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Anschlag in Berlin: Und jetzt Berlin - Deutschland steht nach Anschlag unter Schock

Anschlag in Berlin

Und jetzt Berlin - Deutschland steht nach Anschlag unter Schock

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    Berlin trauert nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt.
    Berlin trauert nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt. Foto: Maurizio Gambarini (dpa)

    Für einen Moment sieht es so aus, als wäre Navid B. der Mann, den Angela Merkel immer gefürchtet hat. Gekommen über die Balkanroute, aufgefallen durch Diebstähle und ein paar andere kleinere Delikte, wieder vom Radar der Behörden verschwunden – und dann plötzlich zum Attentäter geworden, verantwortlich für den Tod von zwölf Menschen. Ein Flüchtling!

    Dass es ein Anschlag war, der Berlin am Montagabend in eine Reihe mit leidgeprüften Städten wie Paris, Brüssel oder Nizza stellt – daran haben Polizei und Staatsanwaltschaft am Tag danach keinen Zweifel mehr. Aber ist der festgenommene Navid B. tatsächlich der Mörder, der mit einem Sattelschlepper in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast ist?

    Der 23-jährige Pakistani, der an Silvester vergangenen Jahres aus Österreich nach Deutschland gekommen ist und seit Februar in Berlin lebt, streitet die Tat ab – und mit der Zeit kommen auch den Ermittlern Zweifel, ob es tatsächlich der Todesfahrer war, den eine Funkstreife eine knappe Stunde nach dem Anschlag in der Nähe der Siegessäule verhaftet hat.

    „Wir haben den Falschen“, zitiert Welt Online am Nachmittag einen Beamten. Was im Umkehrschluss nur bedeuten kann, dass der wahre Attentäter noch auf der Flucht ist, irgendwo im Dschungel der Großstadt und vermutlich auch bewaffnet. Am frühen Abend kommt Navid B. wieder frei. Aus dem, was die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bisher an Indizien zusammengetragen hat, lässt sich kein dringender Tatverdacht ableiten und schon gar kein Haftbefehl begründen. Die Suche nach dem Täter beginnt damit noch einmal neu.

    Zeugenaussagen nach Anschlag in Berlin widersprüchlich

    Vorsicht, heißt das auch, ist in der geschockten Dreieinhalb-Millionen-Metropole ab sofort erste Bürgerpflicht. „Wir sind besonders wachsam“, twittert die Polizei schon lange vor der Freilassung des Verdächtigen. „Seien Sie es bitte auch.“ So viele Zeugen das Attentat im Herzen der Westberliner City beobachtet haben, so widersprüchlich sind ihre Aussagen. Auch auf die Frage, ob es sich um einen Einzeltäter handelt, ob er vielleicht von religiösen Eiferern inspiriert wurde oder ob eine ganze Gruppe das Attentat ausgeheckt hat, haben die Fahnder bisher keine Antwort.

    „Das wissen wir noch nicht abschließend“, räumt Generalbundesanwalt Peter Frank ein, der die Ermittlungen leitet. Auch er vermutet einen terroristischen Hintergrund hinter den Ereignissen – nach dem Vorbild der Amokfahrt von Nizza, bei der ein Islamist am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, 86 Menschen in den Tod riss. Der IS beanspruchte den Anschlag am Dienstagabend auf jeden Fall für sich.

    In der Sprache des Juristen Frank hat auch das Berliner Attentat genau diesen „spezifisch staatsgefährdenden“ Charakter – mit einem ausgesprochen symbolischen Ziel: Dem Areal vor der Gedächtniskirche, die im Krieg zerstört wurde und seitdem wie ein Mahnmal gegen das Vergessen dort steht. Er jedenfalls, gesteht Frank, auf seine ganz persönliche Befindlichkeit angesprochen, würde heute nicht unbedingt einen Weihnachtsmarkt besuchen. Auch bei ihm sitzt der Schock tief.

    Unwirkliche Stille über dem Breitscheidplatz am Morgen nach dem Anschlag

    Über dem sonst so geschäftigen Breitscheidplatz liegt am Morgen danach eine unwirkliche Stille. Es ist kurz nach sieben Uhr, als ein Abschleppdienst mit der Bergung des polnischen Lastwagens beginnt, der zur tödlichen Waffe wurde. Die Polizei hat das Gelände mit einem Bauzaun und blickdichten weißen Planen abgeriegelt, der Eingang zur U-Bahn schräg gegenüber ist geschlossen, neben der Treppe hat jemand ein paar Kerzen und zwei Blumensträuße niedergelegt – ein stummes Zeichen der Anteilnahme.

    Ein Mitarbeiter, der an seinen Arbeitsplatz im Einkaufszentrum auf der anderen Straßenseite eilt, wird von einem Beamten freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen: „Das ist ein Tatort.“ Auf der Beifahrerseite des dunkelgrauen Lasters vom Typ Scania hängt ein Stück Tannenschmuck, mitgerissen offenbar in dem Moment, als der Sattelschlepper in den schmalen Zaun kracht, der den Weihnachtsmarkt von der stark befahrenen Budapester Straße trennt.

    Wie genau der Attentäter das schwere Fahrzeug unter seine Kontrolle gebracht hat, ist noch unklar. Erst allmählich verdichten sich die Indizien zu einem gespenstischen Bild. Danach hat der große Unbekannte den polnischen Kraftfahrer möglicherweise erschossen.

