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Analyse: Revolution in Belarus: Wie reagiert Putin?

Analyse

Revolution in Belarus: Wie reagiert Putin?

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    Die Proteste in Weißrussland werden lauter. Nun sind sie auch nie Moskau nicht mehr zu überhören.
    Die Proteste in Weißrussland werden lauter. Nun sind sie auch nie Moskau nicht mehr zu überhören. Foto: Alexander Astafiev, dpa

    Wladimir Putin nannte den Zerfall der Sowjetunion einst die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Das war nach der ukrainischen Revolution in Orange, die sich nach Westen orientierte. Wenig später griff Putin die USA, die Nato und die EU auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 frontal an. Der Westen strebe nach Weltherrschaft. Korrigiert hat Russlands Präsident seine Worte bis heute nicht. Im Gegenteil. Die „Farbrevolutionen“ im postsowjetischen Raum hält er für so etwas wie die größte geopolitische Katastrophe des frühen 21. Jahrhunderts. Was aber heißt das für Belarus? Dort hüllen sich die Gegner des Diktators Alexander Lukaschenko zwar in unschuldiges Weiß. In Wirklichkeit fordern sie aber nicht nur das Regime in Minsk heraus, sondern auch Moskau.

    Putin sichert Lukaschenko Hilfe zu

    Putin gratulierte Lukaschenko zwar zum Sieg in einer offenkundig gefälschten Präsidentenwahl. Doch als die Protestierenden allen Prügelorgien trotzten, gab es keine Mahnungen aus Moskau. Niemand warnte vor einer Eskalation wie in der Ukraine 2014, als alles mit Krieg endete. Erst am zweiten Sonntag, als die Revolte in Minsk zur Massenbewegung anschwoll, sicherte Putin dem irrlichternden Lukaschenko „Hilfe bei der Lösung auftretender Probleme“ zu und verwies auf ein bestehendes Militärabkommen.

    Die Lage wird für den Präsidenten immer prekärer. Ein Auftritt im Minsker Radschlepperwerk wurde für Lukaschenko zum unerwarteten Debakel. Arbeiter empfingen ihn feindselig: „Uchodi!“ – „Hau ab!“ – brüllten wütende Menschen dem Staatschef direkt ins Gesicht. Es ist der Schlachtruf, den die Oppositionellen überall skandieren. „Danke“, sagte Lukaschenko verdattert. Rasch war der Regierungstross verschwunden. Am Abend signalisierte er im Staatsfernsehen seine Bereitschaft, über ein Verfassungsreferendum Neuwahlen zu ermöglichen.

    Zahlreiche Demonstranten haben sich auf dem Unabhängigkeitsplatz in Minsk versammelt, um gegen den belarussischen Machthaber Lukaschenko zu protestieren.
    Zahlreiche Demonstranten haben sich auf dem Unabhängigkeitsplatz in Minsk versammelt, um gegen den belarussischen Machthaber Lukaschenko zu protestieren. Foto: Ulf Mauder, dpa

    Kreml: Belarus ist der Kern der eigenen geopolitischen Einflusszone

    Wilfried Jilge, Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, warnt denn auch davor, die anfängliche Zurückhaltung des Kremls falsch zu deuten. Die Lage sei für Russland nicht leicht zu handhaben. „Einen immer machtloser werdenden Herrscher wie Lukaschenko zu stützen, ist natürlich schwierig“, sagt Jilge. Zugleich könne es keinen Zweifel daran geben, dass Belarus für den Kreml „zum Kern der eigenen geopolitischen Einflusszone zählt, zur sogenannten ‚Russischen Welt‘, in der jede Form des Kontrollverlustes unbedingt zu vermeiden ist“. Deshalb müsse der Westen nicht nur genau beobachten, was in Minsk passiert, sondern auch Moskau im Blick behalten. Denn: „Eine beispielsweise hybride oder wie auch immer verpackte Intervention ist keineswegs auszuschließen.“

    Das gilt umso mehr, als das russische Militär die strategische Bedeutung von Belarus nicht geringer einstuft als jene der Krim, wo die Schwarzmeerflotte stationiert ist. Im Süden geht es um den Zugang zum Mittelmeer, im Norden um den Suwalki-Korridor, der Belarus von der russischen Exklave Kaliningrad trennt und damit von Abschussrampen atomar bestückbarer Iskander-Raketen. Und es geht um eine 1200 Kilometer lange Grenze zu Lettland, Litauen und Polen, an der die Nato nach der Krim-Krise schnelle Eingreiftruppen schuf. 2017 probten russische und belarussische Einheiten beim Großmanöver „Sapad“ (Westen) den Ernstfall. Ein Planspiel damals: ein Putsch in Minsk.

    Das vorletzte Kapitel des postsowjetischen Zeitalters

    Lukaschenko beschwört die angebliche Bedrohung aus dem Westen. „Die Soldaten der Nato rasseln mit ihren Kettenfahrzeugen an den Toren von Belarus vorbei, die Flugzeuge sind in einer Viertelstunde bei uns“, sagte er am Sonntag. In Brüssel weist man das zurück – und auch in Moskau fürchtet man eine Intervention der Nato wohl am wenigsten. Eine weit größere Bedrohung ist aus Kreml-Sicht ein schleichender Wegfall des engen Verbündeten Belarus. An diesem Szenario ändert auch die Zurückhaltung der Opposition nichts, die in diesen Tagen der Revolte weder EU-Flaggen schwenkt noch eine Westorientierung fordert. „Die Proteste selbst sind doch eine Manifestation europäischer Werte par excellence“, sagt Experte Jilge und verweist auf das Verlangen nach echten demokratischen Wahlen, Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit. „Die Fahnen sind da aus Moskauer Sicht nicht das Entscheidende.“ Vielmehr stelle ein Wandel auf Grundlage dieser Werte und damit gleichsam im russischen Vorgarten die Legitimität der eigenen autokratischen Ordnung infrage. Jilge: „Das kann Putin nicht einfach so hinnehmen.“

    Vor welche innenpolitischen Probleme der „Fall Belarus“ den Kreml stellt, zeigt sich an ganz anderer Stelle: Im Chabarowsk, unweit der Grenze zu China, gehen seit Wochen jeden Samstag Tausende auf die Straße, um gegen die Inhaftierung eines kremlkritischen Gouverneurs zu demonstrieren. Ein Mittel, die Proteste ohne Gewalt zu beenden, hat im 6000 Kilometer westlich gelegenen Moskau bislang niemand gefunden. Kommentatoren sehen daher in Lukaschenkos Niedergang heute bereits Putins Zukunft aufscheinen. „In Belarus schreiben sie gerade das vorletzte Kapitel des postsowjetischen Zeitalters“, prophezeit Publizist Konstantin Eggert: „Das letzte wird in Moskau geschrieben.“ Politikwissenschaftlerin Jekaterina Schulmann nennt sogar einen konkreten Zeitpunkt: „Das belarussische 2020 ist unser 2024.“ In vier Jahren wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Putin wäre dann fast genauso lange im Amt wie Lukaschenko heute – und noch dazu zwei Jahre älter. (mit dpa)

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