Im Grundsatz ist die Sache klar: CDU und CSU halten sowohl AfD als auch die Linke auf gleiche Distanz, lehnen jede Kooperation ab. Äquidistanz lautet das Fachwort dafür, das man jetzt öfter hört. Wie tief dieses Mantra im Bewusstsein vieler Unionspolitiker verankert ist, zeigte sich am Dienstag einmal mehr in Thüringen: Um auf gar keinen Fall irgendwie gemeinsame Sache mit der Linkspartei machen zu müssen, zögert die CDU dort sogar, eine renommierte CDU-Frau zur Übergangsministerpräsidentin zu machen.
Doch so einfach ist es dann doch nicht. Denn man benötigt keine Glaskugel, um sicher zu sein, dass der Eiertanz in Erfurt den grundsätzlichen Streit weiter anheizen wird. Den Konflikt darüber, ob es inhaltlich und taktisch richtig ist, die beiden relevanten Parteien am linken beziehungsweise rechten Rand des politischen Spektrums im Land über einen Kamm zu scheren.
Vertreter der Werteunion wollen auf die AfD zugehen
Während der Kieler Regierungschef Daniel Günther (CDU) schon lange der Meinung ist, dass zumindest in den ostdeutschen Ländern eine Zusammenarbeit mit der Linken nicht generell ausgeschlossen werden sollte, fordern Vertreter der konservativen Werteunion ein Zugehen auf die AfD.
Der Politikwissenschaftler Michael Lühmann vom Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen hält Äquidistanz angesichts des „immer weiter gehenden“ Rechtsrucks der AfD und insbesondere des ,Flügels’ für fatal. Die Mitglieder dieser Plattform, die sich hinter dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke versammelt haben, vertreten zum Teil völkische und rechtsextreme Positionen. Lühmann: „Höckes Ziel ist Chaos und Destruktion, um dann wie der Phönix aus der Asche aus diesem Chaos emporzusteigen.“
Der „Flügel“ wird seit 2019 vom Verfassungsschutz beobachtet
Der „Flügel“ in der AfD wird seit 2019 vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. „Der ,Flügel’ wird immer extremistischer“, sagte der Chef des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, im Herbst 2019 dem Spiegel. Höcke versuchte vergeblich, juristisch gegen diese Aussage vorzugehen.
So spricht derzeit kaum etwas dafür, dass die Beobachtung der Plattform ausgesetzt wird. Zumal dessen Einfluss und Ansehen in der Partei – nicht zuletzt nach Höckes Prestigeerfolg in Thüringen – weiter steigen. Die stramm rechte Organisation ist in fast allen Landesverbänden und auch bundesweit ein Machtfaktor, an dem die Parteispitze nicht mehr vorbeikommt.
Lühmann hält es für „absurd, dass der Verfassungsschutz nicht schon viel früher und umfangreicher auf die AfD schaut“. Der Wissenschaftler begründet dies juristisch: „2017 hat das Bundesverfassungsgericht beim zweiten NPD-Verbotsverfahren ganz klar gemacht, was eigentlich die schützenswerte freiheitliche demokratische Grundordnung sei.
Ausgehend von der Garantie der Menschenwürde geht es vorderhand um das Demokratieprinzip, also die gleichberechtigte Teilhabe an politischer Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung aller Staatsgewalt an das Volk.“ Danach wäre jeder, der in der AfD über „völkisches Denken und völkische Programmatik die Würde des Menschen“ einschränkt, automatisch ein Gegner des Kernbestandteils der Verfassung. „Damit wäre im Prinzip die ganze AfD ein Beobachtungsfall“, sagt Lühmann.
Auch Politikwissenschaftler Korte hält nichts von Äquidistanz
Auch der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte bezeichnete den Versuch der CDU, Äquidistanz zu wahren, in der Süddeutschen Zeitung als „vollkommen künstliche Konstruktion“. Korte billigt der Linken in ihrer Gesamtheit zu, sich „längst innerhalb etablierter demokratischen Strukturen“ zu bewegen. Tatsächlich hat die Linke nicht nur unter Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen bewiesen, dass sie konstruktiv mitregieren kann. Gleichzeitig aber fordert Korte eine klarere Abgrenzung zu Linksextremisten-Gruppen, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen.
Die Beobachtung der Linken und der Vorgängerpartei PDS durch den Verfassungsschutz hat Tradition. Aktuell steht die Partei als Ganzes nicht mehr im Fokus. Wohl aber tauchen einzelne Gruppen im Verfassungsschutzbericht 2018 auf, darunter die „Kommunistische Plattform“. In der CDU, aber auch in weiten Teilen der SPD, der Grünen und der FDP wird moniert, dass es in der Linken nach wie vor Sympathien und Unterstützung für linke Regime wie in Kuba oder Venezuela gibt. Kritik hagelt es auch für eine Verharmlosung des DDR-Unrechtsstaats oder Träume von einer sozialistischen Wirtschaftsordnung.
Es geht auch um rassistische und antisemitische Ressentiments
Doch auch dezidierte Gegner jeder Kooperation mit der Linken, wie der konservative Publizist Hugo Müller-Vogg, erkennen einen fundamentalen Unterschied zwischen der Linken und der AfD an: „Die AfD appelliert an rassistische und ausländerfeindliche Ressentiments und duldet Antisemiten in ihren Reihen. Da hat die Linke eine weiße Weste“, schrieb Müller-Vogg im Fokus.
Es mag gute Gründe geben, die Linke politisch zu bekämpfen – sie mit der AfD in einen Topf zu werfen, wird den Fakten nicht gerecht.
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