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Aktive Sterbehilfe: Herr Brennecke möchte selbst entscheiden, wann er stirbt

Aktive Sterbehilfe

Herr Brennecke möchte selbst entscheiden, wann er stirbt

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    Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag und Mittwoch über die Grenzen aktiver Sterbehilfe.
    Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag und Mittwoch über die Grenzen aktiver Sterbehilfe. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Das Grundgesetz beginnt mit dem Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Hans-Jürgen Brennecke zitiert Artikel 1 in diesen Tagen häufiger. Er ist 74 Jahre alt, bei ihm wurde 2017 das lebensbedrohliche, aber wenig bekannte Burkitt-Lymphom diagnostiziert, eine sehr aggressive Krebsform, die in unseren Breitengraden insbesondere die Lymphknoten erfassen kann. Ein halbes Jahr verbrachte der ehemalige Sozialarbeiter aus der Nähe von Lüneburg im Krankenhaus. Das ist eine ungewöhnlich lange Zeit.

    Die Behandlung aber war so erfolgreich, dass die Ärzte zunächst sagen konnten, der Krebs sei zurzeit nicht nachweisbar, erzählt Brennecke daheim am Rand von Lüneburg mit kräftiger Stimme am Telefon. Aber er trage "einen ganzen Sack voll Neben- und Nachwirkungen" mit sich herum. Der Gang, sagt er, sei sehr unsicher, weil die Beine vom Knie ab taub sind. "Auf Asphalt gehen geht noch, auf Kopfsteinpflaster wird es schwierig."

    Von Heilung will Brennecke in dieser Lage nicht reden. Jederzeit könne der Krebs wieder auftreten. Mit seinem Onkologen hat er vereinbart, sich nur zu melden, wenn sich an seinem Befinden etwas ändert. Im März sind bei ihm wieder Metastasen gefunden worden. Noch weiß er nicht, ob es der alte oder ein neuer Krebs ist.

    Warum er eine schmerzlindernde Palliativbehandlung ablehnt

    Hans-Jürgen Brennecke will im Fall der Fälle bestimmen können, wann sein Leben in Würde zu Ende geht – ohne Schmerzen und im vertrauten Umfeld einer Drei-Generationen-Wohngemeinschaft bei Lüneburg. Bereits im Herbst 2017 beantragt er beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, 15 Gramm des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital legal erwerben zu dürfen. Sie sollen einen begleiteten Suizid ermöglichen, bevor die unerträglichen Schmerzen kommen.

    "Das ist das absolut sicherste Mittel", sagt er. Selbstmord auf andere Weise schließt Brennecke aus, weil er niemanden damit belasten will. Und er will auch nicht die Schweizer, die mit Sterbehilfe anders umgehen, mit den Problemen belästigen, "die wir in Deutschland haben".

    Palliativmedizin lehnt Brennecke für sich ebenso ab. "Weil total sediert irgendwo Monate rumzuliegen, ist für mich kein akzeptabler Zustand. Das ist für mich würdelos." Es entspreche nicht dem Artikel 1 des Grundgesetzes. "Am Ende muss man einen Notausgang bekommen", verlangt er.

    Sterbewilligen geschäftsmäßig zu helfen ist strafbar

    Sein Fall ist gerade sehr aktuell, weil das Bundesverfassungsgericht am Dienstag und Mittwoch vollkommen unabhängig davon über das 2015 beschlossene neue Gesetz zur Sterbehilfe (Paragraf 217 StGB) verhandeln wird.

    Im November 2015 hat der Bundestag beschlossen, dass sich strafbar macht, wer Sterbewilligen geschäftsmäßig dabei hilft, sich umzubringen. Es drohen bis zu drei Jahre Haft, nicht nur den Mitarbeitern von Sterbehilfeorganisationen, sondern auch Ärzten. Der Erwerb von Medikamenten, die zum Tod führen, ist ebenfalls verboten. Die Meinungen über das Gesetz gehen über die Parteigrenzen auseinander. Kritiker sagen, es habe eher zur Verunsicherung beigetragen, als eine klare Rechtslage zu schaffen.

