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Analyse: Klima, Kriminalität, Verkehr: Hat die Corona-Krise auch ihr Gutes?

Analyse

Klima, Kriminalität, Verkehr: Hat die Corona-Krise auch ihr Gutes?

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    Der Verkehr in Deutschland hat durch die Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen deutlich abgenommen.
    Der Verkehr in Deutschland hat durch die Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen deutlich abgenommen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Deutschland und die Welt befinden sich im Krisenmodus. Das Coronavirus hat die Menschen in eine regelrechte Schockstarre versetzt, die viele ängstigt. Doch die Pandemie bringt auch positive Begleiterscheinungen mit sich. Welche sind das und führt das Virus nachhaltig zu Verbesserungen?

    Das Klima: CO2-Ausstoß sinkt während Corona-Krise, Tierwelt erholt sich

    Das erlahmte öffentliche Leben sorgt für Erholungseffekte an ganz verschiedenen Stellen. Laut einer Studie der Denkfabrik Agora Energiewende reduziert Deutschland seinen CO2-Ausstoß um 30 bis 100 Millionen Tonnen. So würde das Klimaziel, im Vergleich zu 1990 40 Prozent weniger CO2 zu produzieren, doch noch erreicht. Weitere erfreuliche Entwicklungen sind in der Tierwelt zu beobachten: In Venedigs Kanälen sind nach langer Zeit wieder Fische erkennbar, Vögel haben mehr Brutplätze und Kröten wagen sich zunehmend auf Deutschlands Straßen.

    Klima-Experte Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel möchte die Coronakrise dennoch nicht als Gewinn werten. Man könne ihr keine positiven Seiten abgewinnen: "Wir lösen die Klimakrise nicht, indem wir die Wirtschaft vor die Wand fahren." Er zieht Parallelen zwischen der derzeitigen Pandemie und anderen globalen Krisen wie der des Klimas. "Es geht bei diesen Punkten wegen mangelnder internationaler Kooperation nichts voran", betont Latif. "Bei Corona hat China erst vertuscht, Donald Trump hat den Ernst der Lage verharmlost. Und jetzt sehen alle, dass die Wissenschaft doch recht hatte."

    Wird es nach dem Coronavirus ein Umdenken geben?

    Genauso habe es sich in den vergangenen Jahren beim Klima verhalten. Doch wird diesmal ein Lernprozess einsetzen? "Aus Schaden wird man klug", zitiert Latif ein Sprichwort. "Ein Umdenkprozess bei den Menschen ist schon vorstellbar. Krisen beschleunigen Entwicklungen." In der Arbeitswelt oder im Verkehr könne man durchaus auf Verbesserungen hoffen – und bei der Bewertung, wer oder was systemrelevant ist.

    Latif treibt allerdings auch eine Sorge um. "Wir werden unglaubliche Finanzmittel brauchen nach der Krise. Es wäre fatal, wenn wir dabei denken wie bisher. Wir müssen stattdessen die Wirtschaft auf die Beine bringen und in diesem Zuge andere Probleme, wie im Bereich Klima, abmildern", fordert der Wissenschaftler. Er hat Zweifel, dass dies geschehen wird: "Wir hatten 2007 eine ähnliche Situation. Alle Welt sprach über Al Gores Dokumentarfilm ,Eine unbequeme Wahrheit‘, für den er zusammen mit dem Weltklimarat den Friedensnobelpreis erhielt. Dann begann die Finanzkrise und das Klima-Thema verschwand von der Agenda." Ähnliches befürchtet Latif auch diesmal: "Im vergangenen Jahr war das Klima mit ,Fridays for Future‘ das große Thema. Nach Corona ist es, wenn es schlecht läuft, vergessen."

    Der Verkehr: Bis zu 45 Prozent weniger Autos auf den Straßem

    Die Atempause auf Deutschlands Straßen belegen Zahlen des ADAC: Die Staus binnen einer Woche nahmen zuletzt von den üblichen 14.500 Kilometern Länge auf rund 4900 Kilometer ab. Messungen ergaben in Großstädten vor Angela Merkels mahnender TV-Ansprache am 18. März einen Verkehrsrückgang um bis zu 15 Prozent, danach waren es in der Spitze gar 45 Prozent.

    Stefan Dorner, Leiter Kommunikation beim ADAC Südbayern, bremst dennoch die Euphorie ob der wohltuenden Verkehrsentspannung: "Derzeit geht es entspannter zu, gleichzeitig passieren weniger Unfälle und die Aggressivität der Fahrer lässt nach. Die Frage ist aber, wie nachhaltig das ist." Wünschenswert sei es, dass die derzeit erzwungene Arbeit von zu Hause aus künftig eine größere Rolle spielt. Sowohl das klassische Homeoffice als auch eine Flexibilisierung bei den Arbeitszeiten könnten eine Entzerrung des Verkehrs bewirken, meint Dorner. Obendrein beweise sich gerade, dass manche Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzbar seien.

