Antisemitismus in Bayern kann ziemlich banal sein: Eine jüdische Studentin wird zum Beispiel gefragt, „warum man als Israeli in Deutschland wählen darf“. Dass die junge Frau Deutsche ist, kommt dem Kommilitonen nicht in den Sinn. Ein Mann knallt die Tür zu, als er feststellt, dass der neue Nachbar Jude ist. Eine Frau wird aus einer bayerischen Arzt-Praxis geworfen, weil sie bemängelt hatte, dass das verschriebene Medikament nicht koscher ist.
„Die Mehrheit unserer Fälle sind Alltagsgeschichten“, sagt Nikolei Schreiter von der bayerischen Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias). Vergangenen Sommer hat Rias eine 64-seitige Studie zum Antisemitismus in Bayern veröffentlicht. Seit 1. April können Betroffene in Bayern antisemitische Vorfälle auch unter der Grenze Straffälligkeit bei Rias melden und sich beraten lassen. „Wir haben im Schnitt einen Vorfall pro Tag“, berichtet Schreiter. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Angriffe oder gar Straftaten sei aber groß, glaubt der Experte: „Es gibt eine Menge Gründe, die Betroffene auch in Bayern davon abhalten, Anzeige zu erstatten.“
Das müsse sich ändern, findet Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Nur was man weiß, kann man auch bekämpfen.“ Zumal es längst nicht nur bei antisemitischen Beleidigungen bleibt: Auch die Zahl der Straftaten mit antisemitischem Hintergrund ist laut Landeskriminalamt zuletzt stark gestiegen: Von 148 im Jahr 2017 auf 219 im Jahr 2018 – die meisten davon in Oberbayern (112), 18 in Schwaben. Die von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen sind dabei zum Großteil Deutsche.
Bayerns Schüler: Reisen gegen Judenhass
„Das Übel Antisemitismus wächst wieder“, warnt daher Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, übernimmt Bayern als erstes Bundesland ab sofort die von 31 Staaten beschlossene Antisemitismus-Definition der internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken. „Das ist ein starkes Bekenntnis, Teil des internationalen Kampfes gegen Antisemitismus zu sein“, erklärt Söder. Der Freistaat setze damit aber auch ein klares Signal von „Null-Toleranz gegen Antisemitismus in jeder Form“. In ganz Deutschland brauche es „den Mumm dazu, hier klare Signale zu setzen“, fordert der Ministerpräsident.
Die schwarz-orange Staatsregierung will den Worten auch Taten folgen lassen: Schulminister Michael Piazolo (Freie Wähler) kündigte an, den Schüleraustausch mit Israel auszubauen und Lehrer besser auf antisemitische Vorfälle an Schulen vorzubereiten. Bayerns Justiz will die Verfolgung von Hass-Kriminalität im Internet erleichtern und Opfern antisemitischer Straftaten durch einen verstärkten Zeugenschutz die Anzeige-Erstattung erleichtern. Eigene Schwerpunkt-Staatsanwälte sollen zudem für eine einheitliche Rechtsanwendung sorgen.
„Bayern will das sicherste Land für Juden in Deutschland sein“, beteuert Söder. „Juden fühlen sich in Bayern wohl, auch wenn es einige Wolken gibt“, entgegnet der Würzburger Schuster – und erklärt den Umgang mit Antisemitismus zum Lackmus-Test einer freien Gesellschaft: „Wie ein Land mit Minderheiten umgeht, zeigt, wie gefestigt eine Demokratie ist.“