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Analyse: US-Demokraten: Mit einem Spitzenkandidaten gegen Donald Trump

Analyse

US-Demokraten: Mit einem Spitzenkandidaten gegen Donald Trump

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    Bernie Sanders (links) hat seinen Ausstieg aus dem Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur verkündet. Nun liegen alle Hoffnungen auf Joe Biden (rechts).
    Bernie Sanders (links) hat seinen Ausstieg aus dem Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur verkündet. Nun liegen alle Hoffnungen auf Joe Biden (rechts). Foto: Matt Rourke, AP/dpa

    War da was? Als der linke Senator Bernie Sanders am Mittwoch in einer Videobotschaft seinen Ausstieg aus dem Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur verkündete, wähnte man sich in einem Film aus längst vergangenen Tagen. Wie lange ist das her, dass sich einmal zwei Dutzend wackere Bewerber stritten, wer von ihnen in der Vergangenheit mehr Gesetze auf den Weg gebracht oder enger mit Ex-Präsident Barack Obama zusammengearbeitet hat?

    Kein anderer Kandidat außer Ex-Vizepräsident Joe Biden hatte eine realistische Chance

    Im Grunde ist der von internen Reibereien und einer chaotischen Organisation gekennzeichnete Vorwahlkampf der US-Demokraten schon seit dem Super Tuesday am 3. März vorbei. Seither steht fest, dass kein anderer Kandidat außer Ex-Vizepräsident Joe Biden eine realistische Chance hat, die Mehrheit der Delegierten hinter sich zu scharen. Und kurz darauf hat die Corona-Pandemie jedes andere Thema ohnehin überrollt. Kein Amerikaner interessiert sich angesichts der furchtbaren Bilder von überfüllten Krankenhäusern und Leichen auf Gabelstaplern derzeit für innerparteiliche Debatten. Alle Kundgebungen sind abgesagt. Es ist nicht einmal klar, ob der bereits verschobene Nominierungsparteitag der Demokraten überhaupt stattfinden kann.

    Insofern ist es eine gute Nachricht, dass die Partei nun endlich das Feld bereinigt hat und mit einem klaren Spitzenkandidaten gegen Amtsinhaber Donald Trump antritt, der in der Krise noch unberechenbarer und gefährlicher wirkt als zu normalen Zeiten. Weniger hoffnungsfroh stimmt die Art und Weise, in der der 78-jährige Sanders seinen Rückzug verkündete. Zwar räumte er ein, dass er keine Chance auf die Nominierung mehr habe, stilisisierte sich selbst aber zum moralischen und ideologischen Sieger hoch. Zu einer Wahlempfehlung für Biden konnte er sich nicht durchringen. Der 77-Jährige sei "ein sehr anständiger Mann, mit dem ich zusammenarbeiten werde", verkündete der Verlierer geradezu gnädig.

    Der Abgang illustriert eindrücklich die Stärken und die Schwächen des bekennenden Sozialisten, der in den ersten Wochen diesen Jahres bei vielen jungen Amerikanern zu einem regelrechten Pop-Idol aufgestiegen war: Sanders ist stark in der Analyse. Er hat frühzeitig die Missstände des US-Gesundheitssystems, die derzeit in der Krise überdeutlich werden, angeprangert. Er hat die Demokraten in den vergangenen Monaten deutlich nach links gerückt. Doch seine kompromisslose Therapie, die auf revolutionäre Umstürze ohne wirklich durchgerechnete Konzepte setzt, ist in den USA nicht mehrheitsfähig. Auch hat der Senator entgegen seiner Bekundung keineswegs neue Wähler mobilisiert. Im Gegenteil: Sein harsches, von einem übergroßen Ego geprägtes Auftreten stößt viele Menschen ab.

