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Anschlag auf BVB-Bus: Terrorexperte zu Dortmund: "Dieser Anschlag ist sehr untypisch"

Anschlag auf BVB-Bus

Terrorexperte zu Dortmund: "Dieser Anschlag ist sehr untypisch"

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    Die Polizeipräsenz beim Nachholspiel in Dortmund ist hoch - ob der Anschlag tatsächlich von einem IS-Anhänger verübt wurde, bleibt rätselhaft.
    Die Polizeipräsenz beim Nachholspiel in Dortmund ist hoch - ob der Anschlag tatsächlich von einem IS-Anhänger verübt wurde, bleibt rätselhaft. Foto: Marcel Kusch/dpa

    Vieles weist nach dem Anschlag von Dortmund auf einen islamistischen Hintergrund hin. Festlegen wollte sich zunächst trotz Festnahme eines Islamisten aber niemand. Woran liegt das?

    Peter Neumann: Einiges ist nicht IS-typisch. Allein schon das Bekennerschreiben ist sehr ungewöhnlich. Es klingt ein bisschen nach jemandem, der versucht hat, die Rhetorik des „Islamischen Staates“ zu imitieren. Das schließt aber nicht aus, dass tatsächlich ein Anhänger des IS dahintersteckt – der aber vom IS einfach nicht viel Ahnung hat.

    Terror-Experte: Bekennerschreiben passt nicht zum IS

    Was war an dem Schreiben so ungewöhnlich?

    Neumann: Zum Beispiel ist darin vom „Kalifat“ die Rede. Anhänger des IS sprechen aber immer von „Khilafa“. Das ist eine Art Markenname, den man nicht übersetzt – genauso wenig, wie niemand von einem Apfel-Computer sprechen würde, wenn das Gerät von Apple ist. Auch die Forderung nach der Schließung des US-Luftwaffenstützpunktes Ramstein passt nicht: Mit der Erfüllung einer solchen Bedingung würde sich der IS niemals zufriedengeben. In früheren Bekennerschreiben hieß es sinngemäß vielmehr: „Wir kämpfen weiter, bis ihr vernichtet seid.“

    In dem Schreiben ist auch von einer Todesliste die Rede, auf der Sportler und andere Prominente „in Deutschland und anderen Kreuzfahrer-Nationen“ stünden. Sehen Sie gerade für deutsche Sportler eine erhöhte Gefahr?

    Neumann: Solche Listen zirkulieren relativ häufig. Das ist aber auch nur eine Methode, Terror auszuüben: Jedes Mal bekomme ich Anfragen von Leuten, die fragen, ob ich herausfinden kann, ob sie auf der Liste stehen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem Anhänger des IS nach solchen Listen vorgegangen sind. Ich glaube nicht, dass es eine Liste mit deutschen Sängern, Schauspielern oder Sportlern gibt, die der IS in Rakka oder Mossul hütet. Ich halte das für eine rhetorische Waffe, um Angst einzujagen.

    Zuletzt gab es Anschläge, die vergleichsweise einfach auszuüben waren. Mit Tatwaffen wie Messern, einer Axt oder Lkw. Nun kam eine aufwendige Sprengfalle zum Einsatz. Ist dies nicht sehr komplexer vorzubereiten?

    Neumann: Richtig. So eine Sprengfalle zu konstruieren ist nicht einfach. Daran sind schon einige gescheitert. Deshalb hat der IS im Laufe der Jahre die Anforderungen immer weiter gesenkt, weil er verstanden hat, dass seine Anhänger nicht immer die Qualifiziertesten sind. Der IS musste es ihnen also einfach machen. Dass die Täter in Dortmund in der Lage waren, funktionierende Sprengsätze zusammenzubauen, ist ein Zeichen von Expertise. Die Frage ist, ob dieser Anschlag erfolgreich war.

    Wie reagieren Islamisten auf den Dortmunder Anschlag?

    Sie meinen, die Täter wollten wirklich Menschen töten?

    Neumann: Die Sprengsätze haben zwar gezündet, aber sie haben letztlich nur einen Spieler und einen Polizisten verletzt. Die Terroristen hatten sicher mehr Schaden erhofft. Dschihadisten wählen für Anschläge Methoden, von denen sie überzeugt sind, dass sie funktionieren. Deshalb haben wir nach Nizza so viele Lastwagenanschläge gesehen.

    Sie analysieren, wie der Anschlag unter IS-Anhängern aufgenommen wird?

    Neumann: Ich selbst nicht, aber ein Kollege an meinem Institut hat die Szene und ihre Foren im Internet im Blick. Er hat mir auch gesagt, dass man sich zumindest bis Mittwochnachmittag auf Seiten des IS noch nicht so ganz sicher war, was da in Dortmund passiert ist. Da gab es lange nur sehr wenige Reaktionen. Nach vielen islamistischen Anschlägen – etwa in Berlin oder in Stockholm – kam heraus, dass die Terroristen den Behörden bekannt waren.

    Warum kann man die Täter dennoch nicht stoppen?

    Neumann: Zunächst beweist das, dass diese sogenannten einsamen Wölfe nicht aus dem Nichts kommen, sondern aus salafistischen Szenen. Und es zeigt, dass die Schere zwischen den Kapazitäten, die die Polizei hat, und der Anzahl der Gefährder immer größer wird. Eine hundertprozentige Trefferquote gibt es nicht, und man kann nicht alle diese Leute rund um die Uhr beobachten.

    Zur Person: Seit seinen Studien zu gewaltbereiten IS-Heimkehrern zählt der Politikwissenschaftler Peter Neumann zu den gefragtesten Terrorexperten der Welt. Der 42-jährige Würzburger leitet als Professor in London das internationale Terror-Forschungsinstitut ICSR.

    Lesen Sie dazu: Anschlag auf BVB: Gibt es wirklich keine besondere Bedrohungslage?

    Kommentar: Erreicht der Terror eine neue Stufe?

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