Nach der Machtübernahme der Taliban steht Afghanistan vor einer düsteren Zukunft. Der zwei Jahrzehnte währende westliche Einsatz ist gescheitert. Nun lautet der Tenor vieler Kommentare: Das Engagement in den vergangenen Jahren habe nichts gebracht. Entwicklungshelfer wollen das so nicht stehen lassen. So hat sich etwa nach Angaben des Entwicklungsministeriums die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen können, verzwölffacht - auf mehr als zwölf Millionen Kinder. Davon profitierten vor allem auch Mädchen. Die Lebenserwartung im Land ist demnach seit 2002 um neun Jahre gestiegen, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich vervierfacht.
Trotz Erfolgen in der Entwicklung Afghanistans: Frauen und Mädchen droht nun wieder Unterdrückung
Gerade für die Mädchen und Frauen in Afghanistan seien in den vergangenen beiden Jahrzehnten viele Verbesserungen erreicht worden. Durch den blitzartigen Siegeszug der Taliban nach dem Abzug der Einsatzkräfte der USA und ihrer Verbündeten droht ihnen nun brutale Unterdrückung.
Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes betrieb in Afghanistan bis zuletzt etwa Ausbildungsprojekte für Frauen. Durch den blitzartigen Siegeszug der radikal-islamistischen Taliban, die ein vormodernes Geschlechterbild vertreten und für Mädchen wird die Arbeit nun schwierig, wenn nicht unmöglich. Jegliche menschenrechtliche Ansätze, die das Land in den vergangenen Jahren eingeführt habe, würden nun zerstört, sagte eine Sprecherin von Terre des Femmes unserer Redaktion. Afghanische Aktivistinnen, die sich für die Rechte von Frauen eingesetzt haben, schwebten nun in Todesgefahr. Insbesondere Frauenrechtlerinnen, die sich für Freiheit und Gleichberechtigung aller Afghaninnen eingesetzt haben, müssten nun von der Bundesregierung in Sicherheit gebracht werden, forderte sie.
Afghanistan erhielt am meisten deutsche Entwicklungshilfe - Unterstützung ist nun eingefroren
Afghanistan gehörte zuletzt zu den Ländern, die am meisten deutsche Entwicklungshilfe erhielten. Für das laufende Jahr wären rund 170 Millionen Euro vorgesehen gewesen. Wegen der völlig instabilen Lage aber hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die deutsche Unterstützung am Dienstag eingefroren. Zuvor hatte etwa die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Trinkwasserbrunnen gebohrt, Schulen gebaut, manche speziell für Mädchen, oder Krankenstationen errichtet.
Die deutsch-afghanischen Beziehungen haben keineswegs erst mit dem Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ab 2002 begonnen, sondern reichen weit zurück. Das Kaiserreich Deutschland schickte während des Ersten Weltkriegs Abgesandte ins damalige britische Protektorat Afghanistan. Sie sollten einen Aufstand anzetteln, um den Gegner Großbritannien zu schwächen. Der Plan misslang, doch ein Kontakt war hergestellt, der Macht- und Systemwechsel ebenso wie Unterbrechungen durch Kriege und Konflikte überdauerte.
Zahlreiche spätere afghanische Politiker lernten an der 1924 mit deutscher Unterstützung gegründeten Amani-Oberrealschule in Kabul. Afghanische Polizeioffiziere wurden sowohl von der Bundesrepublik, als auch der DDR ausgebildet. Seit die erste Herrschaft der Taliban durch den US-geführten Einsatz, Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001, beendet wurde, engagierte sich die Bundesrepublik nicht nur militärisch. Afghanistan wurde zu einem der größten Empfänger deutscher Entwicklungshilfe.
Bundeswehr-Soldaten als Entwicklungshelfer: Deutschland engagierte sich nicht nur militärisch
Soldaten traten zunächst eher auf wie Entwicklungshelfer, bauten Brücken und bohrten Brunnen. Im Umfeld der Bundeswehr-Feldlager war zeitweise von einem wirtschaftlichen Aufschwung die Rede. Speziell im Norden, wo die Taliban verhältnismäßig wenig Rückhalt in der Bevölkerung genossen, florierte der Handel, öffneten Internetcafes und Schnellrestaurants, entstanden Handynetze. Bundeswehrsoldaten spielten Fußball mit der Dorfjugend, was später wegen der sich stetig verschärfenden Sicherheitslage undenkbar wurde. Während der nun zu Ende gegangenen Ausbildungsmission für die afghanische Armee, die nun vor den Taliban floh, waren die deutschen Soldaten vor allem damit beschäftigt, sich selbst vor Anschlägen zu schützen.
Auch für die Hilfsorganisationen verschlechterte sich die Lage immer mehr. Trotzdem harrten viele bis zuletzt aus. Ekin Deligöz, Bundestagsabgeordnete der Grünen, ist Mitglied des Komitees bei Unicef Deutschland. Unserer Redaktion sagte sie. „Als Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen sind wir bereits seit 65 Jahren in Afghanistan aktiv, haben Notfall- und Geburtskliniken aufgebaut, die Trinkwasserversorgung verbessert.“ Unicef habe nicht vor, das Land zu verlassen, sondern wolle weiter in allen Regionen des Landes für die Kinder da sein. Im Moment aber gehe die Sicherheit vor. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden die Hilfe vorübergehend vom nahen Kasachstan aus koordinieren. Die vielen einheimischen Unicef-Kräfte dürften nun vom Westen nicht im Stich gelassen werden. „Wir können jetzt nicht aufgeben, müssen gerade Mädchen und Frauen weiter eine Perspektive geben“, sagte sie.