„Was man vermisst merkt man meist erst, wenn man es nicht mehr hat“, sagt Angela Merkel. Bei ihrer letzten Sommerpressekonferenz in Berlin klingt sie so nüchtern und sachlich wie meist in ihren 16 Jahren als Bundeskanzlerin. Fragen, wie sie nach dem Ausscheiden aus dem Amt ihre Zeit verbringen wird, weicht sie konsequent aus. Noch ist sie ja schließlich etwas mehr als zwei Monate Regierungschefin: „Jede Woche fordert mich nach wie vor sehr stark, das wird sich bis zum letzten Tag fortsetzen. Die Herausforderungen sind gewaltig.“ Das lasse „wenig Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was danach kommt“. Die 67-jährige macht eine kleine Pause und ergänzt: „Ich werd‘ dann schon mit der Zeit was anfangen können.“
Merkel warnt vor steigenden Corona-Infektionszahlen und wirbt für Impfung
Stets waren die sommerlichen Auftritte vor der Hauptstadtpresse ein Gradmesser für die Stimmung im Land und das ist beim mutmaßlichen Finale nicht anders. In der hellblauen Version ihrer unvermeidlichen hochgeschlossenen Jacke verschmilzt sie fast mit der berühmten mittelblauen Wand im Großen Saal der Bundespressekonferenz am Spreeufer. Zunächst erinnert sie an die schrecklichen Verwüstungen durch das Hochwasser, das vergangene Woche 170 Todesopfer gefordert hat, an die Menschen, die noch vermisst werden und die riesige Sachschäden. „Wir werden zur Behebung dieser Schäden einen langen Atem brauchen“, sagt sie und verspricht, mit den Ministerpräsidenten schnell über einen gemeinsamen Aufbaufonds von Bund und Ländern beraten.
Natürlich geht Merkel auch auf die Corona-Pandemie ein, warnt, dass die Infektionszahlen wieder steigen, „mit einer besorgniserregenden Dynamik“. Die Vorsichtsregeln müssten weiter beachtet werden, Testen wieder eine größere Rolle spielen, um die Pandemieentwicklung vor dem Herbst zu kontrollieren. Das einziges Mittel, Corona zu besiegen, sei aber das Impfen. Denn durch die zunehmende Immunisierung verändere sich die Schwelle, ab der wieder eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Dazu werde gerade eine neue Richtlinie erarbeitet. „Wir brauchen noch deutlich mehr Impfschutz“, so ihr Appell an die Bevölkerung. „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein. Nicht nur als Einzelne, sondern als Gemeinschaft.“ Alle sollten für Impfung werben, im Familien- und Freundeskreis, im Verein, am Arbeitsplatz.
Angela Merkel zieht Bilanz nach 16 Jahren als "Krisenkanzlerin"
Kurz vor dem Ende ihrer regulären Amtszeit zieht die CDU-Politikerin dann, meist in Andeutungen oder zwischen den Zeilen zwar, doch eine Art Bilanz. Wenn es dabei eine Botschaft gibt, dann diese: Der Mensch Angela Merkel ist mit sich im Reinen. Auf Fragen nach Versäumnissen bei der der Klimapolitik sagt sie, Deutschland habe viel gemacht gegen den Klimawandel, damit meint die frühere Bundesumweltministerin ausdrücklich auch sich selbst. „Es ist Einiges passiert. Aber es ist nicht ausreichend passiert, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern auf der Welt“, räumt sie ein. Der Gesellschaft stehe nun ein tief greifender Wandel von Wirtschaften, Leben und Energieversorgung“ bevor.
Angesprochen auf ihren Ruf als „Krisenkanzlerin“, antwortet sie, es sei natürlich „wünschenswert, dass man wenig Krisen hat. Aber die Welt ist wie sie ist und da gab es eine Reihe von Herausforderungen“. Sie nennt Wirtschaftskrise und Euro-Krise, für die Deutschland nicht verantwortlich gewesen sei. Und fügt an: „Auch die Anforderungen, die wir mit den vielen Flüchtlingen zu bewältigen hatten, hatten geopolitische Gründe.“ Europa, aber nicht alle EU-Mitgliedsstaaten gleich, leisteten einen großen Beitrag dazu, Flüchtlingen Asyl vor Krieg und Verfolgung zu gewähren. Wer kein Recht auf Asyl habe, müsse auch zurückgeführt werden. Sie wünsche sich legale Migration, für diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Es gelte, nicht Schlepper und Schleuser agieren zu lassen. Noch immer gebe es keine einheitliche EU-Asylpolitik: „Das ist eine schwere Bürde, das muss gelöst werden in den kommenden Jahren.“
Kanzlerin Angela Merkel: " Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen"
Routiniert steuert die Physikerin durch die Fragen, Kritik am Agieren der Bundesregierung in der Pandemie bürstet sie ab. „Im Corona-Verlauf insgesamt haben wir sehr vieles richtig gemacht, die Wirtschaft gestützt, unser Gesundheitssystem hat sich als leistungsfähig erwiesen.“ Nicht gut sei aber der Schutz der Altenheime gelaufen. „Wir sind ein starkes Land“, beteuert die Bundeskanzlerin, trotz mancher Rückstände, etwa bei der Digitalisierung. „Es gibt viel zu tun, aber wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen“, so ihr Fazit. Nachholbedarf sieht sie auch in Sachen Feminismus. Was die Gleichstellung von Frauen betrifft, habe sie während ihrer Amtszeit gemerkt, „dass von alleine ziemlich wenig geht“. 1990, bei ihrem Einstieg in die Politik, habe sie sich das einfacher vorgestellt.
Gefühliges, Nostalgisches oder Privates aus dem Mund der scheidenden Kanzlerin hatten die Journalisten ohnehin nicht erwartet. Sie werden auch keines Besseren belehrt. Mit welchen Regierungschefs sie am besten auskam, das will Merkel nicht beantworten. Dass selbst der NSA-Überwachungsskandal die gute Zusammenarbeit mit Barrack Obama nicht beeinträchtigt habe, ist für ihre Verhältnisse schon eine starke Sympathiebekundung für den damaligen US-Präsidenten. Auch als sie, gefragt nach den Unterschieden von Frauen und Männern in der Politik, bei Frauen „eine gewisse Sehnsucht nach Effizienz“ feststellt, redet Merkel ganz offensichtlich von sich selbst. Wie sie den Wahlabend verbringen wird, den Moment, in dem feststeht, ob ihr Nachfolger Armin Laschet, Annalena Baerbock oder Olaf Scholz heißen wird, alle Bewerber hat sie zuvor als „fähig“ bezeichnet, darüber habe sie sich noch keine Gedanken gemacht. In der typischen, etwas umständlichen Merkel-Manier sagt sie: „Ich werde Verbindung zu der Partei haben, deren Mitglied ich bin und der ich nahestehe.“