Amir Khan Muttaki ist ein viel beschäftigter Mann. Der Außenminister der Taliban-Regierung in Afghanistan und seine Kollegen haben in den vergangenen Wochen mit Politikern aus Europa, Amerika, Russland, China und dem Nahen Osten konferiert.
Mitte August schockten die radikal-islamischen Taliban die Welt, als sie die gewählte Regierung Afghanistans vertrieben und die Macht in Kabul übernahmen. Seitdem hat die Miliz die Frauenrechte eingeschränkt, politische Gegner hinrichten lassen und Musik verboten. Dennoch finden Muttaki und andere hochrangige Mitglieder der Islamisten genug Gesprächspartner. Nun will die Uno über eine offizielle Anerkennung der Taliban als Vertreter Afghanistans entscheiden.
Zur Rettung von Ortskräften und um Fluchtbewegungen zu verhindern: Der Westen braucht die Taliban
Dass sich für Muttaki so viele Türen öffnen, liegt vor allem daran, dass Staaten und internationale Organisationen die Mitarbeit der Taliban brauchen. Das gilt nicht nur, wenn sie die eigenen Staatsbürger oder Ortskräfte aus Afghanistan herausholen wollen. Auch bei Bemühungen, eine Fluchtwelle von Afghanen in den Westen zu verhindern, werden die Taliban gebraucht. Außerdem wollen die internationalen Mächte mit den Kontakten ihren Einfluss in Afghanistan sichern. Nach dem Abzug der westlichen Truppen aus dem Land bemühen sich besonders China, Russland, der Iran, Katar, Pakistan und die Türkei darum, sich in Afghanistan ins Spiel zu bringen.
Kaum ein Staat ist so erpicht auf eine Zusammenarbeit mit den Islamisten wie das Emirat Katar, das Gastgeber einer Taliban-Auslandsvertretung ist und kürzlich seinen Außenminister Mohammed bin Abdurrahman al-Thani zu einem offiziellen Besuch nach Kabul schickte. Die Taliban einfach zu ignorieren, könne keine Antwort sein, sagte der Minister. Die formelle Anerkennung der Taliban habe zwar keine Priorität, sekundierte der katarische Afghanistan-Beauftragte Mutlak al-Kahtani. Doch über humanitäre Hilfe, die Öffnung des Bildungswesens für Frauen und Mädchen und Ausreisemöglichkeiten für Menschen, die nach der Machtübernahme der Taliban festsäßen, müsse gesprochen werden.
Experte: Für humanitäre Hilfen muss man die Taliban nicht anerkennen
Einige Experten stimmen zu. Debatten über eine Anerkennung der Taliban seien müßig, sagt Michael Kugelman von der US-Denkfabrik Wilson Center. „Wichtig ist vor allem, humanitäre Hilfe nach Afghanistan zu bringen“, schrieb er auf Twitter. „Dazu muss man die Taliban nicht anerkennen – aber man muss sich mit ihnen zusammensetzen.“ Während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 wurde ihre Regierung nur von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt.
Diesmal strebt die islamistische Miliz nach mehr, auch wenn bisher noch kein einziges Land ihrer Forderung nach Anerkennung gefolgt ist. Ein UN-Ausschuss aus neun Ländern – darunter die Großmächte USA, Russland und China – will noch diesen Monat entscheiden, ob die Taliban von der Weltgemeinschaft anerkannt werden sollen. Bei ihrer Forderung nach Anerkennung geht es den Taliban nicht nur um den UN-Sitz und die Aufnahme in die internationale Staatengemeinschaft – es geht ihnen auch ums Geld. Die USA haben zehn Milliarden Dollar an afghanischen Staatsguthaben eingefroren. Vorerst kommen die Taliban nicht an dieses Vermögen heran.
Die USA stehen im direkten Kontakt zu den Taliban
Trotz der Differenzen sind die Taliban und die USA in direktem Kontakt miteinander. Zuletzt kam eine US-Delegation im Oktober in Katars Hauptstadt Doha mit einer Abordnung der Miliz unter Muttakis Leitung zu zweitägigen Gesprächen zusammen. Dabei ging es nach US-Angaben um die Ausreise amerikanischer Staatsbürger und Partner aus Afghanistan und die humanitäre Hilfe für Not leidende Menschen in dem Krisenland.
Muttaki traf in Doha auch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Die Bundesregierung schickte ebenfalls eine Delegation nach Doha. Hochrangige Kontakte knüpften die Taliban auch mit China und Russland, deren Außenminister Wang Yi und Sergej Lawrow mit Vertretern der Islamisten zusammenkamen. In Ankara wurde Muttaki vom türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu empfangen. Ob diese Bemühungen für die Taliban bald zur internationalen Anerkennung führen werden, ist nicht sicher. Doch sie machen auch ohne offizielle Titel gute Fortschritte, wie US-Außenminister Antony Blinken bei einer Anhörung im Kongress einräumte. Die Taliban seien „die De-facto-Regierung Afghanistans“, sagte der Minister. „Das ist nun einmal Tatsache.“