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Analyse: Das sind die fünf Lehren aus der Krise in Thüringen

Analyse

Das sind die fünf Lehren aus der Krise in Thüringen

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    AfD-Politiker Björn Höcke, gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich.
    AfD-Politiker Björn Höcke, gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. Foto: Bodo Schackow, dpa

    1. Es wird immer schwieriger, politische Mehrheiten zu organisieren.

    Dass die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten kein Spaziergang werden würde, war schon am Abend der Landtagswahl klar. Sechs Parteien schafften es im Oktober ins Parlament – zu viele, um eine Koalition zu finden, die wirklich tragfähig wäre. Die früheren "großen Parteien" kamen zusammen auf gerade einmal 30 Prozent. Zweierbündnisse funktionieren ohnehin immer seltener. In Thüringen war es sogar mit einem Dreierbündnis schwierig: Der vorher regierenden Linkspartei gelang es nicht mehr, eine eigene rot-rot-grüne Mehrheit zu organisieren und war deshalb auf neue Unterstützer angewiesen.

    Der Haken daran: Die CDU sieht in der SED-Nachfolgerpartei nach wie vor ein politisches Feindbild, mit dem sie sich auf keinen Fall verbünden will oder auch nur eine Duldung für möglich hält. Daran konnte auch der gemäßigte Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow nichts ändern. Allerdings zeichnen sich auch keine Alternativen ab: AfD, CDU und FDP kommen zusammen auf 48 Sitze, was für eine Mehrheit reichen würde. Allerdings wäre es sowohl für die CDU als auch für die FDP ein Sündenfall, sich die Regierungsarbeit mit einer rechtsradikalen Partei zu teilen. Es fehlt bislang an Konzepten, wie man mit diesen neuen Herausforderungen umgehen wird. Das politische Chaos nutzt vor allem der AfD, die die anderen Parteien – wie eben geschehen – öffentlich vorführen kann.

    Umstrittener Handschlag: Björn Höcke (rechts) gratuliert Thomas Kemmerich.
    Umstrittener Handschlag: Björn Höcke (rechts) gratuliert Thomas Kemmerich. Foto: Martin Schutt, dpa

    2. Annegret Kramp-Karrenbauer fehlt es an Autorität.

    Dass sich ausgerechnet der CDU-Landesverband mit der AfD ins Boot setzt, um der FDP zu einem Ministerpräsidenten zu verhelfen, wird von vielen als großes Versagen der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gewertet. Sie hat ganz offenkundig nicht genügend Autorität, um dem thüringischen CDU-Chef Mike Mohring seine Grenzen aufzuzeigen. Der hatte schon seit einiger Zeit mit der AfD geliebäugelt – und das, obwohl die in Thüringen zum äußersten rechten Rand gezählt werden muss. Der Landesverband habe "ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei" gehandelt, sagt AKK. Hätte sie deutlicher werden sollen? Hätte sie überhaupt die Möglichkeit dazu gehabt? Kann sie sich nun mit Neuwahlen durchsetzen? Wie auch immer die Antworten lauten: Inzwischen ruhen die Blicke  auf Kramp-Karrenbauer selbst.

    Sie hat die Lage in dem ostdeutschen Bundesland unterschätzt und stürzt die eigene Partei damit in eine gewaltige Krise. Kramp-Karrenbauer sagte im ZDF, es gehe nicht um sie, es gehe um die Glaubwürdigkeit der CDU insgesamt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Der Auftritt wirkte wenig überzeugend. "Sie stammelte nur sichtbar nervös irgendetwas von der Beschlusslage der CDU in die Mikrophone und Kameras, statt eine klare Grenze zu ziehen", kritisierte der frühere SPD-Außenminister Sigmar Gabriel. Und auch ihr innerparteilicher Gegenspieler Friedrich Merz läuft sich bereits warm. Er hat seinen Job bei Blackrock gekündigt – um mehr Zeit für die CDU zu haben. Kanzlerin Angela Merkel meldete sich aus Südafrika zu Wort: "Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat."

    CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).
    CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Foto: Sven Braun, dpa

    3. Die FDP hat sich selbst massiv geschadet.

    Selten sind in Deutschland Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Wahl eines Ministerpräsidenten zu protestieren. Die FDP hat es geschafft. Fünf Jahre lang war die Partei überhaupt nicht im Parlament in Thüringen vertreten, schaffte den Einzug bei der Landtagswahl mit nur 73 Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde. Nun soll ausgerechnet ein Liberaler Ministerpräsident in Thüringen werden – und das auch noch mit Wahlhilfe der AfD. Zum Verhängnis wird der FDP in diesem Zusammenhang auch, dass sie es war, die einst eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene verhindert hat – mit dem Satz: "Lieber gar nicht regieren, als falsch regieren." Daraus wird im Internet nun der Spruch: "Lieber mit Faschisten regieren, als nicht regieren."

