An Tag zwei nach dem Nach Sturz Mursis: Militär nimmt Chef der ägyptischen Muslimbrüder fest ist es in Kairo zu den befürchteten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Mursi-Anhängern gekommen. Laut Augenzeugen wurden mindestens drei Menschen bei einem Schusswechsel vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde getötet. Die Muslimbrüder und weitere islamistische Organisationen hatten zu friedlichen Demonstrationen gegen die Entmachtung Mursis am Mittwoch aufgerufen.
"Möge Gott Mursi zurück an die Macht bringen"
Schon Stunden vor Beginn der Massenproteste sammelten die Islamisten ihre Kräfte gegen den "Militärputsch". "Möge Gott Mursi zurück an die Macht bringen", rief ein Imam tausenden aufgebrachten Gefolgsleuten vor der Moschee Rabaa al-Adawija in Kairo zu. Auch die Gegner des geschassten Staatschefs brachten sich zum "Schutz der Revolution" in Stellung. Die von liberalen und linken Kräften geführte Nationale Heilsfront rief alle Ägypter zur Solidarität auf.
Mehrere tieffliegende Kampfflugzeuge über Kairo und Panzer in den Straßen der Hauptstadt sorgten zusätzlich für eine gespannte Atmosphäre, auch wenn das Militär in einer nachts veröffentlichten Erklärung zur nationalen Einheit und Versöhnung aufgerufen hatte. Die Ägypter sollten auf Racheakte verzichten, hieß es darin.
Der prominente Oppositionspolitiker Mohammed ElBaradei bezeichnete die Intervention des Militärs im britischen BBC-Rundfunk als "schmerzhafte Maßnahme", die aber "zur Vermeidung eines Bürgerkriegs" notwendig gewesen sei. Die Armee wolle das Land nicht führen und werde "binnen einer Woche" die Bildung einer zivilen Regierung ermöglichen, versprach er.
Afrikanische Union kündigt Ägyptens Mitgliedschaft
Die arabische Welt im Umbruch
Seit Ende 2010 befinden sich große Teile der arabischen Welt in schweren Turbulenzen: In Ägypten wurden mittlerweile zwei Präsidenten gestürzt, Syrien schlitterte in einen blutigen Bürgerkrieg, und sowohl Tunesien als auch Libyen durchlaufen nach gewaltsamen Revolutionen schwierige Übergangsphasen.
ÄGYPTEN: Der erste demokratisch gewählte Präsident des 80-Millionen-Einwohner-Landes, Mohammed Mursi, wurde an diesem Mittwoch nach nur einem Jahr im Amt vom Militär gestürzt. Zuvor hatte es tagelange Proteste mit dutzenden Todesopfern gegeben, wie sie in ähnlicher Weise im Februar 2011 schon Mursis Vorgänger Husni Mubarak zur Aufgabe zwangen. Während Mubarak seine Macht formal aus eigenen Stücken an das Militär abtrat, ergriffen die Streitkräfte diesmal selbst die Initiative: Sie drängten Mursi aus dem Amt, indem sie Verfassungsrichter Adli Mansur zum Übergangspräsidenten ernannten und damit vorgezogene Neuwahlen einleiteten. Mansur wurde am Donnerstag als neuer Staatschef vereidigt, gleichzeitig verhafteten die Sicherheitskräfte mehrere Anführer von Mursis regierenden Muslimbrüdern, die die wirtschaftlichen Probleme des Landes zum Ärger der Bevölkerung nicht lösen konnten.
TUNESIEN: Hier nahm die als «Arabischer Frühling» zusammengefasste Protestwelle ihren Anfang, die etliche Länder Nordafrikas und im Nahen Osten erfasste. Der 23 Jahre lang regierende Präsident Zine El Abidine Ben Ali floh am 14. Januar 2011 außer Landes, nachdem die Selbstverbrennung eines verzweifelten Mannes den Volkszorn über wirtschaftliche Probleme entfesselte. Monate später spülten die Wahlen zur Nationalversammlung die moderate Islamisten-Partei Ennahda an die Regierungsmacht, das Parlament wählte Ben Alis Erzrivalen Moncef Marzouki zum Präsidenten. Wegen Streitigkeiten zwischen den Abgeordneten ist bis heute keine neue Verfassung verabschiedet. Neben wiederkehrenden politischen Krisen leidet das Land weiter an sozialen Unruhen und dem Machtzuwachs radikaler Islamistengruppen.
