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Afghanistan-Konflikt: Was der Sieg der Taliban für die Kräfteverhältnisse in der Region bedeutet

Afghanistan-Konflikt

Was der Sieg der Taliban für die Kräfteverhältnisse in der Region bedeutet

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    Ein Kämpfer der Taliban patrouilliert im Stadtviertel Wazir Akbar Khan.
    Ein Kämpfer der Taliban patrouilliert im Stadtviertel Wazir Akbar Khan. Foto: Rahmat Gul, dpa

    Lücken, das lehrt ein Blick in die Geschichte, bleiben in der Außenpolitik nicht lange offen. Das Vakuum, das die einen hinterlassen, wird von anderen Mächten, anderen Interessen gefüllt. So wird das auch im Fall von Afghanistan sein: Während der Westen vor der Schmach eines 20 Jahre währenden und desaströs endenden Einsatzes am Hindukusch steht, machen sich vor allem die Länder in der Region bereit, ihre Vorstellungen von einer Zusammenarbeit mit Afghanistan und den Taliban in konkrete Formen zu gießen. Ein Verschieben der Kräfteverhältnisse hat begonnen, dem Europa und die USA – wie schon im Krieg um Syrien – wohl nur noch tatenlos zusehen können.

    • China: Mit Häme verfolgt vor allem Peking das Scheitern seines Erzfeindes Amerika in Afghanistan. China teilt nur eine knapp 80 Kilometer lange Grenze mit seinem Nachbarn, die noch dazu schwer passierbar ist. Doch das Land hat sowohl wirtschaftliche als auch politische Interessen zu verteidigen. Da ist zum einen das chinesische Prestige-Projekt der „Neuen Seidenstraße“, ein internationales Wirtschaftsgeflecht mit gemeinsamen Märkten. Afghanistan hat Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Gas zu liefern. Doch was noch wichtiger ist: Der Warenverkehr braucht Sicherheit. Peking will also vor allem verhindern, dass Afghanistan muslimische Gruppen aus China unterstützt. Dazu sind sie bereit, weitgehend mit den Taliban zu kooperieren. Ein Treffen des chinesischen Außenministers mit der Taliban-Führung in Doha schon vor einigen Wochen hat dazu die Grundlage gelegt – für die Islamisten bedeutete das eine politische Aufwertung, die sie anstreben. Als eines der ersten Länder hatte China erklärt, „zu freundlichen Beziehungen mit den Taliban bereit“ zu sein. Die Taliban wollen keine einsamen Kämpfer mehr sein, sondern eine Regionalmacht. Den Gefallen dürfte China ihnen tun. Anders als der Westen will China keinen Einfluss auf die innere afghanische Politik nehmen. Ob sich die Taliban an Menschenrechte halten oder Frauen unterdrücken, ist der Führung in Peking egal – das hat sie auch bei ihrem Engagement in Afrika immer wieder gezeigt. Wie dort könnte China auch in Afghanistan große Infrastruktur- und Bauprojekte bauen lassen und damit Geld verdienen.
    Wang Yi, Außenminister von China, und Mullah Abdul Ghani Baradar, afghanischer Führer der Taliban, während eines Treffens Ende Juli.
    Wang Yi, Außenminister von China, und Mullah Abdul Ghani Baradar, afghanischer Führer der Taliban, während eines Treffens Ende Juli. Foto: Li Ran, dpa
    • Russland: Moskau hat düstere Erinnerungen an die Taliban – in den 80er Jahren kämpfte Russland selbst am Hindukusch und erlebte eine bittere Niederlage. Entsprechend abwartend reagiert man auf die aktuellen Entwicklungen in Kabul. Und doch hat Wladimir Putin die Entwicklung genau im Blick: Er weitet seit langem seinen Einfluss in der Region aus, will nun verhindern, dass sich die Amerikaner an anderen Stützpunkten um Afghanistan positionieren. Vor allem in den umliegenden früheren Sowjetrepubliken greift Russland ein; dort kommen derzeit viele afghanische Flüchtlinge an. Erst kürzlich hielt Russland in Tadschikistan eine Militärübung ab und zeigte damit Muskeln. Die Taliban beäugt der Kreml kritisch; sie sind als Terror-organisation eingestuft; ein Afghanistan, das wieder dem Terror anheimfällt, soll mit allen Mitteln verhindert werden – auch, weil sich dadurch die „eigenen“ Terroristen in Russland bestärkt fühlen könnten. Auch deshalb verhandelt Russland mit der politischen Führung der Gruppe. Wie im Fall Chinas gilt auch hier: Vor allem die krachende Niederlage der Amerikaner gibt den Russen Auftrieb; die eigenen Misserfolge hat man offenbar vergessen.
    Osama bin Laden hielt sich bis zu seinem Tod in Pakistan versteckt.
    Osama bin Laden hielt sich bis zu seinem Tod in Pakistan versteckt. Foto: Shawn Thew, dpa
    • Iran: Zwar könnte auch für den Iran das Motto gelten: Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde, doch so sehr sich Teheran auch über die amerikanische Niederlage freuen dürfte – der Blick nach Afghanistan ist nicht ungetrübt. Die Taliban gelten als islamistische Sunniten, der Iran wird von Schiiten regiert: Allein diese religiöse Trennlinie ist markant genug, um eine Zusammenarbeit zu behindern. Der Iran hatte auf eine gesamtafghanische Regierung gehofft (wie der Westen auch), doch das bleibt Wunschdenken. Sorge macht außerdem, ob sich die Zahl der afghanischen Flüchtlinge wieder erhöhen könnte. Der Iran ist das Land, das seit vielen Jahren, ja, Jahrzehnten Flüchtlinge aus seiner Nachbarschaft aufnimmt. Viele junge Afghanen haben ihr eigentliches Heimatland nie gesehen.

