Wir leben in einem Land, in dem jeder seine Meinung sagen darf. Gott sei Dank! Doch in der Flüchtlingsdebatte verwechseln erschreckend viele Menschen Meinungsfreiheit mit dem vermeintlichen Recht darauf, gegen Ausländer zu hetzen. Immer unverhohlener zeigen diese Leute ihren Hass. Sie nutzen vor allem das Internet als Bühne – oft anonym, häufig aber auch ganz offen, mit richtigem Namen. Die große Mehrheit ist zwar angewidert, schaut aber zu. Anja Reschke erträgt das nicht mehr. In den ARD-Tagesthemen setzt sie ein Zeichen gegen die Hetzer – und bekommt millionenfaches Echo.
„Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun, dagegenhalten, Mund aufmachen, Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen“, fordert die Moderatorin in ihrem Kommentar. Und sie hat recht. Wir müssen den rechten Hetzern entgegentreten. Denn es geht ja nicht mehr um das fadenscheinige Alibi: „Das wird man doch noch sagen dürfen.“ Nein, es geht längst um Taten. In Deutschland brennen Asylunterkünfte und das Volk liegt am Baggersee. Sind wir wirklich so gleichgültig geworden? Wo bleibt der Aufschrei?
Die Debatte dreht sich nur vordergründig um die vollkommen berechtigte Frage, wie viele Flüchtlinge Deutschland verkraften kann und warum die Behörden so schlecht vorbereitet waren. Denn zumindest in einem Punkt sind sich doch alle Parteien einig: Nicht alle Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, können bleiben. Und: Die Asylanträge müssen dringend schneller bearbeitet werden.
ARD-Moderatorin Anja Reschke wählt deutliche Worte
Die Politik hat die Herausforderungen unterschätzt, ohne Zweifel. Doch in dem hitzigen Streit um mögliche Lösungen muss man dringend differenzieren. Einerseits geht es darum, wie vielen Menschen Deutschland Asyl geben kann. Denn viele Kommunen sind schon jetzt überfordert, und wir müssen aufpassen, dass hilfsbereite Bürger nicht das Gefühl bekommen, ausgenutzt zu werden. Andererseits geht es aber doch um eine zweite Frage: Darf die riesige Mehrheit der Deutschen wirklich zulassen, dass die wenigen braunen Pöbler die Stimmung beherrschen?
Wie sehr die Hemmschwelle gesunken ist, können wir Journalisten fast täglich erleben. Und es sind eben nicht nur irgendwelche bornierten Idioten, die das Internet mit ihren Parolen vermüllen. Es melden sich auch Bürger aus der seit Pegida so viel zitierten Mitte der Gesellschaft. Leute, die ihre Anrufe, Briefe oder E-Mails früher mit einem „Ich habe ja wirklich nichts gegen Ausländer, aber...“ eingeleitet haben. Leute, die jetzt ganz offen über „die Neger“ in der Nachbarschaft schimpfen, die „das neueste Handy haben, nur teure Markenklamotten tragen und auf Kosten armer deutscher Rentner mit ihren Großfamilien bei uns Urlaub machen“. Oft enden solche Tiraden mit Sätzen wie: „Aber das schreiben Sie ja eh wieder nicht.“
Nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten geraten immer öfter in Shitstorms, wenn sie für Flüchtlinge Partei ergreifen. Vielleicht wird es auch mir mit diesem Text so gehen. Und ich sage ganz klar: Wir dürfen nicht so naiv sein, die Ängste, die sich (auch) hinter einer solchen Hetze verbergen, zu ignorieren. Aber wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, wie rechte Hassprediger die hilfsbereite und tolerante Stimmung in Deutschland zu verändern drohen.
Ein Mann aus Niederbayern, der via Facebook anbot, Asylbewerbern „eine Gasflasche und eine Handgranate frei Haus“ zu liefern, muss 7500 Euro Geldbuße wegen Volksverhetzung bezahlen. Dass solche Fälle hart bestraft werden, ist absolut richtig. Aber es reicht nicht. Wir alle sind gefordert. Wir dürfen nicht zulassen, dass braune Parolen auf fruchtbaren Boden fallen. Deshalb muss die bislang schweigsame Mehrheit den Mund aufmachen. So wie Anja Reschke das getan hat. Ihr Kommentar wird innerhalb eines Tages vier Millionen mal aufgerufen und hunderttausendfach weiterverbreitet.
Beschimpfungen gibt es auch. Aber die gehen im Meer der Unterstützung unter. So funktioniert eine liberale, weltoffene Gesellschaft. Der Anfang ist gemacht.