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Analyse: Bekommt Schulz noch die Kurve?

Analyse

Bekommt Schulz noch die Kurve?

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    Jetzt nur nicht völlig den Halt verlieren: Es wird immer deutlicher, dass der SPD-Chef Martin Schulz mit seiner voreiligen, kompromisslosen Absage an Gespräche mit der Union erneut ein Eigentor geschossen hat. Seine Stellung in der Partei ist dadurch noch wackeliger geworden.
    Jetzt nur nicht völlig den Halt verlieren: Es wird immer deutlicher, dass der SPD-Chef Martin Schulz mit seiner voreiligen, kompromisslosen Absage an Gespräche mit der Union erneut ein Eigentor geschossen hat. Seine Stellung in der Partei ist dadurch noch wackeliger geworden. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    War das nicht alles schon einmal da? Die Szenerie, die sich in diesen Tagen auf der hell erleuchteten Bühne der Bundespolitik abspielt, wirkt seltsam vertraut. Da hat die SPD einen neuen Parteichef, der von außen kommend für frischen Wind in der verkrusteten Partei sorgt, Erneuerung verspricht und den Regierungschef, der nach zwölf Jahren im Amt den Zenit seiner Macht bereits überschritten hat, mit Aussicht auf Erfolg herausfordert.

    Doch die Begeisterung hält nicht lange. Erst verliert er die Wahl, dann den Rückhalt in der Partei. Der Parteichef, auf dem eben noch alle Hoffnungen ruhten, agiert unglücklich und ungeschickt, versinkt im Umfragetief und wird offen demontiert. Auf dem Parteitag kommt es schließlich zum Machtkampf auf offener Bühne.

    Die Rede ist nicht von Martin Schulz, sondern von Rudolf Scharping. 1993 setzte er sich in einer Urwahl durch, 1994 verlor er die Bundestagswahl gegen Helmut Kohl, 1995 stürzte ihn Oskar Lafontaine auf dem legendären Mannheimer Parteitag. Nun scheint sich diese Geschichte im Zeitraffer zu wiederholen. Im Januar rief ihn Sigmar Gabriel zum SPD-Chef und Kanzlerkandidaten aus, im März wurde er mit 100 Prozent gewählt, im September verlor er gegen Angela Merkel – und auf dem Parteitag Anfang Dezember muss er ums Überleben kämpfen.

    Der Druck auf Schulz ist enorm. Von außen wie aus den eigenen Reihen steht der 61-Jährige unter Beschuss. Dass er am Montag nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen kategorisch Verhandlungen mit der Union ausgeschlossen und für Neuwahlen plädiert hat, war ein großer strategischer Fehler. Ohne Not nahm er seiner Partei jeglichen Verhandlungsspielraum und rückte sie in das Eck der Totalverweigerung. Mehr noch, mit seinem vorschnellen Nein brüskierte er auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, wusste er doch, dass sich dieser im Laufe des Tages äußern und Gespräche mit den Chefs aller Parteien ankündigen werde, auch der SPD.

    So dürfte denn auch das Treffen Steinmeiers mit Schulz gestern Nachmittag in Schloss Bellevue in einer frostigen, mindestens angespannten Atmosphäre stattgefunden haben. Gerade ein Mann wie Steinmeier mit seinem hohen Pflicht- wie Verantwortungsbewusstsein hat wenig Verständnis für die Verweigerungshaltung des SPD-Chefs.

    Für Schulz kommt es nun darauf an, möglichst rasch und gesichtswahrend die Kurve zu bekommen und von seinem kategorischen Nein zu Verhandlungen mit der Union abzurücken, um seine Haut zu retten. Erste Andeutungen zeigen bereits, dass der Neuling auf der bundespolitischen Bühne seine Position Stück für Stück preisgibt. Denn in der Fraktion deutet sich längst ein Kurswechsel an. Neuwahlen haben die Abgeordneten, die gerade einen ebenso teuren wie anstrengenden Wahlkampf hinter sich haben, sehr wohl zu fürchten, etlichen droht der Verlust ihres gerade erst gewonnenen Mandats. Auch die Tolerierung einer CDU/CSU-Minderheitsregierung kann keine wirkliche Option sein – warum sollte die SPD alle Vorhaben der Union durchwinken und Merkel stützen, ohne selber Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen zu können?

    Nein, wenn Martin Schulz wirklich den Beweis erbringen will, dass er mehr ist als ein Übergangschef ohne Fortune und Format, dann muss er sich jetzt neu erfinden, wirkliche Führungsqualitäten zeigen und den Weg für ernsthafte Koalitionsverhandlungen mit der Union frei machen. Die Zeiten sind günstig. Da Angela Merkel, um im Amt zu bleiben, nach dem Scheitern von Jamaika auf die SPD angewiesen ist, können die Sozialdemokraten durchaus die Bedingungen diktieren und für eine sozialdemokratische Handschrift sorgen.

    An gescheiterten SPD-Chefs herrscht seit dem Rücktritt Willy Brandts 1987 kein Mangel. Für Martin Schulz entscheidet sich jetzt, ob er sich in diese Galerie einreiht – oder ob ihm in einem Kraftakt die Kunst gelingt, aus seinem völlig missglückten Wahlkampf und dem 20,5-Prozent-Desaster der Bundestagswahl das Optimum herauszuholen – Regierungsbeteiligung auf Augenhöhe. Dann könnte ihm – zumindest vorerst – das Schicksal Scharpings erspart bleiben – zumal in der SPD ein Herausforderer vom Format eines Oskar Lafontaine weit und breit nicht in Sicht ist.

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