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Kabul: Anschlag nahe deutscher Botschaft reißt 80 Menschen in den Tod

Kabul

Anschlag nahe deutscher Botschaft reißt 80 Menschen in den Tod

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    Sicherheitskräfte in Kabul nach einem Autobombenanschlag - im Hintergrund ist die deutsche Botschaft zu sehen.
    Sicherheitskräfte in Kabul nach einem Autobombenanschlag - im Hintergrund ist die deutsche Botschaft zu sehen. Foto: Rahmat Gul, AP/dpa

    Die Bürger von Kabul haben in diesem Jahr schon viel Grausames durchlitten. Terroristen, die sieben Stunden in einem Krankenhaus um sich schossen und Handgranaten in Patientenbetten warfen - mindestens 49 Tote. Ein Angriff auf einen Nato-Konvoi inmitten des dichtesten Verkehrs - mindestens acht Tote. Ein Selbstmordattentäter vor einem Gericht - mindestens 22 Tote. Aber die Lastwagenbombe, die Mittwochmorgen mitten im Diplomaten- und Regierungsviertel der Hauptstadt explodiert ist, die übertrifft die anderen Attentate noch.

    Die Fakten: ein ganzer Tanklaster gefüllt mit Sprengstoff. Eine Explosion, die Dutzende von Autos voller Zivilisten in Flammen aufgehen und ausbrennen lässt, die Passanten zerfetzt und in den umliegenden Büros den Menschen die Splitter von Fensterscheiben ins Fleisch treibt. Ein Knall, der in der ganzen Stadt widerhallt und in den Menschen Angst aufflackern lässt: Wo sind mein Bruder, mein Vater, meine Mutter? Es ist, als hätten die Attentäter sich das blutigste denkbare Szenario ausgedacht - und es in die Tat umgesetzt.

    Mindestens 80 Menschen sind nun tot, vermutlich mehr. Rund 460 Menschen sind verletzt. Vor den Krankenhäusern bilden sich lange Schlangen verzweifelter Menschen, die ihre Angehörigen suchen.

    Wo die Attentäter mit ihrer fahrbaren Bombe hinwollten, ist noch unklar. Sie ist sehr nahe der deutsche Botschaft explodiert, aber bisher sagt niemand, die Deutschen seien das Ziel gewesen. In unmittelbarer Nähe gab es Ziele zuhauf: der Präsidentenpalast, Ministerien, das Nato-Hauptquartier, viele weitere Botschaften, aber auch große Supermärkte und die Büros von Mega-Unternehmen wie die der Telekommunikationsfirma Roshan. Unter den Toten sollen viele Mitarbeiter von Roshan sein.

    Hauptgebäude der deutschen Botschaft verwüstet

    Vielleicht ist die Bombe genau da in die Luft gegangen, wo sie in die Luft gehen sollte: an einer belebten Straße zwischen hohen Sprengschutzmauern, die die Druckwelle der Explosion kaum entweichen ließen, und wo jeden Morgen Tausende auf dem Weg zur Arbeit entlang müssen. So hätten die oder der Attentäter - die sich zu ihrer Tat zunächst nicht bekannten - eine große Bandbreite von Afghanen erwischt, die für die allen Islamisten verhasste Regierung arbeiten und für die Ausländer, die von ihnen als "Besatzer" wahrgenommen werden. Haben Angst gesät in zentralen Schaltstellen der Regierung und unter jenen, die versuchen, sie zu unterstützen.

    Deutsche in Afghanistan

    Nur wenige Deutsche leben in Afghanistan. Abgesehen von Bundeswehr und Polizei liegt die Zahl im unteren dreistelligen Bereich.

    Viele werden im Rahmen von Entwicklungs- und Aufbauhilfe in das Krisenland geschickt. Eine Auswahl:

    Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sind rund 100 Deutsche in der nun massiv beschädigten Botschaft in Kabul und im Generalkonsulat im nordafghanischen Masar-i-Scharif beschäftigt.

    Bundeswehr: Seit Ende des Nato-Einsatzes ist die Bundeswehr zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Streitkräfte im Land. Das aktuelle Mandat erlaubt den Einsatz von bis zu 980 Soldaten. In Kabul bilden sie Sicherheitskräfte aus, die Kontingent-Basis ist in Masar-i-Scharif.

