Symptome überdecken oft das eigentliche Problem – oder sie weisen darauf hin, dass es ein Problem überhaupt gibt. Das Symptom der CDU ist gerade die CO2-Steuer, das Problem die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Völlig unnötig hat sie in der Klimadebatte Leitplanken aufgestellt und eine Steuer auf CO2 abgelehnt. Dabei gibt es Teile der Partei, die darüber zumindest nachdenken wollen. Vize-Parteichef Armin Laschet zum Beispiel oder der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus. Nun wird in der CDU also heftig über die CO2-Steuer debattiert, die Aufregung ist groß. Das Thema selbst mag kaum so viel Aufregung wert sein, in Wahrheit ist die CO2-Debatte auch eher ein Ausdruck der Gereiztheit in der CDU. Ein Ventil für den Frust, der sich gerade wegen der Parteivorsitzenden aufbaut. Offen sagt es niemand, aber hinter vorgehaltener Hand wird schon darüber gesprochen, ob Kramp-Karrenbauer tatsächlich Kanzlerin kann.
Bereits die Karnevalsauftritte der als Putzfrau verkleideten Parteivorsitzenden ließen einige in der Union mit offenem Mund zurück. „Jetzt spielt sie die Gretel und später will sie am G-20-Tisch sitzen“, ätzte ein Außenpolitiker mit Blick auf die internationalen Termine, die auf Kramp-Karrenbauer warten. So sie denn tatsächlich Bundeskanzlerin wird. Und zwar noch vor der nächsten Bundestagswahl, wie es sich viele Unionspolitiker deshalb wünschen, weil eine Spitzenkandidatin mit Amtsbonus angeblich bessere Karten hat als eine ohne.
AKK würde gerne bald Kanzlerin werden, nur wie?
Kramp-Karrenbauer würde jedenfalls gerne noch in dieser Legislaturperiode Kanzlerin werden. Ihr Problem ist jedoch, dass sie der Amtsinhaberin ausgeliefert ist und darauf warten muss, dass Angela Merkel abtritt. Verfassungsrechtlich ist das schwer, Merkel betonte zudem vor kurzem, sie könne Fragen nach einem vorzeitigen Rücktritt „mit einem klaren Nein beantworten“. Andere Wege könnten über eine Minderheitsregierung, eine Jamaika-Koalition mit FPD und Grünen oder Neuwahlen führen. Aber dazu bräuchte Kramp-Karrenbauer Verbündete in den anderen Parteien, und die sind derzeit rar. So muss AKK also im Ehrenamt der CDU-Vorsitzenden verharren, während die große Politik an ihr vorbeizieht.
Dabei hat die Saarländerin schwer damit zu tun, der CDU-Parteizentrale wieder Einfluss zu verschaffen. Merkel hatte, als sie noch CDU-Chefin war, das Konrad-Adenauer-Haus systematisch entmachtet. Wichtige Termine, Reden und Pressemitteilungen wanderten zunächst ins Kanzleramt und auf den Tisch ihrer Büroleiterin Beate Baumann. AKK muss das Terrain erst mühsam zurückgewinnen. Gleichzeitig werfen ihre Kritiker ihr vor, sie habe den Laden nicht im Griff und deshalb ihre Partei noch nicht aus dem Umfrage-Keller geholt.
Gegen Kramp-Karrenbauer wird auch ins Feld geführt, dass sie kein Ministeramt hat, nicht im Bundestag reden kann und an entscheidender Stelle in der Exekutive nicht wahrgenommen wird. Die Lösung wäre eine Kabinettsumbildung. Doch da wird absehbar nur ein SPD-Posten frei, nämlich der von Justizministerin Katarina Barley, die es ins EU-Parlament zieht.
Die Kritik an der CDU-Chefin ist nicht immer fair, aber das hilft ihr wenig
Der Europawahlkampf wiederum könnte der nächste Stoß sein, den ihre Kritiker AKK verpassen. Während Merkel sich raushält, muss sie die Last für die CDU weitgehend alleine schultern. Für ein durchaus mögliches schlechtes Ergebnis wird man ihr die Schuld geben. Schon jetzt munkeln Unions-Leute, Kramp-Karrenbauer sei keine gute Wahlkämpferin und könne die Massen nicht begeistern. Die Skeptiker verweisen auf ihren knappen Sieg über Friedrich Merz beim Parteitag in Hamburg. Solche Kritik ist vielfach zwar nicht fair. Kramp-Karrenbauer war nicht nur Ministerpräsidentin. Sie war auch vier Mal Landesministerin und verfügt über mehr Regierungserfahrung als viele Mitglieder im aktuellen Bundeskabinett. Darüber hinaus profilierte sie sich in zahlreichen anderen Ämtern der Partei, über den Bundesrat mischte sie in der großen Politik mit. Ihren Konkurrenten Merz stellte sie gekonnt kalt und bewies Machtinstinkt. Ihre Partei sieht das derzeit aber offenbar anders.
Geschlossen steht die CDU jedenfalls nicht hinter ihrer Vorsitzenden, die demonstrative Euphorie, mit der AKK nach ihrem Wahlsieg auf dem Hamburger Parteitag gefeiert wurde, ist schon lange verflogen. Der CDU droht damit eine Entwicklung, wie sie die SPD schon bitter durchlaufen hat: Eine neue Kandidatin – bei den Sozialdemokraten war es damals der Kandidat Martin Schulz – wird zunächst bejubelt und aufs Podest gehoben, dann kritisiert und von den eigenen Leuten demontiert. Und am Ende wieder verstoßen.
Wie das Gegengift für dieses Problem aussehen könnte, ist völlig unklar. Ganz wenige Fieberträume gibt es in der CDU, und in denen kommt tatsächlich – trotz des klaren Dementis – eine erneute Amtszeit von Kanzlerin Merkel vor.