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Afghanistan: Hat der BND versagt? Geheimdienst steht jetzt selbst unter Beobachtung

Afghanistan

Hat der BND versagt? Geheimdienst steht jetzt selbst unter Beobachtung

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    Der BND mit seinen rund 6500 Mitarbeitern informiert die Bundesregierung über Entwicklungen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung. In Sachen Afghanistan steht er in der Kritik.
    Der BND mit seinen rund 6500 Mitarbeitern informiert die Bundesregierung über Entwicklungen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung. In Sachen Afghanistan steht er in der Kritik. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Die Maximalforderung bei der Aufarbeitung des Afghanistan-Desasters erhob Gregor Gysi. Die gesamte Regierung müsse zurücktreten, erklärte der Linken-Politiker. Sein Parteifreund André Hahn wies das prompt zurück. Die Regierung wäre nach einem Rücktritt weiterhin geschäftsführend im Amt, es würde sich also an der momentanen Lage nichts ändern, widersprach er. Das Geplänkel zwischen den Linken-Abgeordneten war vergleichsweise harmlos, es zeigt indes, wie die Lage im politischen Berlin wenige Tage nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul ist: Es herrscht ein heilloses Durcheinander. Inmitten des politischen Chaos verfestigte sich nur eines, nämlich die Einschätzung, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) daran einen Großteil der Verantwortung trägt.

    BND schätzte Lage in Afghanistan wohl falsch ein

    Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) trat am Donnerstagmorgen in Berlin zusammen, um die Rolle des Auslandsgeheimdienstes genau zu beleuchten. Die neunköpfige Runde überwacht die drei deutschen Geheimdienste - den BND sowie den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – und tagt geheim. Nach Informationen unserer Redaktion bestätigte sich, dass der BND die Lage in Kabul falsch eingeschätzt hatte. Eine Agentin erklärte demnach noch am vergangenen Freitag, vor dem 11. September sei eine feindliche Übernahme Kabuls durch die Taliban eher unwahrscheinlich. Die Taliban, so der BND weiter, hätten kein Interesse an einem Kampf mit den US-Kräften. Sie könnten die afghanische Hauptstadt schließlich in wenigen Wochen übernehmen, ohne auch nur einen Schuss abzugeben. Ein fatale Fehleinschätzung, wie sich schon bald erwies.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident des BND, Bruno Kahl, stehen bei der offiziellen Eröffnung vor der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Der Dienst hat viel Platz und viele Beschäftigte.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident des BND, Bruno Kahl, stehen bei der offiziellen Eröffnung vor der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Der Dienst hat viel Platz und viele Beschäftigte. Foto: Michael Sohn, AP/dpa

    Begünstigt wurde das überraschend schnelle Vorrücken der radikalislamistischen Kämpfer den Informationen zufolge durch die US-Amerikaner, die vom 14. auf den 15. August ihre Botschaft, die sogenannte grüne Zone, räumten. Dies sei für die reguläre afghanische Armee das Signal zur Aufgabe gewesen. In deutschen Sicherheitskreisen wurde zur Verteidigung des BND aber auch darauf hingewiesen, dass andere Geheimdienste zu ähnlichen Einschätzungen gekommen seien wie der BND. „Dass Kabul so schnell fallen würde, hatte keiner auf dem Schirm. Das war nicht nur beim BND so, sondern auch bei den Geheimdiensten anderer Länder“, sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae, der auch dem PKGr angehört. Aus den USA war indes zu hören, dass die amerikanischen Geheimdienste bereits im Juli vor einem raschen Zusammenbruch des afghanischen Militärs und einem wachsenden Risiko für die Hauptstadt Kabul gewarnt haben - dies im Weißen Haus aber nicht gehört wurde.

    Das Parlamentarische Kontrollgremium tagt nächste Woche erneut

    Ähnliche Vorwürfe gibt es auch für Deutschland. Der Vize-Vorsitzende des PKGr, Konstantin von Notz (Grüne), sagte: „Mein Eindruck war, dass die Dienste geliefert haben und wir ein Problem haben bei der Bewertung und der Gesamtbilderstellung aufseiten der Bundesregierung.“ Die

    Markus Söder kritisiert Afghanistan-Politik der Bundesregierung

    Eine Kritik, die so ähnlich auch CSU-Chef Markus Söder äußerte. Insgesamt gebe die Bundesregierung „kein starkes Bild in dieser Situation ab", sagte der bayerische Ministerpräsident in München. Söder warnte davor, den Streit über Versäumnisse und Fehler der Geheimdienste zum Wahlkampfthema zu machen. Er beobachte bereits jetzt, dass es zwischen Ministerien und Geheimdienstorganisationen Versuche gegenseitiger Schuldzuweisungen gebe. „Wir halten davon nichts. Wir glauben nicht, dass das eine besonders souveräne Außenwirkung ergibt, wenn die deutsche Bundesregierung an der Stelle den Eindruck vermittelt, dass über Zuständigkeitsfragen im Nachhinein diskutiert wird“, sagte Söder.

    Auch von Rücktrittsforderungen halte er nichts, sagte der CSU-Chef. Es sei ohnehin davon auszugehen, dass ein Großteil der verantwortlichen Personen nach der Wahl nicht mehr im Amt sei. Mit Blick auf Heiko Maas (SPD) fügte er hinzu, das gelte „insbesondere, was den Außenminister betrifft“. Um die Vorgänge aufzuklären, sprach Söder sich dafür aus, nach der Bundestagswahl ein Enquete-Kommission einzusetzen. Außerdem müsse man sich grundlegend Gedanken machen, wie man wieder zu einer realistischeren Außenpolitik komme. Es gehe darum, die „richtige Balance zwischen Werten und Interessen“ zu finden.

    In Kabul herrscht weiterhin Chaos

    Rund um den Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul herrschte unterdessen weiter Chaos. Bundeswehrgeneral Jens Arlt sprach von "dramatischen Szenen". Einheimische Helfer deutscher Organisationen berichteten von verstopften und teils unpassierbaren Straßen. US-Soldaten ließen sie bei den Eingängen nicht vor, sagten zwei Ortskräfte. CNN-Journalistin Clarissa Ward, die als eine von wenigen ausländischen Journalisten noch vor Ort ist, sprach von einem "Tornado des Wahnsinns". Ihr zufolge warfen Menschen Babys über den Zaun, um sie in Sicherheit zu bringen. Die Taliban seien mit Peitschen und Waffen unterwegs, um die Menschen zurückzuhalten.

    Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer patrouillieren zur Feier ihrer Machtübernahme durch Kabul.
    Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer patrouillieren zur Feier ihrer Machtübernahme durch Kabul. Foto: Rahmat Gul, dpa

    "Es ist sehr, sehr turbulent alles", sagte Arlt, der den deutschen Evakuierungseinsatz vor Ort führt, in einer Online-Pressekonferenz des Verteidigungsministeriums, an der er telefonisch teilnahm. "Sie werden vielleicht den einen oder anderen Schuss im Hintergrund hören. Sie sehen die verzweifelten Augen der Afghanen und auch der Staatsbürger unterschiedlicher Nationen, die einfach versuchen, in den inneren Bereich des Kabul International Airports zu gelangen, das ist schon dramatisch, was wir sehen." Arlt sagte, "unterschiedliche Vertreter" der deutschen Seite versuchten, in den Außenbereichen "unsere Leute" zu finden.

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