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Analyse: Parteitag der Grünen: Der Wahlkampf bleibt noch vor der Tür

Analyse

Parteitag der Grünen: Der Wahlkampf bleibt noch vor der Tür

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    Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Parteitag der Grünen in Berlin.
    Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Parteitag der Grünen in Berlin. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Es kommt bei Parteitagen auf die Akteure der zweiten Reihe mindestens ebenso an wie auf die Vorsitzenden. Bei den Grünen ist es Michael Kellner, der als politischer Bundesgeschäftsführer hinter den Kulissen die Strippen zieht und dafür sorgt, dass so etwas wie diese dreitägige digitale Veranstaltung nicht aus dem Ruder läuft. Der Begriff „Deutschland“ etwa bleibt im Programm seiner Partei für die Bundestagswahl stehen. Die Mitglieder, die ihn streichen wollten, hätten ihre Anträge zurückgezogen, gab Kellner auf seine gewohnt nüchtern-knappe Art bekannt. Er dürfte vorher einige Energie aufgewendet haben, um das „Deutschland“-Thema von der Tagesordnung zu bekommen. Es hätte die Grünen bundesweit in die Negativ-Schlagzeilen gebracht und das eigentliche Geschehen überlagert.

    Parteitag der Grünen: Rede von Kanzlerkandidatin Baerbock war kein Highlight

    Kellner hatte auch so genug zu tun. Ein Parteitag in Pandemie-Zeiten krankt daran, dass kaum Menschen in der Veranstaltungshalle sind. Beifall gibt es entweder gar nicht oder er bleibt vergleichsweise leise. Man muss versuchen, mit anderen Elementen Stimmung zu schaffen. Mit einer grünen Garten-Kulisse etwa.

    Die Parteitagsredner sprechen nicht zu einem realen Publikum, sondern mit einer virtuellen Welt. Sie reden praktisch mit einem großen Computer. Und wie in der normalen PC-Arbeit auch, passieren dabei Fehler. Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock etwa bekommt nach ihrer Parteitagsrede nicht mit, dass das Mikrofon noch offen ist und sagt herzhaft „Scheiße“. Offizielle Begründung der Partei: Baerbock habe sich über einen Versprecher geärgert.

    Vielleicht ärgerte sich die 40-Jährige aber auch über ihre Rede insgesamt, die nach Einschätzung vieler Beobachter durchwachsen, aber kein Highlight war. Als Baerbock am Samstag antrat, hatte das Meinungsforschungsinstitut Insa ihre Partei gerade auf 20 Prozent Zustimmung abgestuft. Die CDU hingegen wird bei 27 Prozent gesehen. Von den Delegierten bekam Baerbock bei der offiziellen Nominierung zur Kanzlerkandidatin zwar 98,55 Prozent der Stimmen. Aber wenn sie tatsächlich ins Kanzleramt einziehen will, muss sie zusammen mit ihrer Partei noch ordentlich kämpfen. Kämpferisch jedoch war ihre Rede kaum. Die Delegierten erlebten eine etwas nervös wirkende Parteivorsitzende, nicht aber eine abgeklärte künftige Kanzlerin.

    Wahlprogramm der Grünen: Alles, was Wähler verschreckt, wurde abgeräumt

    Baerbock beschwor den Zusammenhalt, die Harmonie. Sie räumte eigene Fehler ein, über die sie sich „tierisch geärgert“ habe, und meinte damit unter anderem Unregelmäßigkeiten in ihrem Lebenslauf. Angriffe auf den Hauptkonkurrenten CDU/CSU kamen kaum vor und schon gar nicht in der rauen Wahlkampf-Tonlage, die sie sich umgekehrt in den letzten Wochen gefallen lassen musste. Baerbock waren da allerdings auch Grenzen gesetzt, denn ein Unions-Wahlprogramm, an dem sie sich hätte abarbeiten können, gibt es noch nicht. Das wollen die Schwesterparteien erst nächstes Wochenende vorlegen.

    Fast 3300 Änderungsanträge zum Wahlprogramm waren bis zum Parteitag gestellt worden, was sehr viel ist. Die CDU etwa kommt in guten Tagen auf die Hälfte davon. Doch alles, was im Grünen-Wahlprogramm noch unentschlossene Wähler verschrecken könnte, wurde entweder vorher schon abgeräumt oder niedergestimmt. Ein Baustopp für Autobahnen oder ein CO2-Preis von 80 Euro pro Tonne wären nach außen hin kaum zu vermitteln gewesen. Eine Jobgarantie und ein Mindestlohn von 15 Euro sind sicherlich schöne Dinge. Wären diese Forderungen jedoch beschlossen worden, hätten die Grünen bei der Wirtschaft vor verschlossenen Türen gestanden.

    Wahlkampf vor der Bundestagswahl: Grüne zwischen Basis und Neuwählern

    Es wird der Parteiführung auch in den nächsten drei Monaten darum gehen, es sich einerseits mit der Basis, andererseits mit möglichen Neuwählern nicht zu verscherzen. Die Grünen haben es Politikern wie Kellner zu verdanken, dass es sie bei diesem Spagat bisher nicht zerrissen hat. Auch wenn es manchmal knapp ist, wie die Debatte um den Einsatz von bewaffneten Drohen am Sonntag zeigte. Der Parteitag sprach sich für Kampfdrohnen aus, aber dies nur mit einer hauchdünnen Mehrheit. Von 728 Delegierten votierten 347 dafür aus. Ein weiterer Antrag, der sich gegen den Einsatz aussprach, bekam 343 Stimmen.

     „Wir sind streitbar und regierungsfähig“, erklärte Baerbock zum Abschluss der Veranstaltung am Sonntag, die Betonung lag auf dem „und“. Die Parteichefin nahm damit auch den Blick voraus auf die Wochen bis zum 26. September. Demokratie, ergänzte sie,  brauche Streit, gerade im Wahlkampf. Sie wolle, „dass wir diesen Streit in der Sache führen“, appellierte die Grünen-Kanzlerkandidatin - an die anderen Parteien und die eigenen Reihen gleichermaßen.

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