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Analyse: AfD-Chef Meuthen droht die Rache der Entrechteten

Analyse

AfD-Chef Meuthen droht die Rache der Entrechteten

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    AfD-Chef Jörg Meuthen (rechts) hat den Rauswurf von Andreas Kalbitz vorangetrieben. Der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland wollte ihn verhindern.
    AfD-Chef Jörg Meuthen (rechts) hat den Rauswurf von Andreas Kalbitz vorangetrieben. Der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland wollte ihn verhindern. Foto: Britta Pedersen, dpa (Archiv)

    Wer sich in diesen Tagen mit AfD-Chef Jörg Meuthen unterhält, erlebt einen ausgesprochen gut gelaunten Mann. Das ist gleich aus mehreren Gründen erstaunlich. Erstens stecken die Rechtspopulisten seit Wochen im Umfragetief fest. Nicht nur, weil sich die führenden Köpfe mal wieder auf offener Bühne bekriegen, sondern auch, weil viele Menschen in der CoronaKrise lieber auf bewährte Kräfte setzen.

    Und zweitens gibt es nicht wenige Parteifreunde, die Meuthens Tage an der Spitze der AfD für gezählt halten. Der Wirtschaftsprofessor könnte nach Bernd Lucke und Frauke Petry der dritte AfD-Vorsitzende werden, der von den rechtsradikalen Kräften im eigenen Laden aus dem Amt gefegt wird. Woher also die gute Laune?

    AfD: Auflösung des "Flügels" war eine Notoperation

    Meuthens Erzählung ist eine andere. Er sieht sich selbst als den Mann, der das immer weitere Abdriften der Partei nach rechts gestoppt hat. Der den "Flügel" um Björn Höcke, Galionsfigur der Völkisch-Rechtsextremen, gestutzt hat. Der Höckes strategischen Hintermann Andreas Kalbitz vor die Tür gesetzt hat. Dem also das gelungen ist, woran Lucke und Petry gescheitert waren. Und es stimmt ja, der mächtige "Flügel" wurde zumindest auf dem Papier aufgelöst.

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    Das ist allerdings weniger das Ergebnis von Meuthens Führungsstärke oder irgendeiner Form von Einsicht als eine Notoperation gewesen. Die "Partei in der Partei", wie viele das Lager nennen, das beispielsweise nach den Ausschreitungen in Chemnitz an der Seite von Neonazis marschierte, ist ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Damit war klar: Sollte sich die AfD nicht – wenigstens offiziell – von den Rechtsextremisten lossagen, könnte schon bald die ganze Partei unter Beobachtung gestellt werden.

    Kalbitz' Vergangenheit war auch in der AfD lange kein Geheimnis mehr

    Andreas Kalbitz geht juristisch gegen den AfD-Rauswurf vor.
    Andreas Kalbitz geht juristisch gegen den AfD-Rauswurf vor. Foto: Soeren Stache, dpa

    Dass der Bundesvorstand den brandenburgischen AfD-Vorsitzenden Kalbitz auf Meuthens Betreiben hin aus der Partei geworfen hat, kam da schon überraschender. Auch für den 47-Jährigen selbst. Schließlich war seine Vergangenheit schon lange kein Geheimnis mehr in der AfD. Kalbitz pflegte nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nicht nur jahrelang enge Kontakte zur inzwischen verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ), sondern war sogar Mitglied in der neonazistischen Vereinigung.

    Hinausgeworfen hat ihn die AfD allerdings nicht wegen seiner rechtsextremen Gesinnung, sondern aufgrund einer Formalie: Er soll seine HDJ-Mitgliedschaft bei der Aufnahme in die AfD verschwiegen und damit gegen die Satzung verstoßen haben. Mit der Attacke auf Kalbitz hat Meuthen nicht nur den Furor jener Parteifreunde geweckt, die bis vor kurzem den "Flügel" bildeten. Er hat sich auch mächtige Feinde gemacht, allen voran die beiden AfD-Fraktionschefs im Bundestag.

    Gauland und Weidel werden sich den Kalbitz-Rauswurf nicht gefallen lassen

    Alice Weidel hat in ihrer politischen Laufbahn schon einige erstaunliche Wendungen hingelegt. Erst wollte sie Höcke aus der Partei ausschließen. Dann paktierte sie mit dessen Lager. Wohl auch, weil sie erlebt hatte, wie kläglich die frühere AfD-Chefin Frauke Petry mit ihrem Parteiausschlussverfahren gegen den Faschisten aus Thüringen gescheitert war. Alexander Gauland wiederum hat den "Flügel" stets als integralen Bestandteil der AfD gesehen und Rechtsaußen Höcke "in der Mitte" der Partei verortet.

