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Antrittsrede von Joachim Gauck: Mit gefühlvoll erhobenem Zeigefinger

Antrittsrede von Joachim Gauck

Mit gefühlvoll erhobenem Zeigefinger

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    Bundespräsident Joachim Gauck spricht am Freitag im Reichstag in Berlin nach seiner Vereidigung zu Vertretern von Bundestag und Bundesrat. Gauck war von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit als Bundespräsident gewählt worden.
    Bundespräsident Joachim Gauck spricht am Freitag im Reichstag in Berlin nach seiner Vereidigung zu Vertretern von Bundestag und Bundesrat. Gauck war von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit als Bundespräsident gewählt worden. Foto: dpa

    Mit großer Spannung war die Grundsatzrede von Joachim Gauck erwartet worden. Der erste Auftritt des Mannes, der als Hoffnungsträgers gilt wie selten zuvor ein politischer Akteur in Deutschland. Gauck ist in seiner Rede den Erwartungen gerecht geworden. Knapp eine halbe Stunde dauerte die Ansprache vor Vertretern von Bundesrat und Bundestag. Eine Rede, die intelligent, aber nicht abgehoben war; die streckenweise pathetisch anmutete, ohne aber ins Absurde abzugleiten. Und die immer wieder aus dem üblichen politischen Stil ausbrach und um eine direkte Ansprache bemüht war.

    Gauck gab mehr denn je einen deutlichen Vorgeschmack darauf, was von ihm zu erwarten ist: Ein Mann, der eine Vision für Deutschland hat und sie glaubhaft transportiert. Und das, ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren. Ein Staatsoberhaupt, das eine klare Ansprache sucht und warnend den Zeigefinger erhebt, dabei aber nicht als Schulmeister dasteht. Wenn Gauck es schafft, diese Mitte zu halten, wird er der Bundespräsident sein, den Deutschland derzeit braucht.

    In gewohnt souveräner Manier

    Zitate von Joachim Gauck

    "Unsäglich albern" (16.10. 2011, zur Finanzmarkt-Debatte)

    "Das wird schnell verebben." (16.10.2011, zur internationalen Protestbewegung "Occupy")

    "Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen." (24.06.2010, über die Ernüchterung vieler Ostdeutscher über das Leben im wiedervereinigten Deutschland)

    "Ich würde in der Tradition all derjenigen Bundespräsidenten stehen, die sich gehütet haben, die Politik der Bundesregierungen zu zensieren. Mancher wünscht sich ja einen Bundespräsidenten wie einen Kaiser, als letzte Instanz über allem - das darf er nicht sein." (25.6.2010, bei seinem ersten Anlauf zur Präsidentschaft im Fernsehsender n-tv über sein Amtsverständnis.)

    "Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten." (3.10.2010 bei einer Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus zum Einheits-Jubiläum)

    "Denn als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im ganzen Osten Europas Ohnmacht erlebt und trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Es gibt ein wahres Leben im falschen.". (10.10.2010 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den israelischen Schriftsteller David Grossmann)

    «Verantwortung ist dem Untertan meistens fremd. Was er am besten kann, ist Angst haben.» (1999 über Furcht vor der Freiheit bei Menschen in Ostdeutschland)

    "Wir sind nicht dazu da, vor dem Verbrechen zu kapitulieren und vor dem Unheil zu flüchten." (29.11.2010, vor der Entgegennahme des Geschwister-Scholl-Preises)

    „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ (2011 über Thilo Sarrazin und sein Buch über Migrationspolitik.

    «Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.» (3.10.2010 bei einer Feierstunde zum Einheits-Jubiläum)

    "Wir dürfen uns von den Fanatikern und Mördern nicht unser Lebensprinzip diktieren lassen." (27.7.2011, bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten aus Sicherheitsaspekten als Reaktion auf Terror)

    "Geben Sie mir einfach noch ein wenig Zeit." (17.2.2012, auf die Frage eines Reporters, ob er bereit für eine Kandidatur als Bundespräsident sei)

    Gauck, dessen Lebensgefährtin Daniela Schadt im Rund saß, machte zu Beginn seiner Rede einen etwas nervös Eindruck. Immer wieder schob er mit unruhigen Händen die Papiere auf dem Rednerpult zurecht. Der 72-Jährige fand jedoch ziemlich schnell zu seiner ruhigen und souveränen Art und trug die Rede mit der ihm eigenen pastoralen Aura vor.

    Es waren die großen Themen der Zeit, die Gauck nach seiner Vereidigung ansprach, wenngleich seine Rede inhaltlich wenig Überraschungen bot: Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Europa und sein Leitthema: die Freiheit. Er rief die Deutschen zu Mut und Selbstvertrauen auf und dazu, trotz der zahlreichen aktuellen Herausforderungen den Glaube an die Freiheit nicht zu verlieren.

    Joachim Gauck spannte den Bogen in die Vergangenheit und erinnerte an den Willen und die Stärke der Nachkriegsgeneration. Deutschland sei "das Land des Demokratiewunders". Er ehrte die 68er-Generation und ihren Verdienst bei der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit sowie die Bewegung der Wende. "Erst wenn die Menschen aufstehen und sagen: 'Wir sind das Volk', werden die Menschen sagen können: 'Wir sind ein Volk'", sagte Gauck mit sichtbarer Leidenschaft.

    Kampfansage gegen Rechtsextremismus

    Einer Kampfansage gleich fand Gauck vor allem gegen den Extremismus deutliche Worte - sei er nun politisch oder religiös motiviert. "Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich", sagte er in Richtung der Rechtsextremen und erntete dafür großen Beifall. "Ihr werdet Vergangenheit sein, und unsere Demokratie wird leben."

    In seiner Rede versprach das neue Staatsoberhaupt auch, das Engagement seines Vorgängers Christian Wulff für eine bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund fortzusetzen. Alle Menschen, die in Deutschland leben, sollten sich hier auch zu Hause fühlen können. Als Wunschbild nannte Gauck ein Deutschland, das "soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschance" miteinander verbindet. Niemand dürfe den Eindruck haben, kein Teil der Gesellschaft zu sein, weil er "arm, alt oder behindert" sei.

    Ja zu Europa

    Ein deutliches Ja formulierte Gauck zu Europa und dem europäischen Gedanken. Er warnte davor, sich in Krisenzeiten in die Nationalstaatlichkeit zu flüchten. "Wir wollen mehr Europa wagen", forderte Gauck. Abschließend schloss er mit den Worten: "Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt. Das haben wir gelebt und gezeigt." Es folgte lang anhaltender Applaus.

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