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Analyse: Sechs Gründe, warum ein deutscher Macron unvorstellbar ist

Analyse

Sechs Gründe, warum ein deutscher Macron unvorstellbar ist

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    Emmanuel Macron hat über Nacht das alte Parteiensystem in Frankreich über den Haufen geworfen.
    Emmanuel Macron hat über Nacht das alte Parteiensystem in Frankreich über den Haufen geworfen. Foto: Benjamin Cremel, afp

    In Frankreich ist das alte Parteiensystem über Nacht aus den Angeln gehoben worden. Sozialisten und Republikaner, die seit 1958 die Republik dominierten, abwechselnd den Präsidenten stellten und mit unseren Volksparteien SPD und CDU/CSU vergleichbar sind, haben nichts mehr zu melden.

    Die Sozialisten, eben noch im Besitz der absoluten Mehrheit, sind zur Splitterpartei geworden. Die Konservativen haben nur noch ein Fünftel der Wähler hinter sich. Das Sagen in Frankreich hat jetzt der neue Präsident Emmanuel Macron, 39, der mit seiner erst vor einem Jahr gegründeten Bewegung "En Marche!" dieses politische Erdbeben bewirkt hat und nun auch die Mehrheit im Parlament besitzt.

    Die Deutschen haben den faszinierenden Aufstieg des jungen Mannes mit viel Sympathie verfolgt. Und viele fragen sich jetzt: Ist ein solch atemberaubender Umsturz der tradierten politischen Verhältnisse auch in Deutschland möglich, zumal es ja auch hierzulande um das Vertrauen der Bürger in die etablierten Parteien und politischen Eliten nicht mehr gut bestellt ist. Die Antwort lautet: Nein, das ist unvorstellbar. Und zwar aus folgenden sechs Gründen:

    1. Ein deutscher Macron ist nicht in Sicht

    In Deutschland ist weit und breit kein Mann vom Format und der Ausstrahlung Macrons in Sicht, der das Zeug dazu hätte, demokratische Wahlen im Alleingang in ein Plebiszit gegen die staatstragenden Parteien umzufunktionieren und eine aus dem Nichts entstandene Partei zum Sieg zu führen.

    2. Deutschland steht wirtschaftlich viel besser da

    Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist wesentlich besser als in Frankreich, das im weltweiten Wettbewerb zurückgefallen ist, unter hoher Arbeitslosigkeit und einem schwachen Wachstum leidet. Den meisten Deutschen geht es gut. Warum sollten sie jene Parteien, die das ökonomisch ungewöhnlich starke Land regieren, abservieren?

    3. Frankreichs politische Klasse gilt als besonders abgehoben

    3 Nirgendwo sonst in Europa scheint sich das Volk so weit von seinen Repräsentanten entfernt zu haben wie in Frankreich, wo die sogenannte politische Klasse als besonders elitär und abgehoben empfunden wird. Zahlreiche Affären und Fälle von dreister Selbstbedienung haben das Vertrauen vieler Bürger in die Redlichkeit der über Jahrzehnte hinweg dominierenden Volksparteien zerstört. Der Ruf der deutschen Parteien ist, bei aller Kritik und aller Politikverdrossenheit, nicht annähernd so sehr ramponiert.

    4. Die Bilanz deutscher Regierungen fällt deutlich besser aus

    Der Ruf Macrons nach einer Erneuerung an Haupt und Gliedern fand auch deshalb so viel Gehör, weil unter den Präsidenten Sarkozy und Hollande in den vergangenen zehn Jahren nichts vorangegangen und die soziale Spaltung des Landes vorangeschritten ist. Die Bilanz deutscher Regierungen fällt deutlich besser aus, die Mehrheit der Deutschen stellt – wie alle Umfragen belegen – ein passables Zeugnis aus.

    5. Die politische Lage in Deutschland ist wesentlich stabiler

    Deutschland wird seit 1949 von der Mitte aus und im Regelfall mit Koalitionen regiert. Die politische Lage war und ist dadurch wesentlich stabiler als in Frankreich, wo das Mehrheitswahlrecht dafür sorgte, dass entweder die Sozialisten oder die Konservativen meist klare Mehrheiten in der Nationalversammlung hatten. Mit Macron kommt erstmals seit Gründung der Fünften Republik 1958 eine Partei ans Ruder, die die politische Mitte repräsentiert und das gewohnte Lagerdenken aufbricht.

    6. Deutschland scheut sich vor radikalen Experimenten

    Die Deutschen schätzen stabile, berechenbare Verhältnisse in der Politik und hüten sich – wohl auch aufgrund schlimmer historischer Erfahrung – vor radikalen Experimenten. Anders Frankreich: Radikale Parteien von links und rechts sind ungleich stärker. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen brachten die rechte Front-National-Kandidatin Le Pen und der extreme Linksaußen Mélenchon zusammen über 40 Prozent der Wähler auf die Waage. Solche Verhältnisse sind in Deutschland, wo die politische Mitte breiter und gefestigter ist und die Volksparteien über einen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten verfügen, auf absehbare Zeit ausgeschlossen.

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