SYRIEN: Seit 13 Jahren ist in Damaskus Präsident Baschar al-Assad an der Macht, der die Staatsführung seinerseits schon vom Vater übernommen hatte. Im März 2011 aufkeimende Proteste gegen den Autokraten wuchsen sich zu einem brutalen Bürgerkrieg aus, der Aktivisten zufolge inzwischen mehr als 100.000 Menschen das Leben gekostet hat. Nach zwischenzeitlichen Erfolgen verloren die Rebellen in den vergangenen Wochen Boden gegenüber Assads Regierungstruppen und der verbündeten Hisbollah-Miliz aus dem benachbarten Libanon. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht von knapp sechs Millionen Flüchtlingen im In- und Ausland aus, die ihre syrische Heimat infolge des Bürgerkriegs verlassen mussten und damit auch die zwischenstaatlichen Beziehungen in Nahost belasten.
LIBYEN: Im Oktober 2011 wurde der seit Jahrzehnten regierende Machthaber Muammar al-Gaddafi getötet, gegen den Aufständische mithilfe der Luftunterstützung durch NATO-Flugzeuge einen blutigen Feldzug geführt hatten. Seitdem bemühen sich Libyens neue Übergangsbehörden um den Aufbau eines Militär- und Sicherheitsapparats, der eigenständig Recht und Ordnung wiederherstellen und den Staat vor Attacken bewaffneter Milizen schützen soll. In den vergangenen Monaten sind sowohl die Sicherheitskräfte als auch Einrichtungen westlicher Staaten immer wieder zur Zielscheibe von Angriffen geworden.
JEMEN: Im Zuge des Arabischen Frühlings erhob sich das jemenitische Volk gegen den langjährigen Präsidenten Ali Abdallah Saleh. Es gelang, Saleh in einem Verhandlungsprozess zum Abtreten zu bewegen und eine zweijährige Phase des Übergangs zu vereinbaren. Derzeit wird eine neue Verfassung erarbeitet, für Februar 2014 sind Wahlen angekündigt. (afp)
Die Militärführung hatte Mursi am Mittwoch entmachtet und im Verteidigungsministerium festgesetzt. Auch die Führungsriege der Muslimbrüder wurde festgenommen, die islamische Verfassung außer Kraft gesetzt. Als Übergangspräsident setzten die Streitkräfte den obersten Verfassungsrichter Adli Mansur ein.
Als Reaktion auf den undemokratischen Umsturz setzte die Afrikanische Union (AU) am Freitag die Mitgliedschaft Kairos aus. Die Organisation gab bekannt, dass die Sanktion gegen Ägypten "bis zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" gelte. "Der Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten entspricht nicht den Regeln der Verfassung", hieß es in einer Stellungnahme. Damit befindet sich Kairo nun in Gesellschaft anderer geächteter Krisenstaaten wie Madagaskar, Guinea-Bissau und der Zentralafrikanischen Republik.
Ägyptens AU-Botschafter Mohammed Edrees hatte vor dem Beschluss noch appelliert, dass "die Stimmen von Millionen Ägyptern erhört, verstanden und respektiert werden müssen". Damit bezog er sich auf die tagelangen Massenproteste gegen Mursi, bei denen schon bis zum Mittwoch dutzende Menschen getötet worden waren.
Neben den USA warnte auch die Bundesregierung davor, den demokratischen Transformationsprozess in Ägypten durch politisch motivierte Verfolgungen und Festnahmen zu gefährden. Diplomatische Kontakte werde Deutschland "selbstverständlich weiter" zu diesem "Schlüsselland für die arabische Welt pflegen", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin. AZ, afp