    Bundesverfassungsgericht: Zwölf Jahre bis zu einem endgültigen Urteil

    Doch im Frühjahr 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Ende eines bereits zwölf Jahre währenden Verfahrens, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung ausnahmsweise statthaft sei, wenn sich der Betroffene "in einer extremen Notlage" befindet, seine Krankheit also mit "gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist". Die Richter machten auch ausdrücklich zur Voraussetzung, dass sich der Sterbewillige zuvor frei und ernsthaft entschieden haben muss. Und es muss auch klar sein, dass der Tod nicht durch passive Sterbehilfe herbeigeführt werden kann, wie das Abstellen eines Beatmungsgerätes oder das Beenden der künstlichen Ernährung.

    Es ging um den Fall einer querschnittsgelähmten Frau, der das tödliche Betäubungsmittel versagt blieb. Kurz nach dem ablehnenden Bescheid reiste sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in die Schweiz und nahm sich mit Unterstützung eines Sterbehilfevereins das Leben. Der Ehemann gab nicht auf, bis seine Frau vor dem Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich recht bekam.

    Auf dieses Urteil glaubte sich Brennecke ("das ist juristisch eindeutig") berufen zu können, als er seinen Antrag stellte – wie rund 100 andere Sterbewillige auch, deren Antrag bisher nicht beschieden ist. Der ehemalige Sozialarbeiter wartete ein Dreivierteljahr, bis er überhaupt eine Antwort bekam. Und nicht nur er wartet auf die erlösende Post aus Bonn. "Die ersten 25 Antragsteller sind schon gestorben", sagt Brennecke und beklagt die "Zeitschinderei" der Behörden.

    Gesundheitsministerium vertröstete Betroffene

    Sind den Mitarbeitern die Hände gebunden? Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe von der CDU hatte nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schnell klargestellt, dass für ihn das Recht auf Suizid keine juristische, sondern eine "höchst politische Frage" sei. Er legte dem seinem Ministerium unterstellten Bundesinstitut umgehend verbal Fesseln an: "Eine staatliche Behörde darf niemals Helfershelfer einer Selbsttötung sein." Für Krebspatient Brennecke ist das eine politische Meinung. "Und die zählt juristisch nicht."

    Die Anträge blieben dennoch im BfArM liegen. Menschen, die eigentliche keine Zeit mehr haben und auf schnelle Hilfe hoffen, wurden mit dem Hinweis vertröstet, dass man noch Zeit brauche und um Verständnis bitte. Aber Betroffene wollen nicht ausschließen, dass das Institut auf die Situation nicht vorbereitet war und im vorauseilenden Gehorsam nur den Willen eines Ministers umsetzte – und zwar am Urteil eines obersten Gerichts vorbei. Einige klagten gegen das Institut wegen dessen Untätigkeit, auch Brennecke. Ende Mai könnte es ein wegweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts Köln in dieser Angelegenheit geben, sagt er.

    Krebspatient Brennecke: "Ich will einen würdigen Tod sterben"

    Das Bundesverfassungsgericht befasst sich aktuell mit mehreren Beschwerden: Geklagt haben Vereine, die Suizidhilfe anbieten, schwer erkrankte Privatpersonen, die ihr Leben mithilfe eines solchen Vereins beenden möchten, sowie Ärzte in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung. Auch Professor Robert Roßbruch aus Koblenz, der Anwalt von Hans-Jürgen Brennecke und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ist einer der Beschwerdeführer, die im Paragrafen 217 einen Verstoß gegen vom Grundgesetz garantierte elementare Grundrechte sehen.

    In Artikel 2 des Grundgesetzes heißt es unter anderem, jeder habe "das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich." Auch darauf beruft sich Hans-Jürgen Brennecke, wenn er sagt: "Einen ruhigen, würdigen Tod sterben, das will ich."

    Lesen Sie auch den Kommentar: Sterbehilfe: Ist Sterben wirklich Privatsache?

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