    Selbst in der eigenen Partei sind viele Spitzenpolitiker fassungslos. Ausgerechnet die Partei der Freiheit und Menschenrechte lässt einen Faschisten den politischen Steigbügel halten, um an die Macht zu kommen. Gerhart Baum, der frühere FDP-Innenminister, wählt drastische Worte: "Ein Hauch Weimar liegt in der Luft." FDP-Chef Christian Lindner eilte am Vormittag zur Landes-FDP nach Erfurt, um über weitere Schritte zu beraten. Das Ergebnis: Die FDP-Fraktion Thüringen will einen Antrag auf Auflösung des Landtags zur Herbeiführung einer Neuwahl stellen. Der neue FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich will sein Amt aufgeben.

    Doch das Debakel ist da: Die Spitze der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung sieht in der Wahl von Thomas Kemmerich zum Regierungschef in Thüringen einen schweren Schaden für die Liberalen. "Thomas Kemmerich hätte die Wahl als Kandidat der Mitte ablehnen müssen", erklärten der Vorstandsvorsitzende Prof. Karl-Heinz Paqué, Vizevorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie der Ehrenvorsitzende und frühere FDP-Bundesvorsitzende Dr. Wolfgang Gerhardt am Donnerstag.

    Eine Teilnehmerin demonstriert in Frankfurt gegen die Wahl des neuen Thüringer Ministerpräsidenten Kemmerich mit einem Plakat: "Wer hat uns verraten? Die freien Demokraten!".
    Eine Teilnehmerin demonstriert in Frankfurt gegen die Wahl des neuen Thüringer Ministerpräsidenten Kemmerich mit einem Plakat: "Wer hat uns verraten? Die freien Demokraten!". Foto: Andreas Arnold, dpa

    4. Kommt es nicht zu Neuwahlen, wäre auch die Groko in Berlin akut gefährdet.

    Während Union und FDP schwer angeschlagen sind, ist die SPD so etwas wie die Gewinnerin in diesem politischen Durcheinander: Sie kann die moralische Unversehrtheit für sich in Anspruch nehmen, das Bollwerk gegen Rechts zu sein. Die Frage ist, was sie aus dieser Tatsache macht. Wird die Parteilinke die Chance nutzen, endlich doch noch aus der verhassten Groko in Berlin auszusteigen? So oder so: Die Entwicklung in Thüringen belastet die Große Koalition. "Es gibt kein 'Weiter so' und kein 'Weiter' ohne eine Klärung des Problems", sagt SPD-Chef Walter-Borjans derRTL/ntv-Redaktion.

    Die Drohung liegt jedenfalls in der Luft, auch wenn sie die neue SPD-Spitze nicht offen aussprechen will. "Ich rede ungern darüber, was wir machen, wenn etwas nicht passiert, sondern ich rede darüber, was passieren muss", sagt Walter-Borjans weiter. "Für uns als Sozialdemokraten gilt, dass ein solches Ergebnis, das so zustande gekommen ist, keinen Bestand haben darf." Union und SPD im Bund verständigten sich am Mittwochabend auf ein rasches Krisentreffen, um die Konsequenzen zu beraten.

    Das SPD-Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
    Das SPD-Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Foto: Michael Kappeler, dpa

    5. In Thüringen regiert nur erst mal vor allem eines: die Unsicherheit.

    Eigentlich wäre es nun an Thomas Kemmerich, dem neuen Ministerpräsidenten, gewesen, ein Kabinett zu bilden und Minister zu benennen. Nur: Es gibt niemanden, der in diese Regierung möchte. "Es gab ein Schreiben von Herrn Kemmerich an die Staatssekretäre, die Geschäfte bis auf Weiteres weiter zu führen", sagte ein Sprecher der FDP-Fraktion. Die Minister aber bleiben nicht geschäftsführend im Amt, sie sind mit der Wahl des neuen Ministerpräsidenten ihre Posten los. Die Führung der einzelnen Ministerien der Landesregierung übernehmen deshalb die Staatssekretäre der jeweiligen Häuser. Als politische Beamte seien sie nicht Teil der Landesregierung und damit mit der Neuwahl des Ministerpräsidenten – anders als die Minister – auch nicht von ihren Aufgaben entbunden worden.

    Am Mittag machte Kemmerich den Weg frei für Neuwahlen. Die Landesverfassung liefert dazu aber klare Regeln: Neuwahlen müssen beantragt werden. Der Antrag muss von mindestens einem Drittel der Thüringer Abgeordneten beschlossen werden. Diese Hürde könnten zum Beispiel Linke, SPD und Grüne leicht nehmen. Ist der Antrag erfolgreich, muss noch darüber abgestimmt werden, ob es tatsächlich Neuwahlen geben soll. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Von den 90 Abgeordneten im Thüringer Landtag müssten also mindestens 60 Abgeordnete dafür stimmen. SPD, Grüne und Linke haben zusammen 42 Stimmen. Fast alle 21 CDU-Abgeordneten müssten sich also ebenfalls dafür aussprechen. Die FDP hat 5, die AfD 22 Abgeordnete im Landtag.

    Thomas Kemmerich ist neuer Ministerpräsident von Thüringen. Wie er eine Regierung bilden könnte, ist unklar.
    Thomas Kemmerich ist neuer Ministerpräsident von Thüringen. Wie er eine Regierung bilden könnte, ist unklar. Foto: Martin Schutt, dpa

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