    Eines steht fest: Gauland und Weidel werden sich den Kalbitz-Rauswurf, den sie nicht verhindern konnten und um dessen Rechtmäßigkeit nun juristisch gestritten wird, nicht gefallen lassen. Vom verbliebenen rechten Flügelstürmer Höcke ganz zu schwiegen. In gewohntem Pathos warf er Meuthen "Verrat" vor.

    Höcke und Kalbitz genießen zumindest im Osten starken Rückhalt

    "Die Bedeutung Björn Höckes für die Partei im Ganzen wird gern medial überhöht", sagt Meuthen.
    "Die Bedeutung Björn Höckes für die Partei im Ganzen wird gern medial überhöht", sagt Meuthen. Foto: Jens Büttner, dpa

    Dieser gibt sich demonstrativ gelassen: "Die Bedeutung Björn Höckes für die Partei im Ganzen wird gern medial überhöht. Er ist ein erfolgreicher Landespolitiker, hat aber auf der Bundesebene noch nie eine Funktion innegehabt und auch für keine Ämter kandidiert", sagt Meuthen im Gespräch mit unserer Redaktion. Man darf davon ausgehen, dass Höcke seine Rolle etwas anders einschätzt. Zumindest im Osten genießen er und Kalbitz starken Rückhalt.

    Muss Meuthen nun also die Rache der "Entrechteten" fürchten? Wird er beim nächsten Parteitag abgewählt? Muss er seine immer wieder kolportierten Ambitionen auf den Posten des Bundestagsfraktionschefs begraben? "Ich habe keine Angst, wovor auch?", sagt der 58-Jährige. Er ist überzeugt davon, dass er für die Mehrheit der AfD-Mitglieder spricht, auch wenn es an der Spitze recht einsam um ihn geworden ist.

    Meuthen selbst hatte das völkisch-rechtsextreme Lager lange gewähren lassen

    Dabei hatte Meuthen selbst das völkisch-rechtsextreme Lager lange gewähren lassen. Im erbitterten Machtkampf mit seiner damaligen Co-Vorsitzenden Petry stand der "Flügel" auf seiner Seite. Dass der vermeintlich gemäßigte Meuthen mit Leuten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, paktierte, erklärt er heute so: "Ich habe anfangs deren führenden Köpfen wirklich geglaubt, dass sie als informelle Gruppierung einfach nur dazugehören wollen. Das war ein Fehler. Tatsächlich zeigte sich immer stärker, dass maßgebliche Akteure des Flügels als Minderheit schrittweise die ganze Partei übernehmen wollten." Das sei nicht hinnehmbar gewesen.

    Mit der Vergangenheit von Kalbitz will sich Meuthen erst später befasst haben. Man wühle ja nicht grundlos in der Vita von Parteifreunden herum, so die Begründung. Inzwischen lässt er kein gutes Haar mehr an Kalbitz. Dessen Darstellung, "er habe bei der neonazistischen HDJ nur mal hineingeschnuppert, entbehrt in Kenntnis der Fakten jeder Glaubwürdigkeit", sagt Meuthen.

    "Wollen unsere AfD in Regierungsverantwortung bringen"

    Der AfD-Chef ist davon überzeugt, dass seine Partei mit Rechtsextremen in den eigenen Reihen nie ans Ziel kommt. Und immerhin dieses teilt er noch mit dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, dem er ansonsten in herzlicher Abneigung zugetan ist. "Wir haben das gleiche Ziel: Wir wollen unsere AfD in Regierungsverantwortung bringen. In der Frage des richtigen Wegs dahin sind wir aber tatsächlich zu Teilen unterschiedlicher Meinung", sagt Meuthen.

    Was er meint: Gauland glaubt, das Ziel nur gemeinsam mit dem völkisch-rechtsradikalen Lager zu erreichen. Meuthen glaubt, dass es nur ohne geht. "Wahlen werden nicht am äußeren Rand, sondern in der Mitte gewonnen. Und das ist auch gut so", sagt der Chef der AfD.

    Nur wo fängt für diese Partei die Mitte an? Das wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Ob Jörg Meuthen dann immer noch gut gelaunt ist?

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