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Analyse: Corona könnte Afghanistan in einer fragilen Phase treffen

Analyse

Corona könnte Afghanistan in einer fragilen Phase treffen

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    Die von Reinhard Erös gegründete Kinderhilfe Afghanistan verteilt derzeit Corona-Prophylaxe-Sets, aber auch Lebensmittel an bedürftige Familien im Osten des Landes. Auch die Schulen, Ausbildungszentren und Werkstätten der privaten Hilfsorganisation wurden aus Angst vor dem Virus geschlossen.
    Die von Reinhard Erös gegründete Kinderhilfe Afghanistan verteilt derzeit Corona-Prophylaxe-Sets, aber auch Lebensmittel an bedürftige Familien im Osten des Landes. Auch die Schulen, Ausbildungszentren und Werkstätten der privaten Hilfsorganisation wurden aus Angst vor dem Virus geschlossen. Foto: Kinderhilfe Afghanistan

    Afghanistan ist seit Jahrzehnten ein Schauplatz von Kriegen und Terroranschlägen, die Korruption ist allgegenwärtig. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass Politiker und Experten der Vereinten Nationen davor warnen, dass sich das Coronavirus in diesem geschundenen Land ungebremst verbreiten könnte.

    Droht eine Pandemie am Hindukusch? Eine Frage, die Reinhard Erös, ein profunder Kenner Afghanistans, nicht beantworten kann. Erös: „Es gibt zwar offizielle Zahlen der Regierung, nach denen 800 Afghanen positiv getestet sind und ein oder zwei Dutzend gestorben sind. Doch die Aussagekraft dieser Angaben dürfte gering sein. In Afghanistan gibt es nicht so etwas wie ein Robert-Koch-Institut.“ Allerdings auch kein flächendeckend funktionierendes Gesundheitssystem.

    Die Kinderhilfe Afghanistan betreibt 30 Schulen im Land

    Der frühere Bundeswehr-Offizier und ausgebildete Arzt aus dem niederbayerischen Mintraching ist regelmäßig in Afghanistan, um die Projekte der von ihm gegründeten Kinderhilfe zu betreuen: 30 Schulen, in denen rund 6000 Mädchen und Jungen unterrichtet werden, Ausbildungswerkstätten, Computer-Ausbildungszentren und ein Waisenhaus für 600 Kinder.

    Reinhard Erös hofft, dass die Abgeschiedenheit vieler Provinzen die massenhafte Ansteckung mit dem Virus verhindern kann. „70 bis 80 Prozent der Menschen leben in Dörfern, in die sich kaum jemand verirrt. Dort werden weder Starkbierfeste noch Karneval gefeiert.“

    Doch eine Entwicklung verfolgt Erös mit Sorge: „Als größte Gefahr für die Ausbreitung der Krankheit gilt die Rückkehr von mehr als 200.000 Afghanen, die im Iran als Flüchtlinge und Hilfsarbeiter gelebt haben. Darunter dürften sich tausende Infizierte befinden. Im Iran ist das Virus relativ weit verbreitet.“ Die Rückkehrer würden bei ihrer Suche nach Arbeit in die Großstädte Kabul und Herat ziehen.

    Wie alle Schulen sind auch die Einrichtungen der Kinderhilfe im Osten des Landes geschlossen. Die private Hilfsorganisation verteilt aktuell Corona-Prophylaxe-Sets mit Schutzmasken, Desinfektionsmitteln, Damen-Hygieneartikel und vor allem Seifen. „Bedürftige Familien erhalten zudem Grundnahrungsmittel, da viele Basare im Zuge der Ausgangsbeschränkungen geschlossen wurden und die Lebensmittelpreise um bis zu 50 Prozent gestiegen sind“, sagt Erös im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Die Ausläufer der weltweiten Krise treffen das Land in einer politisch instabilen Phase. Hinter den Kulissen der Hauptstadt Kabul hält der Streit zwischen Präsident Ashraf Ghani und seinem Kontrahenten Abdullah Abdullah über den Ausgang der Präsidentschaftswahl an. Beide sehen sich als Sieger.

    Erös: "Die Taliban werden wieder die bestimmende Macht im Land"

    Nur schwer in Gang kommt der bei den Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban verabredete Gefangenenaustausch. 5000 inhaftierte Taliban sollen von der Regierung im Tausch gegen 1000 von den Rebellen festgehaltene Gefangene freikommen. Erst 160 Taliban durften bis heute das Gefangenenlager Bagram verlassen.

    Für Reinhard Erös sind das jedoch Streitigkeiten, die den für das Land entscheidenden Punkt nicht überdecken können: „Die Taliban sind der Sieger. Ich gehe davon aus, dass sie in ein bis zwei Jahren die politisch bestimmende Macht im Land sind. Ich erwarte, dass sie dann Schlüsselpositionen in der Regierung einnehmen werden.“

    Das wäre ein Comeback, gegen das der Westen viele Jahre gekämpft hat. Die Taliban waren von 1996 und 2001 an der Macht, bevor eine internationale Militärintervention unter Führung der USA ihrer Herrschaft ein Ende setzte. Zur Freude eines großen Teils der Bevölkerung, denn die Taliban setzten ihre religiösen Vorstellungen brutal durch. Musik oder Sport waren streng verboten. Gegner wurde gnadenlos verfolgt, Frauen rigoros vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Auch erwiesen sich die Rebellen als unfähig, das Land zu regieren.

    Die Afghanen leiden unter der allgegenwärtigen Korruption 

    Erös ist kein Freund der Taliban, aber er hat sich mit ihnen arrangiert – allein schon, um seine Hilfsprojekte zu schützen. „Viele Afghanen, vor allem die Landbevölkerung, finden das längst nicht so schlimm, wie viele im Westen glauben. Die meisten Afghanen leiden seit dem Sturz der Taliban 2001 unter einer unvorstellbaren Korruption. Die Taliban gelten als nicht korrupt.“ Zudem habe bei den Islamisten eine neue Generation das Sagen. „Auch die Bevölkerung hat sich seitdem verändert. Die Jüngeren sind über das Internet gut informiert und verfügen über eine relativ gute Ausbildung.“ Erös glaubt nicht daran, dass die Taliban erneut versuchen würden, Mädchen und Frauen von Bildung und dem öffentlichen Leben auszuschließen: „Sie hätten unsere Schulen im Osten des Landes, in der auch Mädchen unterrichtet werden, jederzeit in die Luft jagen können, aber sie haben es nicht getan.“

    Sind die Stunden der Bundeswehr, die noch mit 1300 Soldaten im Land ist, gezählt? Das hänge alleine von den USA ab, sagt Erös. Ohne ihre Unterstützung sei die Bundeswehr nicht verteidigungsfähig. Dann müsste sie sofort abziehen. Allerdings glaubt Erös, dass die USA – wenn auch in deutlich geringerer Stärke – präsent bleiben: „Dafür ist Afghanistan mit dem Nachbarn Pakistan, der einzig islamischen Atommacht, und dem Erzfeind der USA, dem schiitischen Terrorstaat Iran, auch langfristig zu wichtig.“

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