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Analyse: Warum Politiker die israelische Justiz fürchten

Analyse

Warum Politiker die israelische Justiz fürchten

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    Der Prozess gegen Ministerpräsident Netanjahu wird verschoben.
    Der Prozess gegen Ministerpräsident Netanjahu wird verschoben. Foto: Oded Balilty, AP/dpa

    Ansteckungsfälle, Quarantäne und entsprechend aufgeregte Experten, Medien und Bürger – auch Israel ist fest im Griff des Coronavirus. Weitreichende Einschränkungen lähmen – wie in den meisten europäischen Staaten – das öffentliche Leben. Seit Sonntag gilt der Notstand. Da mutet es wie eine Selbstverständlichkeit an, dass Gerichtsprozesse von hoher öffentlicher Relevanz verschoben werden. Doch in

    Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel.
    Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. Foto: dpa

    Netanjahu wird ganz offen verdächtigt, dass er die Virus-Krise dazu missbraucht, um der Klage wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue zu entgehen, ja sogar rechtsstaatliche Prinzipien zu schleifen. Der Regierungschef hingegen spricht von einer „Hexenjagd“ gegen seine Person.

    Netanjahus Konkurrent Benny Gantz erhält Regierungsauftrag

    In die Diskussion über die Verschiebung des Verfahrens platzte am Montag die Nachricht, dass sein Konkurrent Benny Gantz von Staatspräsident Reuven Rivlin mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Der Chef des Mitte-Bündnisses Blau-Weiß hat 28 Tage Zeit, das seit über einem Jahr und drei Parlamentswahlen währende politische Patt zu beenden. Zuletzt deutete sich an, dass Gantz und der rechtskonservative Likud von Netanjahu angesichts der dramatischen Corona-Lage eine Koalition der nationalen Einheit bilden könnten. Wie schwer das werden könnte, zeigte sich am Sonntag: Gantz bezichtigte seinen potenziellen Regierungspartner, die israelische Öffentlichkeit zu manipulieren. Und zwar, indem er „über Nacht“ die Verschiebung seines Prozesses betreibe. Mosche Jaalon, der im Kabinett Netanjahu Verteidigungsminister war und heute im Bündnis Blau-Weiß eine wichtige Rolle spielt, ging weiter. Der Ex-General bemühte mit Blick auf den amtierenden Regierungschef als warnendes Beispiel „Erdogans Türkei“. Er warf Netanjahu vor, „die Corona-Krise auf zynische Weise für persönliche politische Ziele“ eingesetzt zu haben.

    Ex-Präsident Mosche Katsan.
    Ex-Präsident Mosche Katsan. Foto: dpa

    Tatsächlich kann Israel stolz auf seinen Rechtsstaat sein. Das Land verfügt über eine effektive und unabhängige Justiz – in der Region ein Alleinstellungsmerkmal. Die Reihe hochrangiger Politiker, die von Richtern gestoppt, ja ins Gefängnis gebracht wurden, ist lang. Korruptionsfälle brachten vor zwölf Jahren den damaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert nicht nur politisch zu Fall, sondern auch für 16 Monate in den Knast. Er hatte Bestechungsgelder angenommen und im Gegenzug ein Bauprojekt in Jerusalem durchgewunken.

    Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert.
    Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert. Foto: dpa

    2007 erwischte es den damaligen Präsidenten: Katsav musste hinter Gitter

    Bereits 2007 klingelten die Ermittler noch ein Stockwerk höher: Staatspräsident Mosche Katsav wurde wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt – fünf Jahre davon musste er absitzen.

    Der frühere Finanzminister Abraham Hirschson.
    Der frühere Finanzminister Abraham Hirschson. Foto: dpa

    Geldwäsche wurde zwei Jahre später Finanzminister Abraham Hirschson zum Verhängnis. Die Quittung: eine Gefängnisstrafe von mehr als fünf Jahren. Als besonders spektakulär gilt der Fall von Gonen Segev, der eine besonders facettenreiche kriminelle Karriere hinlegte. Im Jahr 2004 wurde der damalige Energieminister überführt, 30000 als Schoko-Erbsen getarnte Ecstasy-Pillen geschmuggelt zu haben. Nebenbei hatte er einen Diplomatenpass gefälscht. Jahre später gestand der ausgebildete Kinderarzt, ab 2012 für den Geheimdienst des Erzfeindes Iran spioniert zu haben – eine Tat, die in Israel als unverzeihlich angesehen wurde. 2019 wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt.

    Ex-Energieminister Gonen Segev.
    Ex-Energieminister Gonen Segev. Foto: Imago Images

    Avigdor Lieberman wurde freigesprochen -aus Mengel an Beweisen

    Erfolgreich hingegen wehrte sich der rechtsnationale Politiker Avigdor Lieberman über Jahre gegen Korruptions-, Betrugs- und Bestechungsvorwürfe. Nach einem Freispruch aus Mangel an Beweisen kehrte er 2012 wieder in sein Amt als Außenminister zurück.

    Welches Schicksal ereilt nun Netanjahu? Während viele seiner Wähler weiter zu dem Likud-Chef stehen, werfen ihm Gegner vor, Richter und Staatsanwälte unter Druck zu setzen und seine Anhänger ganz bewusst gegen die Strafverfolger aufzuwiegeln. Netanjahus Likud will die Immunität aller 120 Abgeordneten erweitern, gleichzeitig ist ein Gesetz im Gespräch, das dem Obersten Gerichtshof die Kompetenz entziehen soll, politische Entscheidungen oder beschlossene Gesetze zu kassieren. Dann spätestens wäre die Gewaltenteilung in Israel ernsthaft in Gefahr.

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