    Pakistan gilt als Schutzmacht der Taliban

    • Pakistan: Pakistan galt lange als Finanzier des Terrors, beherbergte Al-Kaida-Chef Osama bin Laden, der der Auslöser für den amerikanischen Einmarsch in Afghanistan war. Auch die Taliban wurden massiv von Pakistan unterstützt. Entsprechend gut ist das Verhältnis zur wohl künftigen politischen Führung in Afghanistan, man sieht sich als Schutzmacht. Sorge bereitet Pakistan hingegen die Situation der Flüchtlinge. In der gesamten Region ist der Wille, noch mehr Menschen aufzunehmen, äußerst gering. Europa versucht deshalb, mit finanziellen Zusagen Zugeständnisse zu erkaufen. Die Frage ist, ob Europa am Ende sogar zu einem Deal nach türkischem Vorbild bereit sein könnte – und die Regierung von Islamabad damit massiv aufwerten würde.
    • Indien: Indien ist eines der Länder in der Region, das durch den Aufstieg der Taliban an politischem Einfluss verlieren könnte. Das liegt unter anderem daran, dass sich China Macht in Afghanistan sichern dürfte – und Indiens Beziehungen zu Peking angespannt sind. Auch Pakistan ist ein Erzrivale von Indien – dessen Einfluss steigt durch den Aufstieg der Taliban. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich die islamistisch-terroristische Gefahr in der muslimischen Region Kaschmir erhöht. Das Misstrauen gegenüber der neuen Lage ist also massiv.

    Erdogan gerät wegen der Flüchtlinge unter Druck

    • Türkei: In der Türkei nutzt die Opposition das Thema Afghanistan, um Stimmung gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan zu machen – der sei bereit, noch weitere Flüchtlinge aufzunehmen, streuen sie. Entsprechend hart ist auch der Kurs Erdogans. Gegenüber der EU stellte er unmissverständlich klar, dass die Türkei nicht das Flüchtlingslager der Europäer sei. Gut möglich, dass er damit auch den eigenen Preis für den EU-Türkei-Deal nach oben treiben will. Doch tatsächlich kann es sich Erdogan nicht leisten, innenpolitische Angriffe abwehren zu müssen. Er strebt daher Gespräche mit den Taliban an, es seien Glaubensbrüder, man heiße sie willkommen. Sie sind seine Garantie, dass die Grenzen dicht bleiben. Erdogan hat erklärt, die Führung der Taliban zu Gesprächen in die Türkei einzuladen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte bereits, die bisherigen Signale der Taliban seien positiv.
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