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Analyse: "Brexit"-Entscheidung spaltet die Große Koalition

Analyse

"Brexit"-Entscheidung spaltet die Große Koalition

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    Minister Wolfgang Schäuble und Frank-Walter Steinmeier: Süffisante und subtile Verwerfungen in der Koalition.
    Minister Wolfgang Schäuble und Frank-Walter Steinmeier: Süffisante und subtile Verwerfungen in der Koalition. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Konsens ist Trumpf. Bislang jedenfalls. Mögen CDU/CSU und SPD auch in Fragen der Wirtschafts-, Finanz- oder Sozialpolitik weit auseinanderliegen und grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen vom Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat haben, in einem zentralen Politikfeld sind sie sich einig: In der Außen- und Europapolitik gibt es praktisch keine Differenzen. Wenn es um Deutschlands Rolle auf dem internationalen Parkett geht, ziehen sie an einem Strang. So war auch in den Koalitionsverhandlungen das Kapitel zur Außenpolitik rasch geschrieben, Konflikte gab es nicht.

    Doch das überraschende Votum der Briten für einen Austritt aus der EU hat nicht nur die tiefe Spaltung der britischen Gesellschaft in dieser Frage offengelegt, sondern auch die Große Koalition in Berlin kalt erwischt und einen Keil zwischen Union und SPD getrieben. Die Frage, welche Konsequenzen aus dem britischen Nein zur

    Vorgeschmack auf aufziehenden Bundestagswahlkampf

    So war man im Kanzleramt wenig erfreut, dass Steinmeier unmittelbar nach der „Brexit“-Entscheidung der Briten die Initiative ergriff und die Außenminister der sechs Gründungsstaaten der EU nach Berlin einlud. Damit habe er, hieß es in der Regierungszentrale, die sich traditionell als Zentrum der Europapolitik versteht, die anderen Mitgliedstaaten verprellt und ausgeschlossen. Im Gegenzug verwies das Auswärtige Amt allerdings süffisant auf das Dreiertreffen Merkels mit dem französischen Präsidenten François Hollande und dem italienischen Premier Matteo Renzi im Vorfeld des EU-Gipfels – ebenfalls ohne die anderen Regierungschefs.

    Einen Vorgeschmack auf den aufziehenden Bundestagswahlkampf, in dem sich Union und SPD nach der gemeinsamen Regierungsarbeit wieder stärker voneinander absetzen und die Gegensätze stärker herausarbeiten werden, lieferten sich Schäuble und Gabriel mit ihrem indirekten Wortgefecht über die Medien an diesem Wochenende. Während sich Schäuble, in dessen Haus der Kurs der Euro-Gruppe maßgeblich geprägt wird, ausdrücklich gegen eine weitere Vertiefung der EU aussprach, eine weitere Zentralisierung sowie teure Programme „auf Pump“ ablehnte und sich für ein stärkeres Engagement der nationalen Regierungen aussprach, notfalls auch ohne Rücksicht auf die EU-Kommission, forderte Gabriel das genaue Gegenteil: mehr Europa, ein Abrücken vom bisherigen rigiden Sparkurs sowie Programme zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit.

    Unverkennbar, dass sich Gabriel durch sein demonstratives Abrücken von Merkel und seine Auseinandersetzung mit Schäuble für die Kanzlerkandidatur warmläuft und die Themen sucht, mit denen er die SPD von der Union abgrenzen kann. Ein Stück weit rückt er dabei die SPD nach links und sucht die Annäherung an die Grünen und die Linkspartei, wenn er die harten Sparauflagen für die notleidenden Südländer kritisiert und die Steuerflucht in der EU anprangert („Für Steuergerechtigkeit in Europa einzutreten – das ist Klassenkampf an der richtigen Adresse“).

    Kein Wunder, dass der linke Flügel der SPD laut applaudiert und ihm demonstrativ zur Seite springt. So verlangt auch der stellvertretende Parteichef und hessische Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel am Montag ein Ende der Sparpolitik. „Europa muss mehr Geld ausgeben“, fordert er, die „Placebo-Politik“, in der Haushaltsreste zusammengekratzt werden und auf Pressekonferenzen lediglich Ankündigungen erfolgten, müsse ein Ende haben. „Wer glaubt, dass man mit Sparen alleine Europa zusammenhält, der irrt gewaltig.“ Noch weiter geht der stellvertretende SPD-Fraktionschef Axel Schäfer vom linken Flügel. Er stellt sogar Schäubles Haushaltspolitik infrage und fordert ein Abrücken von der schwarzen Null. Ein Haushalt ohne neue Schulden sei „kein Fetisch“.

    Der Konsens ist vorbei, der Wahlkampf eröffnet. Und das ausgerechnet in der Europapolitik.

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