    Nach der Corona-Krise droht eine Verschlechterung der Verkehrslage

    Direkt nach der Krise droht Dorner zufolge aber eine Verschlechterung der Verkehrslage: "Wegen der Infektionsgefahr greifen dann wohl mehr Menschen auf das Auto zurück, statt den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen." Darüber hinaus müssten Angestellte aktuell teilweise ihren Urlaub nehmen und in den ersten Wochen nach den Corona-Einschränkungen darauf verzichten. Der Trend geht laut Dorner wahrscheinlich zu mehr Heimaturlaub statt langen Reisen im Jahr 2020. "Da Bayern Deutschlands Domizil Nummer eins ist, würde der Verkehr auch dadurch zusätzlich belastet", sagt Dorner.

    Dorner sieht im Verkehrssektor auch mittelfristig dunkle Wolken aufziehen. "Die Automobilhersteller sind in der Krise und es steht zu befürchten, dass sie danach zunächst die Innovation zurückfahren und schnellen wirtschaftlichen Erfolg anstreben", sagt Dorner. Heißt: weniger Hybrid- und Elektrofahrzeuge, dafür mehr Verbrenner auf den Straßen. Der Effekt könnte sich durch einen zweiten Umstand verstärken, erläutert Dorner: "Viele Arbeitnehmer sind von Kurzarbeit betroffen und überlegen vielleicht zweimal, ob sie sich ein neues, moderneres Auto zulegen."

    Die Kriminalität: Weniger Straftaten, deutlich weniger Wohnungseinbrüche

    Insgesamt verzeichnet das Polizeipräsidium Schwaben Nord einen Rückgang der Straftaten seit Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen wegen des Coronavirus. Für eine genaue Auswertung sei der Zeitraum zwar zu kurz. Dennoch zeigen sich verschiedene positive Trends.

    So dürfte es deutlich weniger Wohnungseinbrüche geben, weil Täter derzeit eher davon ausgehen müssen, dass jemand zu Hause ist. Negativer Nebeneffekt: Kriminelle könnten sich gezielt andere Objekte aussuchen, beispielsweise geschlossene Lokale und Betriebe. Laut Polizeisprecher Michael Jakob haben die Beamten solche potenziellen Ziele von Einbrechern derzeit besonders im Blick.

    Verlagert sich Kriminalität wegen Corona in den häuslichen Bereich?

    Gewalttaten in der Öffentlichkeit sollten in diesen Wochen zurückgehen, da das alltägliche Leben weitgehend heruntergefahren wurde. Allerdings könnte sich ein Teil der Taten in den häuslichen Bereich verlagern, befürchten Experten. Bisher sei dieser Trend zumindest in den offiziellen Statistiken noch nicht ablesbar, lässt das Polizeipräsidium Schwaben Nord aber wissen.

    Der Straßenhandel von Drogen geht wegen der Ausgangsbeschränkungen zurück. Den Ermittlern ist jedoch bekannt, dass gerade Modedrogen in illegalen Internetshops erhältlich sind – in Berlin gibt es sogar organisierte Kokain-Bringservices. Nach den Erkenntnissen des Polizeipräsidiums Schwaben Nord hat der Drogenhandel in der Region solche Auswüchse noch nicht angenommen.

    Die Gesellschaft: Bewusstsein ändert sich durch die Entschleunigung

    Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa geht davon aus, dass die gegenwärtige Gesundheitskrise für moderne Gesellschaften ohne Vergleich ist: "So eine rasende Entschleunigung ist ganz und gar einzigartig", sagt Hartmut Rosa. "Wir wollen die Kontrolle behalten. Und wir stellen gerade fest, dass wir dabei an Grenzen stoßen." Die Menschen könnten heute sehr schlecht mit Unwägbarkeiten des Lebens umgehen. Rosa erkennt neben massiver Unsicherheit trotzdem positive Aspekte. "Ich glaube, da ändert sich jetzt auch das Bewusstsein für den Nahbereich, für den eigenen Körper, die Wohnung, den Nachbarn", sagt Soziologe Hartmut Rosa. "Ich glaube, in dieser Super-Verlangsamung des Lebens liegt die Möglichkeit, noch einmal anders mit sich, anderen und der Welt in Kontakt zu treten." Beispiele seien Hilfen unter Nachbarn oder das Musizieren auf Balkonen trotz Quarantäne und Isolation. (mit dpa)

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