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Analyse: Das Märchen von der mangelnden Impfbereitschaft

Analyse

Das Märchen von der mangelnden Impfbereitschaft

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    Ein Schild am Ende der Schlange einer mobilen Berliner Impfaktion darauf hin, dass bereits alle Impfungen vergeben sind.
    Ein Schild am Ende der Schlange einer mobilen Berliner Impfaktion darauf hin, dass bereits alle Impfungen vergeben sind. Foto: Fabian Sommer, dpa

    In Berlin hat das erste von sechs Impfzentren bereits wieder geschlossen. Am Dienstag ist das medizinische Personal aus dem ehemaligen Flughafen Tempelhof komplett abgezogen. In drei anderen Impfzentren gibt es dagegen jeden Freitagnachmittag seit vergangener Woche sogenannte „Spontan-Impfungen“: Dort können sich alle Berlinerinnen und Berliner ohne Anmeldung und Termin sofort impfen lassen. „Wir haben im Moment mehr Impfstoff als Nachfrage“, sagt ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung.

    Das Impfzentrum im ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof ist bereits geschlossen.
    Das Impfzentrum im ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof ist bereits geschlossen. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Doch beim ersten freien Impftag warteten die Menschen bis zu einer Stunde, um eine Spritze zu bekommen, bei einer ähnlichen Aktion auf einem Parkplatz eines großen Möbelhauses sogar den halben Tag.

    Bayern ist westdeutsches Impf-Schlusslicht

    Bei der Impfung ohne Anmeldung vor einer Berliner  Ikea-Filiale warteten die Menschen mehrere Stunden auf eine Spritze.
    Bei der Impfung ohne Anmeldung vor einer Berliner Ikea-Filiale warteten die Menschen mehrere Stunden auf eine Spritze. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Wie in Berlin stehen derzeit viele Städte und Landkreise vor ähnlichen Problemen. Nach vielen Monaten langer Impfstoff-Knappheit hat sich die Situation gewendet. Nun müssen die Gesundheitsverwaltungen nicht mehr Impfwillige vertrösten, sondern um impfbereite Menschen werben. Bei den Impfungen liegt Berlin inzwischen vor Bayern.

    In der Hauptstadt sind 80 Prozent der über 60-Jährigen bereits voll geimpft, in Bayern nur 75 Prozent. Der Freistaat ist derzeit Schlusslicht bei der Impfquote unter den westdeutschen Bundesländern. 58 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Bayern sind zumindest einmal geimpft. Schlechter schneiden nur Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen ab.

    Sachsen hat umgerechnet mehr Corona-Tote als die USA und Italien

    Obwohl Sachsen umgerechnet mehr Corona-Tote pro Einwohner als die USA oder Italien verkraften musste, liegt die Impfquote in dem ostdeutschen Bundesland nur knapp über 50 Prozent. Allerdings ist auch die Zahl der Corona-Neuinfektionen bei der sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz in Sachsen derzeit mit vier Fällen pro 100.000 Einwohnern derzeit am niedrigsten in ganz Deutschland. Bundesweit ist sie mehr als dreimal so hoch.

    Am besten schneidet bundesweit Bremen ab. Das kleinste deutsche Bundesland knackte vergangene Woche die Marke von 92 Prozent bei den über 60-Jährigen, die bereits mindestens einmal geimpft wurden. Diese Zahl ist nicht nur ein Zeichen dafür, dass kein anderes Bundesland die Impfungen so professionell organisiert hat. Mithilfe großer Bremer Unternehmen richtete die Stadt ein hochprofessionelles riesiges Callcenter ein, über das sich die Bremerinnen und Bremer ohne lästiges Ausfüllen seitenlanger Online- oder Papierformulare von Anfang an einen Termin sichern konnten. Auch wenn sie vor Monaten teils noch lange auf die Spritze warten mussten, bis für sie Impfstoff vorhanden war.

    Ungewöhnlich hohe Impfquote: Bremen macht es allen anderen vor

    Die hohe Impfquote widerlegt auch einige Vorurteile. So hat Bremen ebenso wie Berlin einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Menschen mit ausländischen Wurzeln an der Bevölkerung. Dies ist bei guter Organisation jedoch kein Hindernis für eine hohe Impfquote.

    Bremens SPD-Regierungschef Andreas Bovenschulte ist deutscher Impfmeister.
    Bremens SPD-Regierungschef Andreas Bovenschulte ist deutscher Impfmeister. Foto: Mohssen Assanimoghaddam, dpa

    Auch die Zahl der sogenannten Impfskeptiker und Impfverweigerer ist – gemessen an den konkret von schweren Verläufen bedrohten über 60-Jährigen – offensichtlich deutlich geringer, als in der öffentlichen Diskussion vermittelt wird. In den westdeutschen Bundesländern liegt die Impfquote in dieser Altersgruppe durchweg bei über 80 Prozent. Übrigens auch in dünner besiedelten Ländern wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder dem ostdeutschen Impfmusterland Mecklenburg-Vorpommern, das bei der Impfquote ebenfalls vor Bayern liegt.

    Noch ist unklar, was der genaue Grund für das unterschiedliche Impftempo der Länder ist. Das Beispiel Bremens zeigt jedoch, dass es auch an der Organisation liegt und daran, wie aktiv die zuständigen Stellen auf die Bevölkerung zugehen. Und wie unkompliziert am Ende die Verfahren für die Impfwilligen sind. Inzwischen liegen die Arztpraxen bei den täglich verimpften Dosen bundesweit vor den von der öffentlichen Hand betriebenen Impfzentren, die zunehmend an Tempo verlieren.

    Die öffentliche Debatte erweckt einen falschen Eindruck

    In der politischen Debatte, die durch die sich rasant ausbreitende Delta-Variante geprägt ist, wird jedoch der Eindruck erweckt, es liege eher an einer mangelnden Impfbereitschaft der Bevölkerung, als an möglichen Schwächen der öffentlichen Verwaltung, dass die deutsche Impfkampagne an Fahrt verliert.

    CDU-Kanzleramtsminister Helge Braun erhöhte jetzt sogar den Druck auf die Nicht-Geimpften. „Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte“, sagte er. „Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist“, warnte Braun. „Die Zahl der Neuinfektionen steigt noch schneller als in den vorherigen Wellen.“ Unionskanzlerkandidat Armin Laschet wies den unpopulären Vorstoß zurück. „Ich halte nichts von Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen.“

    FDP fordert Impfen am Bahnhof

    Auch FDP-Fraktionsvize Michael Theurer lehnt eine indirekte Impfpflicht entschieden ab. „Anstatt mit staatlichem Zwang zu drohen, sind Anreize der bessere Weg“, sagte der FDP-Politiker unserer Redaktion. „Bund und Länder müssen in einer konzertierten Kampagne Impfen niedrigschwellig in sozialen Brennpunkten, bei Veranstaltungen, Besuchen in Einkaufszentren, in Schwimmbädern, an Stränden, in Diskotheken, Kneipen, Restaurants, Bahnhöfen und Flughäfen anbieten“, forderte er. „Zudem sollte die Bundesregierung gemeinsam mit prominenten Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Sport im Rahmen einer pfiffigen Werbe- und Informationskampagne für das Impfen mobilisieren.“

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