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Analyse: Der Fall Edathy und die dunkle Seite der Macht

Analyse

Der Fall Edathy und die dunkle Seite der Macht

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    Die Edathy-Affäre liegt wie ein Schatten über der Koalition.
    Die Edathy-Affäre liegt wie ein Schatten über der Koalition. Foto: Michael Reichel dpa

    Der Andrang wird groß sein und das Ergebnis dürftig. Mit Vizekanzler Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Fraktionschef Thomas Oppermann hat der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Edathy-Affäre aufklären soll, heute die Hautevolee der SPD als Zeugen geladen, die im Moment mächtigsten Genossen.

    Dass ihr damaliger Kollege Sebastian Edathy im Verdacht stand, kinderpornografisches Material zu besitzen, wussten alle drei sehr früh. Die entscheidende Frage aber werden auch sie dem Ausschuss nicht beantworten: Wer hat den Abgeordneten aus Niedersachsen vor den Ermittlungen gegen ihn gewarnt, sodass dieser womöglich noch Beweismaterial vernichten konnte?

    Juristisch ist der Fall Edathy abgeschlossen

    Juristisch ist der Fall Edathy mit einer Geldbuße von 5000 Euro schon im März abgeschlossen worden. Politisch birgt er noch immer alle Ingredienzen, die eine Koalition unter anderen Umständen schnell an den Rand des Scheiterns führen würden: Ein Minister der Union, der zurücktreten musste, weil er die SPD diskret über einen schwerwiegenden Verdacht gegen einen ihrer Abgeordneten informiert hatte. Jede Menge Mitwisser in der niedersächsischen Justiz, aber auch in der SPD, von denen angeblich nie einer geplaudert hat. Und mittendrin der Abgeordnete Michael Hartmann, der tatsächlich mit Edathy gesprochen hat, von dem aber niemand weiß, woher er sein Wissen über die Ermittlungen hatte und ob er nicht in höherem Auftrag gehandelt hat, möglicherweise in dem seines Fraktionsvorsitzenden Oppermann.

    Für den war Sebastian Edathy im Herbst 2013 vor allem eines: Ein Problem, das möglichst schnell gelöst werden musste – idealerweise durch einen diskreten Verzicht auf sein Abgeordnetenmandat.

    Chronologie: Die Affäre Edathy

    2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über deutsche Kunden eines kanadischen Online-Shops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

    Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Steinmeier davon.

    5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.

    Anfang Januar 2014: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung. Ende November 2013 hatte der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann Oppermann bereits darüber informiert, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.

    22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht das Gespräch mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. "Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr", sagt der Anwalt nach Darstellung Jörg Fröhlichs.

    28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.

    7. Februar 2014: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder. Als Motiv nennt er gesundheitliche Gründe.

    10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und in Berlin sowie Büros durchsuchen. Offenbar stoßen sie dabei nur auf wenig Material.

    11. Februar 2014: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück. Einen Tag später erhebt er Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.

    13. Februar 2014: SPD-Fraktionschef Oppermann gibt bekannt, dass Sigmar Gabriel bereits im Oktober vom damaligen Innenminister Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sei.

    14. Februar 2014: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Fröhlich, gibt Einzelheiten zu den Ermittlungen bekannt. Danach geht es um den Kauf von Bildern mit nackten Jungen zwischen neun und 13 Jahren. Das liege im Grenzbereich zur Kinderpornografie, so Fröhlich. Zu dem Tipp von Friedrich an Gabriel sagt er: "Wir sind fassungslos."

    14. Februar 2014: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Agrarminister zurück.

    18. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet ein Verfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats ein. Ein Behörden-Brief kam unverschlossen sechs Tage nach Versand an. Er sollte den Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Fall Edathy informieren. Es ist bekannt, dass sich ein Anwalt Edathys schon im November nach möglichen Ermittlungen erkundigt hat.

    24. Februar 2014: Gegen Edathy wird ein SPD-Parteiordnungsverfahren eingeleitet.

    2. Mai 2014: Es wird vom Landeskriminalamt Niedersachsen berichtet, dass sich Edathy strafbares kinderpornografisches Material über seinen Bundestag-Laptop beschafft habe. Die Staatsanwaltschaft schweigt.

    17. Juli 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover klagt den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos an.

    29. August 2014: Edathy scheitert mit seiner Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Abgeordnetenbüros beim Bundesverfassungsgericht.

    18. November 2014: Das Gericht lässt die Anklage gegen Edathy zur Hauptverhandlung zu.

    23. Februar 2015: Am Landgericht Verden startet der Prozess gegen Edathy. Er endet nach nur rund 90 Minuten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen bis zur nächsten Sitzung erneut über eine Einstellung sprechen.

    2. März 2015: Das Gericht stellt das Verfahren ein. Zuvor hat Edathy eine Erklärung verlesen lassen, in der er die Anklagevorwürfe einräumt. Zwar muss er 5000 Euro zahlen, aber er ist nicht vorbestraft.

    1. Juni 2015: Edathy muss seine SPD-Mitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Das entscheidet das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hannover. Für einen von der Parteispitze beantragten Parteiausschluss sieht das Gremium keine ausreichende Grundlage.

    Seit mehr als einem Jahr liegt die Edathy-Affäre wie ein Schatten über der Großen Koalition. Dass sie nicht an ihr zerbrochen ist, hat vor allem mit dem Zeitpunkt zu tun, an dem sie publik wurde: Union und SPD waren wenige Monate nach der Wahl noch dabei, sich zu sortieren.

    In dieser Phase war der Kanzlerin der Betriebsfriede in ihrem neuen Regierungsbündnis wichtiger als eine rückhaltlose Aufklärung. So konnte Oppermann Fraktionschef bleiben, obwohl er sich mit seinen widersprüchlichen Aussagen genauso angreifbar gemacht hatte wie zuvor der frühere CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich, der ein Dienstgeheimnis verriet. Wenn man so will, steckt in diesen Tagen der Kern für die zunehmende Entfremdung von Union und SPD: Wo Vertrauen hätte wachsen sollen, regierte von Anfang an das Misstrauen.

    Die Gedächtnislücken werden immer größer

    Auch der Untersuchungsausschuss hat das diffuse Dunkel, das die Affäre umgibt, nicht wirklich ausleuchten können. Im Gegenteil. Die Spuren, die aus der SPD zu Edathy führen, werden immer verzweigter, die Gedächtnislücken der mehr als hundert Eingeweihten immer größer. Mit den begrenzten Mitteln eines Parlamentes lässt sich das Kartell des Schweigens, auf das die Aufklärer immer wieder stoßen, offenbar nicht knacken.

    Vor allem Oppermanns Rolle ist nach wie vor unklar. Wusste er dank seiner guten Kontakte nach Niedersachsen womöglich schon über den Verdacht gegen Edathy Bescheid, ehe Friedrich dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel davon erzählte? Für viele Abgeordnete der Union wäre eine Bestätigung dieser These eine späte Genugtuung, weil dem Rücktritt des CSU-Ministers dann unweigerlich ein zweiter folgen müsste – der von Oppermann.

    Sicher ist bislang nur eines: Dass der Kreis der Mitwisser deutlich größer war als ursprünglich angenommen. Solange jedoch keiner von ihnen die Mauer des Schweigens durchbricht, wird der Fall Edathy enden wie viele andere Skandale auch, die Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden: Mit einem dicken Abschlussbericht, der mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.

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