    Polizei: Daneben beraten auch deutsche Polizeikräfte ihre afghanischen Partner. Für das bilaterale Polizeiprojekt GPPT waren 2016 übers Jahr gesehen rund 100 Beamte aus Bund und Ländern vor Ort.

    Organisationen: Rund 100 Deutsche sind derzeit nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Entwicklungsbank KfW und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Afghanistan tätig.

    Neben den staatlichen Helfern sind auch zahlreiche Vereine und Nichtregierungsorganisationen wie etwa die Welthungerhilfe vor Ort, großteils allerdings mit lokalen Mitarbeitern.

    Unternehmen: Nach Angaben der Außenwirtschaftsgesellschaft GTAI und der Deutsch-Afghanischen Gesellschaft senden nur wenige Unternehmen deutsche Angestellte nach Afghanistan. Genaue Erhebungen gibt es nicht.

    Die Vorstellung, dass die Attentäter mit so viel Sprengstoff in das politische Zentrum des Landes fahren konnten, ist lähmend, und es wird dazu beitragen, dass die Afghanen ihre zerstrittene, ineffektive Regierung mit noch mehr Bitterkeit betrachten. Es ist ein ultimatives, blutiges Argument gegen den Demokratieversuch im Land.

    Gegen die Ansicht von Innenminister Thomas de Maizière (CDU), dass Kabul weitgehend sicher ist für abzuschiebende Migranten, scheint der Anschlag allerdings nicht viel auszurichten. Die Narrative hat er fast jedes Mal wiederholt, wenn wieder abgelehnte Asylbewerber nach Kabul geflogen wurden. Und selbst jetzt, wo das Hauptgebäude der deutschen Botschaft verwüstet und von der Wucht der ungeheuren Explosion so nackt hinterlassen wurde wie ein Rohbau, nachdem ein afghanischer Wächter starb und Mitarbeiter verletzt wurden, scheint er einer Neubewertung der Lage auszuweichen.

    Kabul ist keine sichere Stadt

    Am Donnerstagmorgen sollte ein weiterer Abschiebeflug mit abgelehnten Asylbewerbern landen. Der wird jetzt verschoben. Nicht, weil in Kabul seit Jahresanfang in nunmehr acht großen Anschlägen Hunderte Zivilisten getötet oder verletzt wurden, sondern weil die Botschaft nach dem Anschlag Wichtigeres zu tun hat. "Die deutsche Botschaft in Kabul hat eine wichtige logistische Rolle beim Empfang rückgeführter Personen vor Ort", heißt es am Mittwoch aus den Regierungskreisen. "In den nächsten Tagen wird es daher keine Sammelrückführung geben." Der Flug, so sagt De Maizière, werde aber "bald möglichst nachgeholt". Die generelle Linie der Regierung ändere sich nicht.

    Dazu gehört eine erstaunlich dicke Haut, wenn man bedenkt, dass die deutschen Staatsstellen in Kabul selbst die Sicherheitslage als gefährlich einschätzen und sich einigeln. Die staatliche deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ wird in wenigen Wochen ihre Büros in der Stadt aufgeben und in ein schwer gesichertes Lager am Stadtrand ziehen. Und Sicherheitsquellen sagen, auch die deutsche Botschaft habe geplant, den Schutz zu verstärken und Büros weiter in andere Gebäude im Inneren des Geländes zu verlegen. Man habe sich exponiert gefühlt in diesem Haus an einer belebten Straßenecke.

    Kabul ist keine sichere Stadt. Im vergangenen Jahr schon sind so viele Zivilisten dort gestorben wie seit dem Bürgerkrieg in den 90er Jahren nicht mehr. Um ganze 75 Prozent waren die Zahlen in die Höhe geschossen, verglichen mit 2015. In diesem Jahr liegt Kabul in Sachen zivile Opfer wieder vor allen anderen Städten im Land. Nun mit großem Abstand. Kabul war eine nervöse Stadt in den vergangenen Monaten. Seit Mittwoch ist es eine Stadt in Angst. Christine-Felice Röhrs, dpa

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