Chronologie der Affäre Wulff
25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.
18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.
12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.
13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.
14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.
15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.
19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.
20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.
22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.
2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.
4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.
19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.
16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.
17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.
18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.
29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.
9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.
9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.
9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.
12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.
14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.
9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.
19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.
27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)
Im Streit um die Offenlegung von Medienanfragen an den in der Kritik stehenden Bundespräsidenten Christian Wulff sind erste Zeitungen mit umfangreichen Veröffentlichungen vorgeprescht. Die Springer-Blätter "Die Welt" und "Welt am Sonntag" stellten am Donnerstagabend ihren umfangreichen Fragenkatalog sowie die Antworten von Wulffs Anwälten und der BW-Bank, die Wulff bei seiner umstrittenen Hausfinanzierung half, in das Internet. In einer Erklärung hieß es, die Zeitungen machten von ihrem Recht am eigenen Wort Gebrauch.
Wulff seit einem Monat in der Kritik
Wulff steht wegen eines Privatkredits für sein Eigenheim, kostenloser Urlaube bei Freunden aus der Wirtschaft und seines Umgangs mit den Medien seit einem Monat in der Kritik. Zuletzt konzentrierten sich die Vorwürfe darauf, dass Wulff vor gut einer Woche in seinem Fernsehinterview Transparenz angekündigt und gesagt hatte: "Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger jedes Detail zu diesen Abläufen sehen und bewertet sehen, auch rechtlich."
Wulffs Anwalt Gernot Lehr hatte die Veröffentlichung aller Informationen aber abgelehnt. Eine Offenlegung der Antworten auf die Anfragen von Journalisten verletze deren Recht am eigenen Wort und am Schutz ihrer Rechercheergebnisse oder -ziele, hatte der Jurist argumentiert. Der Kölner Medienrechtsprofessor Rolf Schwartmann teilte in einem dpa-Gespräch diese Auffassung.
Umfangreiche Abhandlung veröffentlicht
Die nun auf "Welt Online" veröffentlichte umfangreiche Abhandlung enthält weitgehend bekannte Angaben über das Zustandekommen von Wulffs Privatkredit bei Edith Geerkens. Wulff hatte 2008, als er noch Ministerpräsident war, bei der befreundeten Unternehmergattin 500.000 Euro geliehen und den Privatkredit später mit Hilfe der BW-Bank abgelöst. Auf die Frage, was der Präsident über die Herkunft des Geldes von Geerkens wisse, antworte Anwalt Lehr der "Welt" zufolge: "Herr Wulff wusste, dass Frau Edith Geerkens vermögend ist."
Viele Fragen und Antworten drehen sich auch um die Ablösung des Privatdarlehens durch "ein rollierendes Geldmarktdarlehen" bei der BW-Bank 2010 zu günstigeren Zinsen sowie die Umwandlung in ein langfristiges Darlehen Ende 2011. Wulffs Anwälte wie auch die Bank widersprachen Vorhaltungen, bei den Finanzgeschäften sei Wulff in den Genuss außergewöhnlicher günstiger Konditionen gekommen. Auch diese Details wurden bereits in Medien erörtert.
SPD verlangt Aufklärung zu Urlaubsreise
Die SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag fordert unterdessen Aufklärung zu einer Urlaubsreise von Wulff in die USA im April 2007, wie die BILD-Zeitung (Freitagausgabe) berichtet. Danach sollen der damalige niedersächsische Ministerpräsident, seine heutige Ehefrau Bettina und deren Sohn während des Fluges von Miami nach Frankfurt ein Upgrade von der Economy-Class in die Business-Class erhalten haben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere Koalitionsspitzen hatten dem Bundespräsidenten in der Kredit- und Medienaffäre am Donnerstag den Rücken gestärkt. Der Druck auf Wulff, alle Details offenzulegen, nahm jedoch weiter zu. Mehrere Zeitungen entbanden Wulffs Anwalt von der Pflicht, ihre Rechercheergebnisse zu schützen - Fragen und Antworten zur Affäre könnten nun von ihm veröffentlicht werden.
Gerhart Baum: Wulff hat vor allem sich selbst geschadet
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) vertritt die Ansicht, dass Wulff vor allem sich selbst beschädigt hat. "Der Staat wankt nicht. Auch die Pressefreiheit ist nicht in Gefahr, das Amt ist nicht beschädigt", sagte Baum am Donnerstagabend in Köln in der neuen Gesprächsreihe "frank und frei" im Studio DuMont.
Wütender Wulff: Wegen diesen Fragen rief er bei "Bild" an
Warum haben Sie dem Landtag verschwiegen, dass eine "geschäftliche Beziehung" zwischen Ihnen und der mit Egon Geerkens in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau Edith durch einen im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag über 500 000 Euro besteht?
Teilen Sie die Auffassung, dass Sie den Landtag in diesem Zusammenhang bewusst getäuscht haben?
Wie haben Sie die 500 000 Euro erhalten? Per Überweisung aus Deutschland, der Schweiz, der USA - oder bar? Oder auf welche andere Weise?
Warum haben Sie den im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag wenige Wochen nach der parlamentarischen Anfrage gekündigt und durch einen Darlehensvertrag mit der BW-Bank abgelöst - obwohl der Darlehensvertrag noch bis November 2013 lief?
Wann und in welcher Form haben Sie das Darlehen zurückgezahlt?
Gab es vor dem Jahr 2000 geschäftliche Beziehungen zwischen Ihnen, dem CDU-Kreisverband Osnabrück, dem CDU-Landesverband Niedersachsen bzw. dem Land Niedersachsen und Herrn Egon Geerkens oder irgendeiner Firma, an der Herr Geerkens und/oder Frau Geerkens als Gesellschafter beteiligt waren?
Während vor allem der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete aus der zweiten Reihe, Karl-Georg Wellmann, dem Präsidenten den Rücktritt nahelegte, stellte sich Fraktionschef Volker Kauder hinter den Bundespräsidenten. Spekulationen über mögliche Nachfolger wies er in den "Kieler Nachrichten" (Freitag) zurück: "Das ist Quatsch, der sich nicht toppen lässt." Kauder sagte: "Der Bundespräsident genießt mein Vertrauen. Es kann keine Rede davon sein, dass die Stimmung in der Fraktion kippt." Wulff habe das Notwendige gesagt. "Das sollte jetzt akzeptiert werden." In den CDU-Landesverbänden stößt das Krisenmanagement Wulffs nach einer dpa-Umfrage jedoch zunehmend auf Unverständnis.
Gabriel: Wulff kann Amt nicht mehr unbefangen ausüben
Nach Ansicht des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel kann Wulff sein Amt nicht mehr unbefangen ausüben. "Christian Wulff wohnt zwar noch im Schloss Bellevue, aber das, was in den letzten 60 Jahren einen Bundespräsidenten ausgemacht hat, repräsentiert er nicht mehr und wird es auch nicht mehr repräsentieren", sagte Gabriel der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Freitag). Die SPD könne den Bundespräsidenten nicht zum Rückzug bewegen oder gar zwingen, das könnten nur die, die ihn ins Amt gebracht hätten. Das seien Kanzlerin Angela Merkel und ihre Koalition aus CDU und FDP.
Laut einer Emnid-Umfrage glaubt die knappe Mehrheit der Bundesbürger, dass die Medien den Bundespräsidenten ungerecht behandeln. Demnach beklagen 53 Prozent der Befragten einen "unfairen" Umgang mit Christian Wulff, 42 Prozent halten die Berichterstattung in der Affäre Wulff demnach für "fair". (dpa)