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Altbundespräsident: Joachim Gauck: Das Modell Bayern könnte ganz Europa aus der Krise führen

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Joachim Gauck: Das Modell Bayern könnte ganz Europa aus der Krise führen

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    Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck im Gespräch mit Rudi Wais (rechts) und Stefan Lange (links) von der Augsburger Allgemeinen.
    Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck im Gespräch mit Rudi Wais (rechts) und Stefan Lange (links) von der Augsburger Allgemeinen. Foto: Simone M. Neumann

    Altbundespräsident Joachim Gauck sieht im Politikverständnis der Bayern von Tradition und Moderne ein Vorbild, um Europa aus der politischen Krise zu führen.  „Länder wie Bayern aber haben es geschafft, eine Verbindung zwischen ihrer Tradition und dem Neuem zu schaffen, Eigenes, Bewährtes weitgehend zu erhalten und gleichzeitig Neues zu schaffen“, sagte Gauck unserer Redaktion. „Bayern hinkt ja nicht hinterher, weil es vielleicht etwas konservativer ist als andere Bundesländer, im Gegenteil: es geht voran“, betonte Gauck. „Und genau das muss uns auch in Europa gelingen, den Menschen zu sagen: Ihr könnt Polen bleiben, ihr könnt Dänen bleiben, aber ihr seid eben auch Europäer, so wie die Bayern auch Deutsche sind“, sagte der 79-Jährige.

    Das ehemalige Staatsoberhaupt warnte vor einer tiefen politischer Spaltung der Gesellschaft wie in Amerika auch in Deutschland: „Es könnte sein, dass wir in eine Situation wie in den USA hinein schlittern, wo sich die Progressiven und die Traditionalisten nur noch in ihren eigenen Kreisen bewegen und eine derartige Distanz zueinander geschaffen haben, dass es kaum mehr Brücken zwischen den beiden Lagern gibt“, sagte Gauck. „Oder schauen Sie nach Polen, wo sich die Liberalen und die Nationalkonservativen so feindlich gegenüberstehen, dass eine Koalition faktisch ausgeschlossen ist“, fügte er hinzu.

    „Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der wir Progressiven uns untereinander bestens verstehen und verständigen, die Grenzen des Machbaren und des Sagbaren abstecken und alle anderen für Demokratiefeinde oder gar Halbfaschisten halten“, betonte Gauck. „Begriffe wie Nation oder Heimat gehören nicht den Reaktionären am Rand des politischen Spektrums; auch der aufgeklärte Bürger darf seine Heimat lieben und dieser Nation mit ihrer demokratischen Gesellschaft von Herzen verbunden sein“, fügte er hinzu.

    Joachim Gauck will sich Deutschland nicht ohne Sozialdemokratie vorstellen

    Der frühere Bundespräsident führte die gegenwärtige Krise der bisherigen Volksparteien vor allem auf die Globalisierung zurück. Strategisch sei es für Union und SPD richtig, sich die Mehrheiten in der Mitte zu suchen. „Allerdings darf die Mitte nicht so eng werden, dass eine Repräsentanzlücke für diejenigen entsteht, die sich vor dem Wandel und noch mehr vor dem Tempo des Wandels fürchten“, warnte er. Als das Maschinenzeitalter hätten sich viele Menschen verunsichert in die heile Welt der Romantik geflüchtet. „Jetzt sind es die Globalisierung, der technologische Fortschritt oder die Künstliche Intelligenz, die den Menschen Angst machen“, sagte Gauck. „Widersprüche entzünden sich heute auch stärker an Fragen wie der Migration oder dem Klimawandel.“ Dies könne nun zur Existenzfrage etwa für die  SPD werden. „Ich möchte mir allerdings ein Deutschland ohne kraftvolle sozialdemokratische Partei nicht vorstellen – egal, ob ich sie morgen wähle oder nicht, ich bin ja Wechselwähler“, sagte Gauck. „Aber ja: es kann passieren, dass Parteien ihre Bedeutung, ihre traditionelle Rolle verlieren.“

    Die gilt laut Gauck auch für die Union. Bei Politikern wie  einst Franz-Josef Strauß oder Alfred Dregger hätte die AfD heute weniger Anhänger. „Ich persönlich habe für Politiker diesen Typs wenig übrig, ich würde sie nicht wählen, aber gerade in Bayern oder Baden-Württemberg vermisst ein großer Teil der Wählerschaft eine Union, die gesellschaftliche Veränderungen etwas kritischer betrachtet und in der es auch mal etwas härter zur Sache geht“ sagte der Altbundespräsident. „Die heutige Union ist für viele dieser Leute nicht mehr wählbar“, fügte er hinzu. „Die CDU hat mit ihrem Weg in die Mitte zwar Wahlen gewonnen, geblieben aber ist bei vielen Konservativen ein kulturelles Unbehagen.“

    Gauck fordert Toleranz für rechtskonservative Meinungen

    Gauck erklärte, zugleich warum er in diesem Zusammenhang jüngst zu einer Erweiterung der Toleranz ins rechte Lager aufgerufen habe, „Intoleranz ist dann geboten, wenn unsere Rechtsordnung ignoriert wird, wenn die Würde des Menschen verletzt, wenn zum Hass aufgerufen oder Rassismus gepredigt wird“, betonte er. „Davor gibt es einen breiten Bereich von Meinungen und Haltungen, die mir zwar höchst unsympathisch sind, aber diese Meinungen und Haltungen muss ich in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft tolerieren“, erklärte der Altbundespräsident. „Wir können nicht so tun, als würde gleich rechts von CDU und CSU der Faschismus lauern“, betonte Gauck. „Toleranz heißt nicht, dass ich mit dem, was ich toleriere, übereinstimme“, formulierte es der Altbundespräsident.

    Das ganze Interview mit Joachim Gauck lesen Sie hier.

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