Es kommt nicht häufig vor, dass die Menschen in Kuba auf die Straße gehen, um dort gegen die Regierung zu demonstrieren. Dass sie es in den vergangenen Tagen doch getan haben, hat viel mit der Not zu tun, die auf der Insel herrscht. Entgegen aller Karibik-Klischees und Havanna-Romantik geht es für viele Kubaner ums nackte Überleben. Es fehlt nämlich längst nicht nur an politischer Freiheit, sondern an Grundlegendem: Nahrungsmittel sind knapp, die Corona-Zahlen steigen, die Touristen-Zahlen (und damit die Devisen) sind niedrig. Die Stimmung brodelt – auch, wenn die Regierung die Schuld mal wieder reflexhaft dem „Klassenfeind“ USA zuschiebt.
„Was die Welt im Moment von Kuba sieht, ist eine Lüge“, erklärte Präsident Miguel Díaz-Canel mit Blick auf die Proteste im eigenen Land. Díaz-Canel stellt die Demonstranten als Unruhestifter dar, die versuchen würden, die Gesellschaft gegen die Regierung aufzuhetzen. Eine Youtube-Aktivistin ließ er verhaften – vor laufenden Kameras. Sie sprach gerade in einem Live-Stream, als Polizisten an ihrer Tür klopften und sie verschwand. Statt das dringend benötigte Zuckerbrot packt der Präsident die Peitsche aus. Nur noch mit brutaler Unterdrückung kann er die für ihn so gefährliche Lage kontrollieren – und es ist zu befürchten, dass es ihm auch diesmal gelingt.
Die Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang Kubas
Auch in den vergangenen Jahren wagten es immer mal wieder kleine Gruppen, ihre Wut öffentlich zu machen. Doch so viele Menschen wie diesmal hatten es lange nicht mehr gewagt zu demonstrieren. Der wirtschaftliche Niedergang der Insel vor der US-Küste hat mehrere Gründe. Da ist zum einen das politische Unvermögen der Kommunistischen Partei (alle anderen sind verboten), die sich mit einer Art Mangelverwaltung zufrieden gibt und damit das Volk seit vielen Jahren am Existenzminimum hält. Seit Jahrzehnten schon belegen die USA ihren Nachbarn mit umfangreichen Sanktionen. Eine unter Barack Obama ganz zaghaft unternommene Annäherung wurde von der Regierung Trump wieder verworfen. Aktuell verschlimmert hat die angespannte Lage in Kuba zudem der Zusammenbruch der Wirtschaft in Venezuela. Das Land ist Kubas wichtigster Partner, blickt allerdings gerade selbst in den Abgrund.
Für Díaz-Canel ist die Situation heikel, selbst wenn er die Proteste niederschlagen kann. Der Geist der Revolution wird schwächer, der Castro-Mythos verblasst. Der Parteislogan „Patria o Muerte“ (Vaterland oder Tod) klingt wie purer Hohn. Das Gefühl der Perspektivlosigkeit wird immer größer. Das Vertrauen in die eigene politische Führung ist massiv beschädigt – selbst jene Errungenschaften, die der Präsident immer monstranzartig vor sich hertrug, geraten an ihre Grenzen: Was nützt der sozialistischen Diktatur eine kostenlose und flächendeckende Gesundheitsversorgung, wenn es keine Medikamente und stattdessen regelmäßig Stromausfälle gibt?
Auch US-Präsident Joe Biden steckt in einem Dilemma
Anders als früher haben die Demonstrantinnen und Demonstranten mit den sozialen Medien ein wichtiges Hilfsmittel zur Hand, um ihre Botschaft zu verbreiten. Es wächst eine junge Generation heran. Will Díaz-Canel sie erreichen, muss er mit seinen beiden Vorgängern Fidel und Raul Castro abschließen und endlich den Mut haben, eigene Reformen und eine eigene Vision für das Land zu entwickeln. Davon ist bislang noch nichts zu merken. Bleibt der Präsident aber bei seinem bisherigen Motto – Machterhalt um jeden Preis – stehen dem Karibikstaat noch schwere Zeiten bevor.
Zum Dilemma wird die Situation aber auch für den neuen US-Präsidenten Joe Biden. Sein Land hat Kuba seit Jahrzehnten mit Sanktionen überzogen. Soll er die fallen lassen, um dem leidenden Volk zu helfen? Oder stützt er damit am Ende doch nur die autoritäre Regierung in Havanna, weil damit auch der Druck von der Straße weicht? Für Biden ist das eine außen- und innenpolitische Frage zugleich. Die Exilkubaner in den USA machen eine wichtige Wählergruppe aus. Sie haben ihr Leben riskiert, um der Diktatur in der Heimat zu entkommen. Doch viele haben weiter Familie vor Ort, der sie aufgrund des US-Embargos allerdings kein Geld schicken dürfen. Bislang weigert sich der amerikanische Präsident, die Zange zu lockern. Doch es ist anzunehmen, dass Biden auch hier zumindest kleine Schritte der Entspannung gehen wird und sich seinem Vor-Vorgänger Obama anschließt. Wandel durch Annäherung – eine Garantie ist aber auch das nicht.