    Attentäter von Berlin entführte wohl den Lastwagen

    Ariel Zurawski, der Eigentümer der Spedition, hat jedenfalls schon früh ein mulmiges Gefühl. Seit 16 Uhr, sagt er noch am Montagabend in einem Interview, habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Fahrer gehabt, der zugleich sein Cousin ist. Dass er ein Mittäter sein könnte? Undenkbar für seine Familie. „Ich kenne ihn seit meiner Kindheit“, beteuert Zurawski. „Ich bürge für ihn. Ihm muss etwas angetan worden sein.“

    Später wird Innenminister Thomas de Maizière berichten, der Mann auf dem Beifahrersitz sei Pole und habe eine Schusswunde gehabt. Ob er schon tot ist, als der Attentäter seine Amokfahrt startet oder erst auf dem Breitscheidplatz stirbt? Nichts ist wirklich sicher an diesem fürchterlichen Tag, nichts ausgeschlossen, die Ermittler tappen im Dunkeln. Einige Passanten wollen in der Hektik einen Schuss gehört haben, Gerüchte über mehrere Messerstiche machen die Runde, mit denen der Fahrer des Sattelschleppers außer Gefecht gesetzt worden sein soll. Auch über die weiteren Todesopfer ist nicht viel bekannt.

    Bisher seien erst wenige identifiziert, sagt de Maizière entschuldigend und zieht eine erschütternde Bilanz: zwölf Tote, den Mann aus Polen eingeschlossen, 48 Verletzte, davon 14 schwer. Und die Pistole, mit der auf diesen Mann geschossen wurde, hat bisher auch noch niemand gefunden. Angeblich soll eine israelische Touristin unter den Toten sein, sicher identifiziert sind am Dienstagabend erst sechs Opfer – allesamt Deutsche.

    ---Trennung _Anschlag verändert Berlin_ Trennung---

    So wird aus einem Fall, der nach der Festnahme von Navid B. schon wie gelöst aussah, im Lauf des Tages ein immer verworreneres Knäuel aus Informationen, wilden Gerüchten und Spekulationen. Eine groß angelegte Polizeiaktion im Morgengrauen, als 200 Beamte eine Flüchtlingsunterkunft in einem Hangar des früheren Flughafens Tempelhof stürmen, alarmiert zwar die Hauptstadtpresse, bringt aber mit Ausnahme eines beschlagnahmten Mobiltelefones wenig Greifbares. Dem Vernehmen nach ist Navid B. dort untergebracht. Aber was, wenn er gar nicht der Attentäter ist?

    Bis zum Abend wollen Polizei und Staatsanwaltschaft noch nicht einmal das Offensichtliche bestätigen – dass es sich bei dem Toten in der Fahrerkabine um den Cousin des Spediteurs handelt. Eigentlich hätte dessen Sattelzug bis zur Entladung am Dienstag an der Niederlassung von Thyssen-Krupp am Westhafen stehen bleiben sollen. Dem Fuhrunternehmen aber fällt bei der Überprüfung der GPS-Daten auf, dass drei Mal versucht wurde, die Zugmaschine zu starten, offensichtlich würgt der Mann am Steuer dabei den Motor ab.

    Um 19.34 fährt er dann doch los – mit dem Breitscheidplatz als Ziel, wo der Laster eine halbe Stunde später ankommt. „Es ist, als hätte jemand geübt, ihn zu fahren“, sagt ein Mitarbeiter der Spedition. Inzwischen überprüft die Polizei deren Daten.

    Berlin steht nach Anschlag unter Schock

    Berlin – das ist wenige Tage vor Weihnachten eine Stadt unter Schock, entsetzt und gelähmt zugleich. „Wir sind fassungslos“, sagt der Regierende Bürgermeister Michael Müller. Am Abend wird das Brandenburger Tor, das aus Solidarität mit Terroropfern schon in den Farben Frankreichs oder der Türkei angestrahlt wurde, in denen der deutschen Flagge und im Rot-Weiß der Stadt Berlin leuchten.

    Vor den übrigen Weihnachtsmärkten der Stadt lässt Innensenator Andreas Geisel in den kommenden Tagen Beamte mit Schutzwesten und Maschinenpistolen aufmarschieren und Barrieren aus Beton aufbauen, um einen neuerlichen Anschlag zu verhindern. Auch das Spiel von Hertha BSC gegen Darmstadt 98 heute Abend wird gesichert wie ein Hochrisikospiel, vergleichbar nur mit den Maßnahmen in Paris im vergangenen Jahr, wo neben der Innenstadt auch das Stade de France zum Anschlagsziel der Terroristen wurde.

    „Robuste Präsenz“ nennen die Einsatzleiter der Polizei das. Der Tag, an dem der Terror Deutschland so hart getroffen hat, hat ja nicht nur am Breitscheidplatz eine Spur der Verwüstung hinterlassen, er raubt der Stadt auch ihre Unbeschwertheit. Schweigend sitzen die Menschen am Morgen in den U- und S-Bahnen, die Straßen rings um den Tatort sind gesperrt und gespenstisch leer, während immer mehr Menschen zu Fuß auf den Breitscheidplatz kommen, um ihr Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen zu zeigen. Auch auf dem einzigen Weihnachtsmarkt, der an diesem Dienstag in Berlin geöffnet hat, bleiben etliche Buden geschlossen. Dafür laufen Polizisten über das Areal und an den Eingängen werden die Taschen der wenigen Besucher kontrolliert, die hier im In-Viertel Prenzlauer Berg noch in Adventsstimmung sind.

    Am Nachmittag lässt Angela Merkel sich zur Gedächtniskirche fahren und legt mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, de Maizière und dem Regierenden Bürgermeister Blumen nieder, ehe sie sich in ein Kondolenzbuch einschreibt. Zwischen all den Blumen am Boden und den Kerzen steht ein Schild. Darauf hat jemand nur ein Wort geschrieben: „Warum.“

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