Es war eine gezielte Provokation und sie hat die Gräben in der AfD tiefer werden lassen: Auf dem Bundesparteitag der Alternative für Deutschland ist Parteichef Jörg Meuthen mit massiver Kritik an der AfD-Fraktion im Bundestag überraschend deutlich in die Offensive gegangen. Meuthen griff vor allem den Fraktions- und Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland an, der sich am Sonntag aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig vom Präsenzparteitag in Kalkar verabschiedete. Meuthens Rede löste heftige Reaktionen aus, ihm wurde die Spaltung der Partei vorgeworfen.
Einer formalen Missbilligung entging er nur knapp. Der Parteichef, sein offizieller Titel ist Bundessprecher, räumte im Fernsehsender Phoenix ein kalkuliertes Vorgehen ein: „Ich wusste natürlich, als ich die Rede geschrieben habe, dass sie widersprüchliche und konträre Reaktionen auslösen wird. Das preist man ein.“
AfD-Chef Jörg Meuthen: "Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer derber, immer enthemmter auftreten."
„Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer derber, immer aggressiver, immer enthemmter auftreten. So geht das nicht." Das war eine der Kernaussagen Meuthens, der damit auf die Störaktionen einging, die kürzlich im Reichstagsgebäude am Rande der Debatte über das Infektionsschutzgesetz für Aufregung sorgten und an denen AfD-Abgeordnete beteiligt waren. Meuthen sprach von „Rumprollerei“ und stellte die rhetorische Frage: „Ist es wirklich klug, von einer Corona-Diktatur zu sprechen?“ Gemeint war Gauland, der diese Worte gebraucht hatte und der seine Wortwahl in Kalkar verteidigte.
Fraglich ist, ob Meuthen die ungeheure Wucht der Kritik an seiner Rede eingepreist hatte. Gut die Hälfte des Parteitags setzte am Sonntag einen Antrag des AfD-Kreisverbands Freiburg durch, mit dem das „spalterische Gebaren“ Meuthens offiziell missbilligt werden sollte. Mehrere Versuche von Meuthen-Getreuen, die Debatte abzuwenden, scheiterten zunächst.
Jörg Meuthen bekam auch Zuspruch und die Gelegenheit, sich zu verteidigen
Der Vorsitzende der AfD Niedersachsen, Stephan Bothe, warf dem Parteichef vor, die AfD „in den Grundfesten erschüttert“ zu haben. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner erklärte, Meuthen habe der Partei „schweren Schaden“ zugefügt. Birgit Bessin von der AfD Brandenburg kritisierte, Meuthens Rede führe zur Spaltung der Partei - in der Presse werde nur darüber berichtet, nicht aber über den eigentlichen Sinn der Veranstaltung.
Meuthen bekam auch Zuspruch und die Gelegenheit, sich zu verteidigen. „Was hier geschieht, ist eine gezielte, ideologisch motivierte Verdrehung meiner Rede von gestern“, sagte er. Er habe sich nicht wie behauptet gegen die Querdenker-Bewegung ausgesprochen. Er habe vielmehr „eine kritische Distanz“ gegen die „nicht-seriösen Personen“ gefordert. Schon gar nicht habe er in irgendeiner Form zur Spaltung aufgerufen. Er habe vielmehr Einheit und Disziplin eingefordert. Am Ende einer rund anderthalbstündigen Debatte wurde der Missbilligungs-Antrag faktisch abgelehnt.
500 Delegierte kamen zum AfD-Bundesparteitag, der bewusst als Präsenzveranstaltung abgehalten wurde
Eigentlich sollte es in Kalkar darum gehen, das sozialpolitische Profil der AfD zu schärfen. Der Parteitag verabschiedete Leitlinien zur Gesundheitspolitik und Vorschlägen zur Stabilisierung des Rentensystems. Fragen dazu wollte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nicht beantworten. Einen Reporter des Fernsehsenders Phoenix ließ sie mitten im Live-Interview stehen
Meuthen lenkte den Blick auf die sinkende Zustimmung für seine Partei. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage für die Fernsehsender RTL und N-TV kommt die AfD mit sieben Prozent auf ihren schlechtesten Wert seit Juli 2017 und liegt jetzt hinter Union, Grünen, SPD und Linke auf Rang fünf, knapp vor der FDP. Bei der letzten Bundestagswahl hatte die AfD 12,6 Prozent geholt. „Wollen wir zurück auf die Erfolgsspur, müssen wir die Frage, warum es nicht weiter aufwärts geht, ehrlich beantworten“, forderte Meuthen.
Am Samstagabend hatte die AfD drei Posten in ihrem Bundesvorstand neu besetzt
Den Angaben zufolge versammelten sich an beiden Tagen rund 500 Delegierte auf dem Parteitag, der bewusst als Präsenzveranstaltung abgehalten wurde, um in der Corona-Pandemie ein Zeichen zu setzen. Die AfD hatte zuvor versucht, die Maskenpflicht juristisch auszuhebeln, scheiterte jedoch damit. Die Delegierten kamen den Auflagen nach, die Hygienevorschriften sorgten allerdings für Verzögerungen bei Einlass.
Am Samstagabend hatte die Partei drei Posten in ihrem Bundesvorstand neu besetzt. Die Delegierten wählten den sächsischen Landtagsabgeordneten Carsten Hütter zum Bundesschatzmeister. Sein Stellvertreter wurde Christian Waldheim aus Schleswig-Holstein. Nach dem Parteiausschluss von Andreas Kalbitz wurde dessen Platz im Bundesvorstand von Joana Cotar nachbesetzt. Damit setzten sich drei AfD-Politiker durch, die als gemäßigt gelten und dem Meuthen-Lager zugerechnet werden.
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