Im leichten Anzug, mit offenem Hemdkragen und weißen Turnschuhen sitzt Christian Lindner am Spreeufer vor dem Reichstag. Betont entspannt präsentiert sich der FDP-Chef beim ARD-Sommer-Interview, doch für seine Partei läuft es gerade alles andere als rund. Unter allen Oppositionsparteien haben die Liberalen am meisten unter der Corona-Krise gelitten. Wäre jetzt Bundestagswahl, würde die FDP weit hinter ihren 10,7 Prozent von 2017 zurückbleiben. Umfragen sehen die FDP bei Werten um die fünf Prozent. Wenn sich daran nichts ändert, muss die Partei wohl 2021 um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten.
Die schlechten Werte, sagt Lindner, hätten eben damit zu tun, dass die „Grundüberzeugung“ der FDP derzeit „keine große Konjunktur“ habe. In der Corona-Pandemie wünschten sich die Menschen einen starken Staat, der in der Krise ja auch nötig sei. Doch die FDP müsse weiter für ihr Ideal der Eigenverantwortung werben.
Jamaika-Verhandlungen hängen Christian Lindner weiter nach
Wie hoch Lindners eigene Verantwortung für das anhaltende Tief ist, wird in den Reihen der Liberalen lauter diskutiert. Sein Stuhl wackelt zwar nicht, dafür sind seiner Verdienste um die FDP zu groß. Fast im Alleingang hatte Lindner die Partei 2017 zurück in den Bundestag geführt. Doch das Murren über den 41-Jährigen nimmt zu. Vor allem bei jenen in der Partei, die noch immer nicht darüber hinweg sind, dass der Vorsitzende auf der Zielgeraden der Gespräche mit Union und Grünen ein Jamaika-Regierungsbündnis platzen ließ. Auch die Affäre um den FDP-Mann Thomas Kemmerich, den Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsident von AfD-Gnaden, hat Lindner noch nicht vollständig überwunden.
Gegen eine Regierung, deren Zustimmungswerte im Zuge der Corona-Ausnahmesituation stark gestiegen sind, tun sich im Moment alle Oppositionsparteien schwer. Krisen, so heißt es, seien die Stunde der Exekutive. Doch Lindners FDP leidet weit stärker als AfD, Grüne oder Linkspartei. Trugen die Liberalen anfangs den Corona-Kurs der Regierung noch mit, schaltete Lindner schnell wieder auf Opposition. Doch mit seiner Kritik an angeblich überzogenen Infektionsschutzmaßnahmen konnte er nicht punkten. Auch in der FDP gibt es viele, die hinter vorgehaltener Hand die Befürchtung äußern, dass ihre Partei mit jeder Attacke auf die gerade so beliebten Handelnden in der Corona-Krise nur noch unsympathischer wirkt.
Ist Teuteberg als Generalsekretärin eine Fehlbesetzung?
So wächst mit jeder Umfrage der Druck auf Lindner, endlich das Ruder herumzureißen. Längst tobt eine Debatte darüber, ob Lindner auf das richtige Team setzt. Besonders um ihren Posten bangen muss Linda Teuteberg. Dabei ruhten auf der Rechtsanwältin aus Potsdam große Hoffnungen, als sie im Frühjahr 2019 zur Generalsekretärin gewählt wurde. Als Politikerin, die nachdenkt, bevor sie sich äußert, sollte sie in einer Partei der Lautsprecher für bedächtigere Töne sorgen. Doch im aufgeheizten Hauptstadt-Medienbetrieb, wo es oft um Zuspitzung geht, dringt sie damit nicht durch. Von der FDP wird plakativer Widerspruch erwartet.
Wenn die Fernsehsender ihre Talkshow-Runden besetzen, fragen sie zuerst Lindner oder den streitbaren Parteivize Wolfgang Kubicki an. Teuteberg ist dritte Wahl. Dabei leiten Generalsekretäre ja traditionell die „Abteilung Attacke“, sollen Einpeitscher sein. Teuteberg sei da eine Fehlbesetzung, finden viele in der Partei mit Blick aufs kommende Wahljahr. Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und Lindner-Vertrauter, wird schon als möglicher Nachfolger gehandelt.
Stephan Thomae: Ein Allgäuer könnte in der FDP aufsteigen
Im Sommerinterview vermeidet Lindner ein klares Bekenntnis zu Teuteberg, was als Zeichen gewertet wird, dass ihre Tage im Amt gezählt sind. Personelle Umbauten wünschen sich hochrangige Liberale aber auch an anderer Stelle. Die einseitige Fixierung der FDP auf Lindner sei riskant in Zeiten, in denen sich Schlagzeilen vom „lahmenden Zugpferd“ häufen. Schleunigst müsse Lindner für eine „personelle Verbreiterung“ sorgen.
Ins Rampenlicht drängen junge Abgeordnete wie der Innenpolitiker Konstantin Kuhle oder der Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel aus Nordrhein-Westfalen. Auch dem Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer, der auch baden-württembergischer Landeschef ist, und Stephan Thomae aus dem Allgäu, trauen viele eine stärkere Rolle zu.
Ein Vorwurf: Die FDP ist unter Christian Lindner zu weit nach rechts gerückt
Begonnen hat auch die Debatte über eine inhaltliche Verbreiterung. Zuletzt warf FDP-Urgestein Gerhart Baum Lindner vor, die Partei sei unter ihm „viel zu weit nach rechts gerückt“. Die FDP werde nur noch „als eine Partei wahrgenommen, die immer dagegen ist“, so der Ex-Innenminister. Über sozial-liberale Koalitionen nachzudenken, glauben altgediente Freidemokraten, sei pure Notwendigkeit. Denn das Verhältnis von CDU und CSU zu den Liberalen ist seit Lindners Jamaika-Absage unterkühlt. Und als Partner werde die FDP von der Union gar nicht gebraucht, im Moment würde es ja dicke für eine schwarz-grüne Koalition reichen.
So entspannt, wie er sich gibt, kann Lindner also nicht in die Ferien starten. Spätestens beim Bundesparteitag am 19. September muss er personell wie inhaltlich die Weichen fürs Wahljahr stellen, in dem es für die FDP ums Überleben geht. Von „harten Zeiten“ spricht Lindner denn auch beim Sommerinterview – jetzt gehe es darum, zu kämpfen.
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