Volle Kraft voraus – in die entgegengesetzte Richtung. Nach diesem Motto verfährt Donald Trump auch im Afghanistan-Konflikt. Im Wahlkampf hatte der US-Präsident versprochen, dass sich sein Land aus internationalen Konflikten wie in Afghanistan zurückziehen werde. In seiner Ansprache in der Nacht auf Dienstag klang das ganz anders. So fasste Trump seine Ziele zusammen: „Wir werden nicht wieder Staatsaufbau betreiben – wir werden Terroristen töten“, kündigte er an. „Vergeltung wird schnell sein und machtvoll.“
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützt Trumps neue Afghanistan-Strategie. Er verwies darauf, dass sich in den vergangenen Wochen bereits mehr als 15 Länder dazu bereit erklärt hätten, die Zahl ihrer Truppen für den Afghanistan-Einsatz der Nato noch einmal aufzustocken. Deutschland, mit gut 900 Soldaten präsent, will sich daran bislang nicht beteiligen. Dennoch war auch in Berlin die Erleichterung spürbar: „Die Bundesregierung begrüßt die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, sich weiterhin langfristig in Afghanistan zu engagieren“, sagte eine Regierungssprecherin.
Trump vermied es bei seinem TV-Auftritt, zu sagen, wie konkret die Verstärkung der Truppe aussehen wird. US-Medien meldeten, dass das Kontingent um 4000 Soldaten aufgestockt werden solle.
Deutsche in Afghanistan
Nur wenige Deutsche leben in Afghanistan. Abgesehen von Bundeswehr und Polizei liegt die Zahl im unteren dreistelligen Bereich.
Viele werden im Rahmen von Entwicklungs- und Aufbauhilfe in das Krisenland geschickt. Eine Auswahl:
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sind rund 100 Deutsche in der nun massiv beschädigten Botschaft in Kabul und im Generalkonsulat im nordafghanischen Masar-i-Scharif beschäftigt.
Bundeswehr: Seit Ende des Nato-Einsatzes ist die Bundeswehr zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Streitkräfte im Land. Das aktuelle Mandat erlaubt den Einsatz von bis zu 980 Soldaten. In Kabul bilden sie Sicherheitskräfte aus, die Kontingent-Basis ist in Masar-i-Scharif.
Polizei: Daneben beraten auch deutsche Polizeikräfte ihre afghanischen Partner. Für das bilaterale Polizeiprojekt GPPT waren 2016 übers Jahr gesehen rund 100 Beamte aus Bund und Ländern vor Ort.
Organisationen: Rund 100 Deutsche sind derzeit nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Entwicklungsbank KfW und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Afghanistan tätig.
Neben den staatlichen Helfern sind auch zahlreiche Vereine und Nichtregierungsorganisationen wie etwa die Welthungerhilfe vor Ort, großteils allerdings mit lokalen Mitarbeitern.
Unternehmen: Nach Angaben der Außenwirtschaftsgesellschaft GTAI und der Deutsch-Afghanischen Gesellschaft senden nur wenige Unternehmen deutsche Angestellte nach Afghanistan. Genaue Erhebungen gibt es nicht.
Trumps Afghanistan-Kehrtwende: Keine zeitlichen Vorgaben
Wie ist Trumps Meinungsumschwung zu erklären? „Die Generäle in seinem Umfeld haben ihm offenbar klargemacht, dass er bei einem kompletten Abzug als Verlierer dastehen würde. Und das wäre für Trump, für den generell nur Siege infrage kommen, das Allerschlimmste“, sagte der Afghanistan-Experte Reinhard Erös unserer Redaktion. „Wenn, dann hätte Trump den Rückzug unmittelbar nach seinem Amtsantritt einleiten müssen. Dann hätte er seinen Vorgänger Obama für das Desaster verantwortlich machen können. Trump ist sieben Monate im Amt – jetzt geht das nicht mehr.“
Trumps Wortwahl war gewohnt martialisch. „Unsere Feinde angreifen, den IS auslöschen, Al-Kaida zerquetschen, die Taliban davon abhalten, Afghanistan zu übernehmen und Terroranschläge gegen Amerika verhindern, bevor sie geschehen.“ Gleichzeitig mochte Trump aber nicht ausschließen, dass es eines Tages eine „politische Lösung mit einigen Elementen der Taliban“ geben könne. Für den Einsatz will Trump keine zeitlichen Vorgaben setzen. „Die Umstände – nicht willkürliche Zeitpläne – werden unsere Strategie in Zukunft leiten.“
Erös, dessen Kinderhilfe in Afghanistan Schulen, Kindergärten und eine Universität errichtet hat, warnt davor zu glauben, dass die US-Truppen den Krieg militärisch gewinnen könnten: „Die Vorstellung, dass die letzten Taliban eines Tages ihre Waffen bei der US-Botschaft in Kabul abgeben, ist abstrus.“ Dies habe schon zur Hochzeit des amerikanischen Engagements nicht funktioniert, als über 110.000 US-Soldaten dort stationiert waren. Zum Vergleich: Heute sind es 8400.
Trumps Vorgänger Barack Obama hatte das Ende des offiziellen Kampfeinsatzes und den Abzug eines großen Teiles der Truppen über 15 Jahre nach Beginn des Einsatzes für Dezember 2014 terminiert und dann auch umgesetzt. Heute sind die Taliban auf dem Vormarsch. Experten schätzen, dass sie elf Prozent des Landes kontrollieren und um die Eroberung von rund 30 Prozent kämpfen. Entsprechend groß ist ihr Selbstbewusstsein. Ein Sprecher kündigte als Reaktion auf den Auftritt Trumps einen „Heiligen Krieg bis zum letzten Atemzug“ an. (Alle Neuigkeiten zu Trump finden Sie in unserem News-Blog)
Wie kann die afghanische Armee schlagkräftiger werden?
Der Präsident vergaß auch nicht, Pakistan zu drohen, das als Rückzugsgebiet der Taliban gilt. Wie er die Regierung in Islamabad konkret dazu bringen will, hart gegen die Milizen vorzugehen, sagte er nicht.
Reinhard Erös ist sich sicher, dass ein Ende des US-Einsatzes dazu geführt hätte, dass Afghanistan „implodiert“ wäre. Der frühere Offizier der Bundeswehr glaubt aber, „dass es möglich ist, eine schlagkräftige afghanische Armee zu schaffen“. Hierzu habe man 15 Jahre Zeit gehabt. Diese Gelegenheit sei aber nicht genutzt worden. Die Kräfte für die Armee, insbesondere für Spezialkräfte und eine nicht korrupte Polizei müssten weit besser ausgewählt und ausgebildet werden. Am wichtigsten aber sei eine sehr gute Besoldung. Die Männer müssten zwischen 500 und 700 Euro im Monat erhalten, statt – wie bisher – 200 Euro. Auch eine bessere soziale Absicherung sei notwendig
„Wer sagt, dass das zu teuer ist, der vergisst, dass der Westen in den letzten 15 Jahren dort über 1000 Milliarden Dollar investiert hat.“ Auch die Bundeswehr solle mehr Ausbilder schicken. Klar sei, dass eine weitere Verschlechterung der Lage in Afghanistan die Zahl der Flüchtlinge unweigerlich in die Höhe treiben würde. mit dpa