Unterernährung. Und es werden immer mehr“, sagt die Kennerin des Landes. Die Vorsitzende des Fördervereins Aktion Jemenhilfe verfügt seit vielen Jahren über ein engmaschiges Netz von Kontakten in den Jemen. Ihre Einschätzung deckt sich mit einem dramatischen Alarmruf der UN.

    Jemen: Hungersnot bedroht viele Menschen

    Im Jemen drohe die „größte Hungersnot, die die Welt seit Jahrzehnten erlebt hat“, warnte der UN-Nothilfekoordinator Marc Lowcok. In dem arabischen Land, in dem ein blutiger Krieg und eine verheerende Cholera-Epidemie wüten, könnten bald die letzten Lebensmittelvorräte zur Neige gehen.

    Die UN warnen, dass Millionen von Kindern und deren Familien sterben könnten, wenn die von Saudi-Arabien angeführte militärische Allianz ihre im November angelaufene systematische Blockade der Flug- und Seehäfen nicht komplett aufhebt. Die Saudis werfen den Rebellen im Jemen vor, mit Hilfslieferungen auch Waffen zu schmuggeln.

    Mit seiner Brandrede hatte Lowcok immerhin erreicht, dass der vergessene Krieg in dem Land mit seinen rund 28 Millionen Einwohnern schlagartig wieder auf die Tagesordnung der Weltpolitik geriet.

    Doch malen die UN nicht zu schwarz? „Das glaube ich nicht“, sagt Aenne Rappel im Gespräch mit unserer Zeitung.

    Aenne Rappel kam 1996 als Touristen ins Land und wurde angesichts der katastrophalen Verhältnisse zur engagierten und ausdauernden Helferin. Bis 2013 verbrachte sie regelmäßig fast die Hälfte des Jahres in der Großstadt Taizz im Südwesten des Landes. Von dort organisierte sie mit Spendengeldern zunächst den Bau und dann den Betrieb eines Krankenhauses in dem abgelegenen Bergdorf Al Mihlaf.

    „Ich fürchte, ich werde das Land nicht wiedersehen. Man kommt weder hinein noch hinaus“, sagt die 82-Jährige. Doch von Deutschland aus geht ihr Engagement weiter. Sie hält per Mobiltelefon Kontakt zu Mitarbeitern in Taizz. „Es kommt immer wieder vor, dass die Gespräche durch Bombeneinschläge oder Maschinengewehrfeuer unterbrochen werden.“ In der Stadt mit rund einer Million Einwohnern arbeiten nach schweren Luftangriffen der Saudis nur noch drei von 16 Krankenhäusern. Doch die kleine Klinik in Al Mihlaf ist noch intakt. Aenne Rappel ist aber klar: „Eine Bombe – und die Arbeit von vielen Jahren ist zerstört.“ Gleiches gilt für eine Wohnung, die die Aktion Lebenshilfe in Taizz unterhält. Dort werden Kriegswaisen, meist junge Mädchen, betreut. Noch fließt Geld: „Es ist kaum zu glauben, aber die Anweisung von Spendengeldern für unsere Projekte über eine Bank in Taizz funktioniert noch immer“, sagt die resolute Frau.

    Stellvertreterkrieg im Jemen

    In dem geplagten Land tobt ein klassischer Stellvertreterkrieg. Die Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran bekriegen sich dort indirekt, aber mit großer Härte. Die Saudis sorgten 2015 durch ihre Einmischung in den jemenitischen Bürgerkrieg für eine kaum noch kontrollierbare Eskalation. Sie stehen an der Spitze eines sunnitischen, multinationalen Bündnisses gegen die Huthi-Rebellen. Diese Milizen hatten 2014 die Hauptstadt Sanaa besetzt. Der sunnitische Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi wurde vertrieben.

    Hinter den schiitischen Huthi-Rebellen steht der Iran, aber auch der langjährige Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh, der die Hoffnung nicht aufgegeben hat, wieder in das Amt zu gelangen. Hinzu kommen Terrormilizen, die sich zum Islamischen Staat bekennen und auf eigene Faust in dem Land operieren. Komplettiert wird das Chaos durch einen regionalen Ableger der islamistischen Terrororganisation Al Kaida, die ebenfalls einige Landstriche kontrolliert.

    Der Westen, der traditionell eher aufseiten der Saudis stand, ist zunehmend entsetzt über Riads Blockadepolitik – und die brutalen Luftschläge der saudischen Luftwaffe: Die Bomben treffen auch Märkte, Kliniken und Stützpunkte von noch im Land ausharrenden Hilfsorganisationen. Tausende Zivilisten sollen bereits ums Leben gekommen sein. „Meine Freunde im Jemen sind sich sicher, dass diese fatalen Einschläge nicht zufällig erfolgen, sondern Teil einer Strategie sind“, sagt Aenne Rappel. Verantwortlich für die Luftangriffe ist der ehrgeizige saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der in dem Königreich an die Macht drängt. Immerhin gibt es erste Signale, dass Riad dem internationalen Druck nachgibt und die Blockade lockert. Doch dies müsste schnell und umfassend geschehen, um ein drohendes Massensterben zu verhindern.

    Viele Jemeniten verstehen nicht, warum ihr bettelarmes Land zum Schauplatz des iranisch-saudischen Kräftemessens werden musste. „In Taizz haben Sunniten und Schiiten vor dem Krieg gemeinsam gebetet und gelebt“, erinnert sich Aenne Rappel. „Eine Frage stellen sie mir immer wieder: Was nutzt es den ausländischen Kriegsparteien, wenn der ganze Jemen zerstört ist und wir verhungern oder an Cholera sterben?“ Diese Frage kann auch Aenne Rappel nicht beantworten.

    Spenden Jemen-Kinderhilfe e.V.; Sparkasse Aichach-Schrobenhausen; IBAN: DE49 7205 1210 0560 1916 45

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