Umsteigen schwer gemacht: Wer in Bayern sein Auto stehen lassen und im Sommer für drei Monate mit dem Neun-Euro-Ticket günstig mit Bus und Bahn fahren will, der hat es in einigen Landstrichen des Freistaates schwer. Unter den zehn Landkreisen mit dem deutschlandweit dünnsten Angebot finden sich sieben bayerische.
Das geht aus einer Auswertung der Allianz pro Schiene hervor, einem Zusammenschluss von Bahnunternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden. Die Analyse liegt unserer Redaktion exklusiv vor. "Gerade die unterversorgten Landkreise in Bayern zeigen die Notwendigkeit, das Angebot von Bus und Bahn massiv auszubauen und nicht bloß auf zeitlich befristete Preisanreize zu setzen", sagte der Chef der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, unserer Redaktion.
Neun-Euro-Ticket: In Bayern ist die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr schlecht
Das Schlusslicht der Tabelle bildet der Landkreis Dingolfing-Landau, wo nur 29 Prozent der Bevölkerung Zugang zu einem Basisangebot an Bus und Bahn haben. Zweitletzter in der Skala der Allianz pro Schiene ist der Landkreis Straubing-Bogen, in dem nur 39 Prozent der Menschen eine Grundversorgung mit öffentlichem Nahverkehr haben. Dritter von hinten ist der Landkreis Cham mit einer Quote von 45 Prozent. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt aller 401 Landkreise und kreisfreien Städte verfügen 91,4 Prozent der Menschen über ein öffentliches Grundangebot.
Unten den deutschen Flop Ten sind außerdem die bayerischen Landkreise Rottal-Inn (48 Prozent), Kronach (49 Prozent), Landshut (51 Prozent) sowie Haßberge (53 Prozent). "Bus und Bahn müssen in Bayern wieder zurück in die Fläche kommen. Bei der Reaktivierung von Schienenstrecken steht Bayern allerdings auf der Bremse", beklagte Flege. Der Grund: Im Freistaat gilt ihm zufolge das 1000-Fahrgäste-Kriterium. Das heißt, im Mittel müssen auf jedem Abschnitt 1000 Fahrgäste unterwegs sein, bevor eine Strecke wieder in Betrieb genommen wird. In ländlichen Gebieten ist das ein schwer zu erreichender Wert, wenn die Region nicht an eine große Stadt grenzt.
Generell gilt, dass in Großstädten in Bayern und in ganz Deutschland die Anbindung mit Bus und Bahn ordentlich bis gut ist. Von den Augsburgern zum Beispiel haben 99,9 Prozent die Möglichkeit, Bus oder Tram zu nehmen. Im Landkreis Augsburg trifft das auf 90 Prozent zu, was deutschlandweit für einen schwächeren Mittelfeldplatz reicht. Im Landkreis Würzburg sind es 94 Prozent, was ziemlich genau die Mitte trifft.
Die Eisenbahnergewerkschaft fürchtet durch das Neun-Euro-Ticket die völlige Überlastung
So gut sich das Neun-Euro-Ticket im ersten Moment anhört, so groß sind mittlerweile die Zweifel an dem Projekt der Ampel-Koalition. Es ist ein Großversuch mit ungewissem Ausgang. Die Eisenbahnergewerkschaft EVG zum Beispiel fürchtet, dass an Wochenenden oder Feiertagen Regionalzüge und Bahnhöfe aus allen Nähten platzen könnten. "Das Pfingstwochenende wird sicher eine große Herausforderung", sagte EVG-Vize Martin Burkert unserer Redaktion.
Das gelte im Freistaat vorwiegend für die Strecken Augsburg–Ulm, München–Traunstein und von Nürnberg in alle Richtungen. "Es bräuchte jedoch mehr Angebot und mehr Personal, um dem erwarteten Ansturm Herr zu werden", verlangte der Gewerkschafter. Doch wo das in der Kürze der Zeit herkommen soll, weiß bei der Ampel-Koalition keiner.
Die Kommunen in Deutschland haben Bedenken, dass die drei Monate mit spottbilligen Fahrscheinen ein teures Werbegeschenk werden und danach die versprochenen, höheren Zuschüsse des Bundes für den Nahverkehr nicht mehr drin sind. "Das Neun-Euro-Ticket muss der Startschuss sein, um massiv in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren. Ein Ausbau- und Modernisierungspakt wäre ein sichtbares Signal", forderte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Bislang vorgesehen hat das Regierungsbündnis 3,7 Milliarden, wovon 2,5 Milliarden auf das Neun-Euro-Ticket entfallen. Nach Dedys Berechnungen müssten aber insgesamt 1,7 Milliarden Euro hinzukommen, damit im Herbst das Angebot nicht zusammengestrichen wird, weil Strom und Diesel viel teurer geworden sind und wegen Corona wieder mehr Passagiere fernbleiben. "Dafür muss der Bund sein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen", verlangte der Städtetag-Chef. Die Länder wiederum drohen, die extrem verbilligte Monatskarte am Freitag im Bundesrat zu stoppen. Grund dafür ist, dass sie nicht glauben, dass die zweieinhalb Milliarden Euro zur Finanzierung ausreichen.