Für Annegret Kramp-Karrenbauer läuft es nicht rund in diesen Tagen. Vor den Augen der ganzen Republik muss sie sich auf der Nase herumtanzen lassen. Es sind ihre CDU-Parteifreunde aus dem kleinen Thüringen, die ihre Autorität untergraben. Dabei leben Parteichefs von der Autorität, dass sie ihren Laden zusammenhalten können. AKK kann das nicht mehr. Krisensitzung folgt auf Krisensitzung. Vom vielen Sprechen ist ihre Stimme belegt.
Nach dem Tabubruch von Erfurt, als ein FDP-Politiker mit Stimmen der CDU und der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hatte die Vorsitzende auf Neuwahlen gedrungen. Damit sollte das Desaster weggewaschen werden. Doch die Thüringer CDU denkt nicht daran, ihrer Vorsitzenden zu folgen. Also nun doch keine Neuwahlen. AKKs Blitzbesuch in Thüringen hatte trotz intensiver Gespräche bis in die tiefe Nacht zum Freitag hinein keinen Erfolg gebracht.
Bei Neuwahlen in Thüringen würde die CDU laut Umfragen abschmieren
Vor ihrem Aufbruch war sogar gestreut worden, renitente Parteimitglieder auszuschließen. Doch die Drohungen bewirkten das Gegenteil. „Die angedrohte Zwangsmaßnahmen haben noch mehr irritiert“, berichtete CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring.
Die christdemokratischen Abgeordneten stellten sich trotz des enormen Drucks aus zwei Gründen stur – einem demokratietheoretischen und einem persönlichen: Sie sehen erstens nicht ein, dass sie als frei gewählte Abgeordnete Befehlen aus Berlin gehorchen sollen. Und zweitens müssten viele um ihr Mandat bangen. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die CDU bei Neuwahlen abschmieren würde.
Wahl-Beben in Thüringen: Die CDU hat sich in die Sackgasse manövriert
Die eigentliche Ursache für die Nöte Kramp-Karrenbauers liegt aber in der politischen Sackgasse, aus der sie die CDU nicht herausgeführt hat. Die Partei will weiter weder mit der AfD, noch mit der Linkspartei gemeinsame Sache machen. Der sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss hat so lange funktioniert, wie die Partei selbst starke Ergebnisse eingefahren hat. Doch mit dem Aufstieg der AfD änderte sich die Lage, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Die AfD konnte bei einigen Wahlen die CDU sogar hinter sich lassen, so auch in Thüringen. Dort kommt hinzu, dass Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken als beliebtester Politiker viele Wähler an sich gebunden hatte. Weil die CDU weder mit den einen, noch mit den anderen gemeinsame Sache machen will, hat sie die viel beschworenen Brandmauern hochgezogen. Damit hat sie sich aber eingemauert und politischen Spielraum genommen.
CDU-Landeschef Mohring wollte nach der Thüringer Landtagswahl Ende Oktober Löcher in die Mauer zur Linken schlagen. Er wurde aber von Kramp-Karrenbauer zurückgepfiffen. Für die Landesverbände im Westen ist die Linke schlicht die SED-Nachfolgepartei, die es auszugrenzen gilt. In Ostdeutschland wird die Linke hingegen als normaler Teil des Parteiensystems betrachtet. Seit 30 Jahren ist sie an Landesregierungen beteiligt. In Umfragen geben zwei Drittel der Wähler an, dass sie nichts gegen eine Zusammenarbeit haben.
Grüne und SPD lassen Kramp-Karrenbauer abblitzen
Kramp-Karrenbauer hätte Mohrings sanften Wandel unterstützen und sich so allmählich aus dem selbst gebauten Gefängnis befreien können. Die Widerstände innerhalb der Partei sind groß und die Saarländerin hat in den vergangenen Monaten viel Rückhalt verloren. Sie agiert schon lange nicht mehr aus einer Position der Stärke heraus, sondern ist eine Getriebene. Doch am Ende ist die 57-Jährige wegen des Sündenfalls um die AfD noch nicht. Ihre größte Stärke ist ihre Zähigkeit, die an Angela Merkels Durchhaltevermögen heranreicht.
Also versucht sie die Flucht nach vorne. AKK schiebt den Schwarzen Peter der SPD zu, um aus der Bredouille zu kommen. „Wir erwarten, dass es eine Bereitschaft von SPD und Grünen gibt, einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu präsentieren, der oder die als Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin nicht das Land spaltet, sondern das Land eint“, sagt sie am Freitagnachmittag. „Die CDU ist zur konstruktiven Mitarbeit bereit. Sie hat bereits Projekte definiert, auf deren Grundlage eine konstruktive parlamentarische Sacharbeit im Interesse des Landes möglich ist.“
Tatsächlich haben sich die Partei-Granden überlegt, den SPD-Landesvorsitzenden Wolfgang Tiefensee als „Kompromisskandidaten der Mitte“ vor das klaffende Loch zu schieben. Gefragt haben sie ihn allerdings vorher nicht. Tiefensee winkt ab. „Der Vorschlag von AKK ist der untaugliche Versuch, Rot-Rot-Grün zu spalten“, erklärt der frühere Bundesverkehrsminister postwendend. Die Grünen schließen sich an. „Ich glaube nicht, dass Frau Kramp-Karrenbauer in der Position ist, Vorschläge oder Aufträge zu erteilen“, sagt Grünen-Fraktionschef Dirk Adams. Der taktische Versuch, das eigene Versagen auf SPD und Grüne abzuwälzen, geht damit für AKK gründlich daneben.
Nach Fiasko in Thüringen: SPD-Abgeordneter empfiehlt AKK einen Blick nach Bayern
Und weil Kramp-Karrenbauer die Geschehnisse in Erfurt damit entglitten sind, hat sie überraschend den bislang völlig glücklosen SPD-Vorsitzenden Nobert Walter-Borjans und Saskia Esken die Chance eröffnet, Forderungen zu stellen. Am Samstag tritt extra der Koalitionsausschuss zusammen.
Die Sozialdemokraten befinden sich in der Lage der moralischen Überlegenheit, schließlich haben sie sich den Rechten in ihrer langen Geschichte schon häufig in den Weg gestellt. „Frau Kramp-Karrenbauer steht ohnmächtig unter den Zwängen der etwas seltsamen CDU in Thüringen“, sagt der Vorsitzende der Konservativen in der SPD, Johannes Kahrs. Die Gleichsetzung von AfD und Linkspartei ist für ihn „historisch falsch, politisch dümmlich und menschlich abseitig“. Der SPD-Abgeordnete aus Hamburg empfiehlt der CDU-Vorsitzenden einen Blick nach Bayern. „Ich hoffe, die CDU orientiert sich an der CSU“, betont Kahrs.
Für Kramp-Karrenbauer ist das Fiasko von Erfurt noch lange nicht ausgestanden. Wenn sie Pech hat, dauert es noch Monate, bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist. Und kommt es zu Neuwahlen und kassiert die CDU eine Abreibung, wird es wieder ihre Schuld gewesen sein.
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