    US-Präsidentschaftswahl: Joe Biden ist ein Sympathieträger

    Joe Biden verkörpert in mancher Hinsicht das Gegenbild des linken Weltverbesserers. Er ist ein mäßiger Redner. Seine pragmatischen Konzepte strahlen nicht. Aber der sechsfache Großvater ist ein Sympathieträger, der zuhört und Anteilnahme ausstrahlt. Das hat ihm die wichtige Unterstützung der afro-amerikanischen Gemeinschaft eingebracht. Und gemeinsam mit seiner politischen Efahrung und seiner eindrucksvollen Lebensgeschichte verschafft ihm das Unterstützung auch von bislang unentschlossenen Wechselwählern. Es stimmt: Biden ist nicht mehr der Jüngste, und das merkt man ihm gelegentlich an, wenn seine Sätze im Nirwana versanden. Doch mit seiner Integrität, seinem Anstand und seiner Empathie steht er für ein echtes Kontrastprogramm zu dem autokratischen Egomanen im Weißen Haus. Mit einer überzeugenden Vizepräsidentin und einem jungen, diversen Kern-Kabinett könnte Biden gleichsam eine Brücke aus der Vor-Trump-Zeit in die Zukunft schlagen.

    Ob es wirklich so kommt, ist derzeit freilich offener denn je. Das liegt nicht nur an den unbekannten Personalentscheidungen und der wichtigen Frage, ob Bernie Sanders in den kommenden Wochen seine Anhänger tatsächlich für den Kandidaten mobilisieren wird. Vielmehr hat die Corona-Krise alle traditionellen Gesetze des amerikanischen Wahlkampfs außer Kraft gesetzt. Während zu dieser Zeit normalerweise der Herausforderer an jedem Abend in einer anderen Stadt auftreten und Sendezeit im Fernsehen einnehmen würde, hockt Joe Biden wegen der offiziellen Ausgangsbeschränkungen tatsächlich in seinem Haus in Delaware.  Aus dessen Keller sendet er gelegentlich wenig professionelle Livestreams oder Videobotschaften. Doch Bilder mit Wählern, echte Debatten mit Interaktion, Besuche an der Basis – also alles das, was einem Herausforderer normalerweise zur Profilierung dient – gibt es nicht.

    Donald Trump inszeniert Updates zur Corona-Lage schamlos als Wahlkampfauftritte

    Derweil inszeniert Donald Trump im Weißen Haus seine täglichen Unterrichtungen zur Corona-Lage immer schamloser wie Wahlkampfauftritte. Zwar schalten die großen Kabelsender inzwischen nach einiger Zeit ab. Aber mehr kostenlose Sendezeit, mehr Möglichkeit zur Selbstdarstellung, mehr Omnipräsenz in den heimischen Wohnzimmern hat wohl selten ein Präsident im Wahlkampf gehabt. In der Krise schlägt die Stunde der Exekutive: Trump kann Anordnungen erlassen, Milliardenbeträge bewegen und Hilfslieferungen dirigieren. Biden hingegen hat kein politisches Amt. Er sitzt vor seiner Bücherwand und redet.

    Der strukturelle Nachteil des Herausforderers ist unbestreitbar. Doch ist keineswegs klar, was das für die Präsidentschaftswahl bedeutet. Bis zur Abstimmung vergehen noch fast sieben Monate. Niemand weiß, welche Themen dann dominieren werden. Vielleicht hat sich die Wirtschaft ein Stückweit von ihrem dramatischen Einbruch erholt und Donald Trump kann sich einmal mehr als erfolgreicher Manager verkaufen. Vielleicht wütet die Pandemie aber noch schlimmer als befürchtet. Vielleicht wird das chaotische Agieren des Präsidenten irgendwann überdeutlich. Niemand kann das heute vorhersagen.

    Die Umfragen jedenfalls besagen nicht, dass Trump unbesiegbar wäre. So groß die Zustimmung für den Präsidenten unter den Republikanern ist, so massiv ist die Ablehnung unter demokratischen und unabhängigen Wählern. Auch die positiven Zustimmungswerte für sein Krisenmanagement bröckeln seit ein paar Tagen, und im direkten Vergleich liegt Joe Biden meist leicht vorne.

    Es wird nun höchste Zeit, dass der Herausforderer sichtbarer wird und mit politischen Initiativen in die Offensive kommt. Das Ende der parteiinternen Personalquerelen schafft dafür eine wichtige Voraussetzung. Mehr aber auch nicht.

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